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Saudi-Arabiens Superheldin heißt Latifa

von Cindy Michel
Latifa ist eine Wüstenkriegerin, die mit einem Säbel gegen Mutanten kämpft und auf ihrem dicken Quad durch die radioaktive Ödnis rast – eine progressive Comicfigur, erdacht vom Großneffen des saudischen Königs, Fahad al-Saud. WIRED sprach mit ihm über die Ambivalenz einer Superheldin in einem Land, in dem Frauen nicht einmal Auto fahren dürfen.

Schwarze Rauchsäulen, die den Himmel über brennenden Ruinen verdunkeln und zerklüftete Gebirgslandschaften, die nur noch einziges radioaktives Ödland sind. Durch diese düstere Szenerie rast eine Frau auf einem schweren Wüsten-Quad. Sie ist Latifa. Ihre Bestimmung? Mutanten durch eine apokalyptische Version Saudi Arabiens 100 Jahre in der Zukunft zu jagen und töten. Die Idee zu diesem Comic hatte ausgerechnet der Großneffe des Königs von Saudi Arabien, Prinz Fahad al-Saud. „Starke Frauen waren für mich schon immer die interessantesten Comic-Figuren“, sagt er im SoHo House Berlin. 

Es ist ein Abend während des Tech Open Air in der Hauptstadt, etliche Kreative und Gründer der Tech-Szene sitzen um runde Kaffeetische unter ausladenden Kronleuchtern, diskutieren in kleinen Gruppen oder zu zweit, elektronische Beats sind der Soundtrack des Tech-Buzz' über den Dächern Berlins. 

Fahad al-Saud, der auf dem Festival über Millenials im Nahen Osten sprach, hat mit seiner Crew eines der Sofas belegt. Seine Hoheit, der in diesem Interview „einfach nur Fahad“ genannt werden möchte, ist nicht nur einer von aktuell mehreren Tausend lebenden Prinzen der Herrscherdynastie Saudi-Arabiens, sondern eben vor allem Entrepreneur, Pionier der kreativen Tech-Szene und selbsternannter Philanthrop – in Designerhose und Jeansjacke mit Patches, auf dem Kopf ein schwarzes Baseballcap. 

Das Titelblatt der ersten Ausgabe von al-Sauds Comic-Reihe Latifa gibt den Ton der Geschichte vor, die er erzählen will: Der Schriftzug Latifa steht groß auf der Seite, sowohl in lateinischen, als auch in arabischen Buchstaben. Direkt darunter scheint eine entschlossen dreinblickende Kämpferin, mit einem orientalischen Säbel in der Hand direkt aus der Seite zu springen. Ihre Kleidung erinnert an die eines Wüstenkriegers, weite weiße Beinkleider, vor der Sonne und dem Sand schützt sie ihren Kopf mit einem Kuyfa, dem Schal, den arabische Männer auf dem Haupt tragen. Die Storyline: Latifa ist eine selbstbestimmte Heldin mit beduinischen Wurzeln („Once a bedouin, always a bedouin“), die sich von nichts und niemandem aufhalten lässt, um ihre Mission zu erfüllen: Rache an denen zu üben, die ihre Familie getötet haben. 

Latifa vereine vieles auf sich, was ihm selbst im Leben wichtig sei, sagt al-Saud: „Sie ist eine verdammt starke Heldin und sie verbindet das Traditionelle mit der Zukunft.“ Als Kind habe er Comicbücher regelrecht verschlungen, durch sie die amerikanische Sprache und Kultur kennengelernt. Und starke Frauen? Seine Schwester und seine Mutter! Ihnen habe er „alles, wirklich alles“ zu verdanken. Zudem empfinde er den Nahen Osten als Region mit viel Potenzial. Er sei froh, als Millenial dort die Zukunft mitgestalten zu können.

„Es war nur konsequent, dass Latifa und ihre Schwestern irgendwann einmal das Licht der Welt erblicken mussten“, sagt der Prinz. Es soll nicht bei einer einzigen Comicbuch-Reihe bleiben. Latifa ist eine von neun Heldinnen, die in dem Saudi-Girls-Revolution-Universum (SGR) gegen tyrannische Herrscher und Mutanten kämpfen werden. SGR kann man sich wie eine Art Marvel- oder DC-Universum vorstellen nur eben ausschließlich mit Heldinnen, die in einer postapokalyptischen Zukunftsversion des Nahen Ostens kämpfen. 2015 veröffentlichte Fahad mit seinem Start-up Na3am (New Arab Media) bereits das Smartphone-Spiel „Saudi Girls Revolution“. Jetzt folgt also die Comic-Reihe dazu.  

Wie passt ein Comic-Buch wie Latifa in ein Land, in dem Frauen nicht einmal Auto fahren dürfen? Der Großneffe des Königs erklärt kurzerhand das ganz alltägliche Leben zur Kampfarena für „jede Frau, egal wo auf der Welt“. Viel stärker als Männer müssten Frauen „mit so viel Shit klarkommen – entschuldigen Sie meine Wortwahl, aber so ist das nunmal – den man sich als Mann gar nicht vorstellen kann“, sagt al-Saud. Sie seien Kämpferinnen, Heldinnen, auf ihre Art Kriegerinnen. „Jeden verdammten Tag stellen sie sich dem Kampf aufs Neue.“ Die meisten jungen Frauen sähen sich jedoch nicht so, „geschweige denn der Rest der Welt“, meint der 32-jährige Unternehmer. 

„Junge arabische Frauen haben niemanden, der sie in den Medien repräsentiert. Und falls doch, dann ist das meist ein völlig verzerrtes Bild mit Vorurteilen und Stereotypen überladen. Das muss sich ändern“, so al-Saud. Der Entrepreneur beschäftigt selbst auch Frauen in seinem Unternehmen, eine seiner besten Entwicklerinnen sei weiblich und die Redakteurin von Latifa ist die Entrepreneurin und Visionärin Rozan Ahmed.

Sei deine eigene Heldin, wenn du keine hast, dann mache ich dir eine. Es gibt keine Entschuldigungen mehr

Fahad al-Saud

Frauen und Mädchen aus dem Nahen Osten wolle er mit SGR starke weibliche Figuren als Vorbild an die Seite stellen. Das sei die Wirkung nach innen. Die Wirkung nach außen: Das Bild der muslimischen Frau in der Welt könne so zurechtgerückt werden, weil die Comics zeigten, wie stark und kämpferisch diese sein könnten. „Für die SGR habe ich das Konzept oder die Formel genommen, nach denen Superheldinnen funktionieren – nur, dass die Heldinnen nicht weiß sind, sondern eben dunkelhäutig und aus einer Kultur kommen, die Menschen aus dem Nahen Osten vertraut ist. Unsere Frauen brauchen Figuren, die ihnen ähneln“, erläutert al-Saud seine Vision. Der Prinz formuliert eine Botschaft an die jungen Frauen, die seine Comics lesen: „Sei deine eigene Heldin, wenn du keine hast, dann entwerfe ich dir eine. Es gibt keine Entschuldigungen mehr.“ 

Spätestens seit der Saudi Comic Con sei für den Game-Designer und Tech-Entrepreneur klar, dass Latifa ihre Bestimmung erfüllt: „Das war so wahnsinnig schön, als Mütter mit ihren Töchtern zu unserem Stand kamen, um sich für Latifa zu bedanken. Andere haben Tränen in den Augen gehabt und wieder andere waren Latifa im Cosplay“, erinnert sich al-Saud an die Con, die Anfang dieses Jahres zum ersten Mal in Saudi-Arabien stattfand.  

Ein derart progressives Comic-Buch mit klarer Message könnte einem in einem Land wie Saudi-Arabien aber auch eine Menge Ärger einbringen. „Ganz ehrlich, ich habe gedacht, dass die Rückschläge heftiger sein würden“, sagt al-Saud. Negative Reaktionen habe es nur wenige gegeben und wenn, dann hätten diese meistens mit dem ästhetischen Empfinden zu tun gehabt. Die Mitglieder seiner Familie hätten zwiegespalten auf das Buch reagiert: Die Frauen, mit denen er aufwuchs, hätten erkannt, wie wichtig die Geschichte sei, doch sei ihnen „vieles zu brutal“ gewesen. „Die jungen Cousins und Cousinen lieben es.“  

Ob Latifa, so wie von Fahad al-Saud und Chefautor Stan Berkowitz (Spider-Man, Superman: The Animated Series, Batman Beyond, Justice League u. v. a.) gedacht, auch in Saudi-Arabien erscheinen dürfe, war lange nicht klar. Denn dort gibt es eine regide Zensur. Erst das Informationsministerium entscheidet, ob ein Medium verkauft werden darf oder nicht. „Eigentlich habe ich damit gerechnet, dass Latifa abgelehnt wird, aber dann kam die Email mit der positiven Rückmeldung“, berichtet der 32-Jährige. Warum dies so gut lief, könne al-Saud auch nicht mit Sicherheit sagen.

„Das Reformprogramm Vision 2030 hat bereits vieles positiv verändert, auch im kreativen Bereich“, überlegt al-Saud. Vielleicht habe es auch damit zu tun, dass das Ministerium verstanden habe, dass die frei erfundene Geschichte in einer fernen Zukunft spiele, oder aber, weil das Buch bisher nur auf Englisch erschienen ist. „Wir arbeiten aktuell an mehreren Übersetzungen“, sagt der Tech-Unternehmer. „Was uns sehr wichtig ist, ist, dass es bald auf Deutsch erscheint, die arabische Gemeinde allein in Berlin ist riesig.“ 

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Fahad al-Saud ist selbst Teil dieser Gemeinde, er sieht das als eine Art Pflichterfüllung für Millenials wie ihn, man könne es sich nicht erlauben, nur an einem Ort auf der Welt zu leben. So pendle er zwischen Saudi-Arabien, den USA, London und seit Kurzem auch Berlin. Hier hat er auch das deutsche Büro seines Startups Na3am eröffnet – und versuche die Verbindungen zwischen der europäischen und der Startup-Szene in seiner Heimat zu intensivieren. Diese floriere gerade und in Sachen Gender Equality gehe es auch aufwärts: „Etwa 35 Prozent aller Gründer im Nahen Osten sind weiblich, im weltweiten Vergleich sind es gerade mal zehn Prozent“, berichtet er.  „Ich leugne nicht, dass es im Nahen Osten viel Schlechtes gibt, ich sage aber deutlich, dass es auch sehr viel Gutes gibt.“

Rozan Ahmed, die Redakteurin von Latifa setzt sich neben Fahad auf das Sofa im SoHo House. Sie sagt, sie sei eine Frau aus dem Sudan, dem Nahen Osten und Großbritannien, „Kind der Globalisierung eben“, meint die Kommunikationswissenschaftlerin und Künstlerin. „Hier beim TOA gab es ja etliche Workshops für Frauen in der Tech-Szene. Ich war erstaunt, dass viele von den Dingen, über die diese Frauen redeten, die sie in ihren Unternehmen umsetzen wollen, bei uns vor allem in Dubai schon Realität sind.“ Auch wenn dies leider im Rest der Welt noch nicht so bekannt sei, sagt Ahmed, im Nahen Osten gebe es natürlich auch Männer, die an Frauen glauben und ihre beruflichen Talente sowie Entrepreneur-Qualitäten zu schätzen wissen: „Fahad ist nur einer von ihnen.“ 

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