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Nach Cambridge Analytica: Was kommt auf uns zu im Wahlkampf 2017?

von Chris Köver
Donald Trump als Twitter-Demagoge. Unternehmen wie Cambridge Analytica als Big-Data-Überwacher. Manipulation, wo man hinschaut, Falschinformationen und Wut, die mehr Einfluss auf uns haben als Fakten. Auch deutsche Parteien werden 2017 in diesem Chaos Wahlkampf führen müssen. Nur wie? WIRED hat mit den Strategen gesprochen.

Es ist Freitagabend und FlamingForFame keucht. Gerade ist der deutsche Reddit-Veteran aus einem Geschäftsmeeting in Frankfurt gehastet. „Alles eine Katastrophe“, seufzt er jetzt mit hessischem Einschlag durch den Telefonhörer. „Der Subreddit sollte nur eine Parodie sein. Eine Satire, die sich auch von einem Stammtisch aus hätte entwickeln können“, führt er fort. Dann aber habe sich das Forum selbständig gemacht, das er gemeinsam mit anderen moderiert.

Seitdem hatte FlamingForFame kaum eine ruhige Minute mehr. Der 39-Jährige muss, ohne es zu wollen, gegen eine große Unsicherheit anrennen. Sie hat spätestens seit dem Aufstieg Trumps sowohl User als auch Medien im Internet erfasst, wo sich Wahrheit und Lüge vermischen, Fakten und Gefühle. Auch die deutschen Parteien werden sich ihr im kommenden Jahr im Bundestagswahlkampf stellen müssen.

Knapp 5000 User haben sich der der Reddit-Gruppe The Schulz in etwas mehr als einer Woche angeschlossen. Gedacht war sie als ironische Anspielung auf das Forum The Donald, in dem sich die Unterstützer von Donald Trump erstmals online zusammenrauften. FlamingForFame und andere Reddit-Moderatoren aus Deutschland dachten sich nach den US-Wahlen: Was für einen misogynen Macho wie Trump funktioniert, könnte durch das Anhimmeln eines „Anti-Trump“ ad absurdum geführt werden.

Ihre Wahl fiel auf den manchmal polternden, pro-europäischen Sozialdemokraten Martin Schulz. Und es klappte, die Besucherzahlen explodierten. Sogar Fernsehmoderator Jan Böhmermann übernahm einen der Witze des Forums: Für den „Gottkanzler“ Schulz gebe es auf dem Weg ins Kanzleramt „keine Bremsen“.

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„Nach und nach bemerkten wir, dass Leute vor allem im Ausland die Gruppe immer ernster nahmen“, erklärt FlamingForFame. Je mehr Aufmerksamkeit der Subreddit bekam, desto weniger schien sein ursprünglicher Sarkasmus zu funktionieren. The Schulz hat sich zum prototypischen Beispiel für eine Fake-News entwickelt. Einige Besucher glaubten schließlich sogar, die SPD selbst stecke hinter den Forum-Posts – keine harmlose Satire sei das, sondern eine strategische Kopie von The Donald für den Sozen-Wahlkampf. Vor einer Woche schrieb die Berliner Morgenpost dann: „Bot im Bundestagswahlkampf wirbt für Martin Schulz“. Die Headline setzte einem diffusen Scherz endgültig die mediale Echtheitskrone auf.

Die Zeitung griff – ob gewollt oder ungewollt – mit ihrem Artikel eine schon länger köchelnde Angst auf: Was, wenn die nächste Bundestagswahl mithilfe des Internets geschickt manipuliert werden könnte? Wenn falsche Social-Media-Accounts die Wähler in Deutschland mit Lügen in die Hände der Populisten treiben? Und wie es mit der Angst so ist, trickst sie den Verstand gern aus.

Tausendfach geteilt, entfachte die Nachricht ihre Wirkung, egal wie laut Experten dazwischenriefen

Das zeigte sich etwa am vergangenen Wochenende, als sich der Artikel „Ich habe nur gezeigt, dass es die Bombe gibt“ rasant im deutschsprachigen Web verbreitete. Er handelt vom Unternehmen Cambridge Analytica (CA), das zu Donald Trumps Wahlsieg beigetragen haben soll. Hunderttausende psychologische Wählerprofile soll die Firma mit Social-Media-Daten gefüttert und so das Wählerverhalten der US-Bürger beeinflusst haben. Big Data Brother, Manipulation über Facebook, ein Albtraum. Nur: Zahlreiche Berichte belegen, dass Zweifel angebracht sind an der angeblichen Macht von CA. Und auch einen Wahlkampfbot für Martin Schulz hat es in dieser Form nie gegeben.

In Wirklichkeit kann das kleine Script, das im Reddit-Forum von The Schulz aktiv ist, lediglich bestimmte Phrasen noch einmal zu posten und ihnen einen zufälligen Zahlenwert hinzuzufügen. „So etwas gibt es schon seit vielen Jahren und dient zum Aufrechterhalten von Running Gags“, sagt FlamingForFame. Trotzdem gelangte durch genau diesen Gag eine Erzählung vom ferngesteuerten Wahlkampf in die Welt. Beim Social-Media-Donnerwetter um Cambridge Analytica passierte ähnliches. Tausendfach geteilt, entfachte die Nachricht ihre Wirkung, egal wie laut Experten dazwischenriefen.

Allein die Furcht vor der Furcht kann in der Öffentlichkeit der sozialen Kanäle offenbar zum Chaos zu führen. Da mutiert ein albernes Script in einem Reddit-Forum auf einmal zum Täter in einem grundsätzlich manipulierten Wahlkampf. Viele glauben wohl, dass auch die gemäßigten politischen Parteien dreckig kämpfen müssen, um ihre Wähler nicht an die Populisten zu verlieren. So effektiv erscheinen deren Werkzeuge, es braucht nur noch einen Funken, dann gehen gezielt abgesetzte Botschaften viral.

Auch Marco Buschmanns Smartphone vibrierte andauernd, kaum dass sich der CA-Bericht in den sozialen Medien verbreitete. So viele Bekannte schickten dem Bundesgeschäftsführer der FDP den Link zu Cambridge Analytica, dass er einen eigenen Facebook-Post verfasste. Die Message: Beruhigt euch!

Buschmann wird den Wahlkampf der Liberalen organisieren. Großes Ziel: 2017 zurück in den Bundestag. „Jeden Monat steht ein Unternehmen wie Cambridge Analytica mit Leuchtschrift vor meiner Tür“, sagt er. „Wenn ich mir deren Analysemodelle aber näher anschaue, steckt dahinter nie ein tragbares Modell“. Weder für die FDP noch für andere Parteien würden solche psychologische Wähler-Analysen im kommenden Wahlkampf eine Rolle spielen. Das versichern übrigens alle Wahlkämpfer, mit denen WIRED für diesen Artikel gesprochen hat.

Es existiert kein Knopf, mit dem ich den Wähler zu Marionetten meiner Interessen machen kann

Marco Buschmann, FDP-Wahlkämpfer

Unter anderem sagen die Experten: Wegen des deutschen Datenschutzes, wegen des Wahlsystems und wegen des sowieso vorsichtigen Verhaltens der Bürger existierten in Deutschland weder die Datensätze, um Wähler in Profile zu packen, noch könnten die Parteien diese auslesen, selbst wenn sie existieren würden. „Wir können vielleicht einschätzen, dass eine leitende Angestellte aus dem Speckgürtel von Frankfurt zu 30 Prozent FDP wählen könnte, aber das war es auch“, sagt Buschmann. „Es existiert kein Knopf, mit dem ich den Wähler zu Marionetten meiner Interessen machen kann“.

Dabei suchen die Parteien durchaus nach besseren Mitteln, um an ihre Wähler heranzukommen. Mathias Richel etwa hat für die SPD vor der Bundestagswahl 2013 eine Mitgliederdatenbank entwickelt und im digitalen Wahlkampf mitgemischt. Seine Kollegen und er hatten in die USA geschaut und schlugen ihrem Auftraggeber vor, einige der dort angewandten Methoden nach Deutschland importieren, etwa die Datenbanken, die Republikaner und Demokraten für einen effektiven Tür-zu-Tür-Wahlkampf nutzten. Voller Ideen seien sie gewesen, sagt Richel. „Aber was wir dann tatsächlich machen konnten, war sehr limitiert.“

Das größte Hindernis für den Einsatz von Big-Data-Methoden seien gar nicht mal die deutschen Datenschutzgesetze, sondern vor allem die Angst der Parteien, in der Öffentlichkeit schlecht dazustehen: „Selbst wenn Parteien gesetzlich mehr machen könnten, sie tun es nicht, weil das ihr Augenmerk immer auf einem anderen Aspekt liegt“, sagt Richel. Jegliche negative Presse müsse unbedingt vermieden werden. SPD sammelt Daten für den Wahlkampf – wie sähe das denn auf Spiegel Online aus?

Selbst völlig legale Angebote wie das der Deutschen Post habe die SPD damals ausgeschlagen, erzählt Richel. Die Post bietet Kunden detaillierte Daten zur Bevölkerungsstruktur an, bis auf den Wohnblock heruntergebrochen: Wo wohnen besonders viele Studenten, wo besonders viele Alleinerziehende oder ältere Menschen? Ausgezeichnetes Big-Data-Targeting in der Offline-Welt sei das, sagt Richel. Und zielgruppengenau Flyer einwerfen, was sollte denn daran schlimm sein? Die SPD, und ebenso die anderen deutschen Parteien, machen es trotzdem nicht. Daten kaufen und benutzen, selbst legal, da ist der deutsche Wähler ein sensibles Wesen.

Für mich ist die AfD die erste erfolgreiche Internetpartei

Mathias Richel, entwickelte 2013 eine Mitgliederdatenbank für die SPD

Wenn es überhaupt jemand machen würde, glaubt Richel, dann wohl die AfD. „Für mich die erste erfolgreiche Internetpartei“, sagt er. Sie wüsste um die Werkzeuge und Methoden, mit denen man im Netz mobilisiert und Botschaften verbreitet. AfD-Bundesvorstandsmitglied Alice Weidel sagte gegenüber Reuters: „Wir überlegen selbstverständlich, welche Tools im Social-Media-Bereich für unsere Öffentlichkeitsarbeit sinnvoll sind. Dazu gehören Analyse- oder Hilfsprogramme, die die tägliche Arbeit erleichtern könnten. Jedoch werden wir natürlich keine Social Bots einsetzen, die auf Seiten Dritter im Namen der AfD automatisiert posten oder ähnliches.“ Der Spiegel hatte sie kurz zuvor noch mit gegenteiligen Aussagen zitiert. Auf die Anfrage von WIRED hat die AfD bislang nicht reagiert, ebenso wenig wie Die Linke.

Dabei braucht die AfD vielleicht gar keine Bots oder Big-Data-Voodoo. Sie wird vermutlich einfach weiter das tun, was sie bisher schon erfolgreich tut: „Viele Inhalte produzieren, tagesaktuelle Share-Pics und GIFs machen und darunter ihre Positionen transportieren“, wie Richel es ausdrückt. Um die eigenen Anhänger zu mobilisieren, brauche die Partei keine tollen Daten-Tools, dafür reichten schon geschlossene Facebook-Gruppen, in denen Informationen weitergegeben und zu Aktionen aufgerufen wird. „Darin ist die AfD besser als alle anderen Parteien“, sagt Richel, „und das ist die wirkliche Gefahr.“

Für die SPD besteht die Antwort auf diese Gefahr aus einem Wort: Haltung. Tobias Nehren hat die Macht von wütenden Postings und unverschämten Lügen gerade erst vor Ort im US-Wahlkampf erlebt. Er leitet die digitale Wahlkampagne für die Sozialdemokraten und flog nach Amerika, um den modernen Populismus zu verstehen. „Die Rechten sind sehr gut organisiert“, sagt er, „aber es gibt weniger Trolle da draußen als man denkt“. Im kommenden Wahlkampf wolle seine Partei deshalb mit klarer Kante das eigene Netzwerk aktivieren. „Wir haben 400.000 Unterstützer, die wir befähigen müssen, sich gegen Hass und Unsicherheit online zu wehren“, sagt er. Sobald die „Schweigespirale“ durchbrochen werde, könne man die Lügen der Rechten durchaus enttarnen und ihre Meinungsmacht somit brechen.

Der US-Wahlkampf hat gezeigt, dass das einfacher gesagt als getan ist. Und schon jetzt haben die Rechtspopulisten einen strukturellen Vorteil. Sie müssen die Online-Welle aus Wut, Unsicherheit und Empörung nur reiten, nicht dagegen anschwimmen. „Wir müssen einen Umgang mit dieser Angst finden“, sagt Matthias Riegel, der als Chef des Agentur-Verbunds Ziemlich beste Antworten den Wahlkampf für die Grünen leitet. Er sieht das Problem so: „Leute wie du und ich bekommen das bereits nur schwer hin, ziehen sich aus dieser Online-Welt zurück. Für Parteien wird diese Aufgabe noch viel schwieriger“. Nur indem sie Stück für Stück ein Gegenweltbild aufbauten, könnten sie mit der Unsicherheit brechen.

„Die Grünen wirken ja auf Hetzer und Trolle wie ein Magnet - wir gehen davon aus, dass sie zur Zielscheibe von Hass, Lügen und viel Dreck werden. Umso deutlicher werden wir auch in den sozialen Medien machen, wofür die Grünen stehen: Weltoffenheit und Toleranz“, sagt Riegel. „Und viele fühlen sich gerade ja persönlich bedroht: In der Art wie sie leben und die Welt sehen. Wir werden darauf setzen, starke, positive, persönliche Geschichten zu erzählen.“

Wir müssen die Themen an den Mann bringen, die bisher im Wahlprogramm untergegangen sind, das kann Social Media

Thomas Jarzombek, CDU-Bundestagsfraktion

Doch dazu braucht es selbstbewusst auftretende Parteien, zumindest das hat die CDU auf ihrem Parteitag in Essen der Öffentlichkeit zeigen wollen. Thomas Jarzombek ist in der CDU-Bundestagsfraktion für die Digitale Agenda zuständig. Er glaubt, Parteien müssen eine eigene Schwäche im kommenden Wahlkampf überwinden – und konkrete Botschaften übermitteln. „Wir brauchen uns nicht durch die einschüchtern zu lassen, die neu auf dem Platz sind“, sagt er, und: „Das Wahlplakat mit Pauschalaussagen ist tot“. Stattdessen werde sich die CDU auf Einzelthemen fokussieren und diese gezielt vermarkten. „Wir müssen die Themen an den Mann bringen, die bisher im Wahlprogramm untergegangen sind, das kann Social Media durchaus.“

Die Wahlkämpfer, mit denen wir gesprochen haben, wollen also bei den Fakten bleiben und glauben, so in Zeiten der digitalen Unsicherheit wieder Orientierung bieten zu können. Auch Marco Buschmann von der FDP weiß, dass seinem „Beruhigt euch!“ zum Thema Cambridge Analytica eine große Verunsicherung gegenübersteht. Und die, sagen er und die anderen Polit-Experten, wird ein Problem im kommenden Wahlkampf sein.

„Der Penetrationsgrad bei bestimmten Themen ist entscheidend“, sagt Buschmann: Werde viel über Wahlmanipulation gesprochen, sei sie automatisch ein Thema, das ganz oben auf der Agenda stehe, genauso wie Ausländerfeindlichkeit oder Kriminalität. „Früher brauchte es aufwendige PR, um so etwas hochzuziehen. Heute lassen sich Redaktionen durch rein quantitative Trendanalysen in Social Media, durch Bots und Fake-Accounts manipulieren.“

In der Tat lassen sich Themen auf diesem Weg über die richtigen Buzzwords viel einfacher hochjagen. Über Themen wie The Schulz oder Cambridge Analytica sprechen erst die Foren und Influencer, dann die Medien. „Warten Sie nur: In vier Tagen ruft meine Mutter an und fragt mich, ob wir bei der FDP auch Profile unserer Wähler anlegen. Noch ein paar Tage später gibt es eine Bundestagsinitiative, unabhängig vom Wahrheitsgehalt“, sagt Buschmann.

FlamingForFame hatte noch Glück, die Meldung vom angeblichen Wahlkampf-Bot schwamm im Nachrichtenstrom nicht lange oben. Weil aber nie ganz klar ist, was man glauben soll, ob die Sache mit dem „Gottkanzler Schulz“ nicht doch geschickte Manipulation war, hat WIRED noch einmal bei der SPD nachgefragt. Tobias Nehren beteuert: „Nein, weder das Forum noch der Bot kommen von uns, das ist eine echte Grassroots-Bewegung.“

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