Hinweis zu Affiliate-Links: Alle Produkte werden von der Redaktion unabhängig ausgewählt. Im Falle eines Kaufs des Produkts nach Klick auf den Link erhalten wir ggf. eine Provision.

Mordfall in den USA: Fallen Gespräche mit Alexa unter die Redefreiheit?

von Anna Schughart
Eine Leiche, Amazon Alexa und die Frage: Wer war der Mörder? Um ein Verbrechen aufzuklären, fordern US-Behörden den Zugriff auf die Daten des Sprachassistenten im Echo-Heimlautsprecher. Doch Amazon wehrt sich mit Verweis auf den ersten Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung. Zu recht? Wir haben einen US-Juristen gefragt.

UPDATE 7. März 2017: Amazon hat seinen Einspruch gegen die Behördenforderung nach Datenherausgabe offiziell fallengelassen. Grund ist, dass der Angeklagte des Mordfalls, James Andrew Bates, der Übergabe der Daten seines Amazon Echo an die Polizei zugestimmt hat. Er plädiert darauf, nicht schuldig zu sein.

Im November 2015 ruft ein Mann aus Arkansas die Polizei: In seinem Whirlpool liegt eine Leiche. Die Polizei ist bald überzeugt: Der Anrufer ist der Mörder und versucht, sein Verbrechen zu vertuschen. Um das zu beweisen, wollen sie die Hilfe von Alexa.

Alexa ist die Stimme (oder besser gesagt: der cloud-basierte Sprachdienst) von Amazon Echo, einem intelligenten Lautsprecher mit Sprachsteuerung. Die amerikanischen Strafverfolgungsbehörden hätten gern Zugriff auf die Daten, die bei der Interaktion zwischen Alexa und dem Tatverdächtigen entstanden sind, um so dessen Schuld zu beweisen. Doch Amazon wehrt sich. Und bringt dafür ein überraschendes Argument: Für die Gespräche zwischen Alexa und ihren Nutzern gelte der erste Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung. Das heißt: Sie unterliegen der Freiheit der Rede vor staatlichen Eingriffen und seien deshalb als Teil der Privatsphäre besonders geschützt.

Wird Amazon mit diesem Argument durchkommen? Wenn bald Unterhaltungen mit Sprachassistenten vor Gericht als Beweismaterial gelten, sollten wir dann überhaupt noch mit ihnen reden? Und was bedeutet das für eine Zukunft, in der wir selbst immer weniger Zugriff auf unsere Daten haben? Darüber hat WIRED mit Jason Schultz gesprochen, Jurist an der New York University (NYU). Gemeinsam mit Aaron Perzanowski hat er ein Buch über das Ende des Besitzes im digitalen Zeitalter geschrieben.

WIRED: Wie kommt Amazon darauf, Alexas Gespräche wären durch die Redefreiheit geschützt?
Jason Schultz: Das ist eine interessante Argumentation, die sicherlich neu ist. Niemand hat bisher so vor einem Gericht argumentiert. Aber es gibt definitiv Fälle, die logische Vorläufer für diese Erweiterung des ersten Zusatzartikels sind. Wenn ich das richtig lese, behauptet Amazon ja nicht, dass Alexa Redefreiheit hat.

WIRED: Sondern?
Schultz: Amazon zitiert unter anderem den Google-Fall, der bestimmt hat, dass Google-Suchergebnisse auch als Rede geschützt sind. Was dann dazukommt, sind die Rechte, die ein Unternehmen hat. Wenn man annimmt, dass Unternehmen auch Redefreiheit haben – was umstritten ist –, dann sagt Amazon: Wir sprechen mit dieser Person und diese Person spricht mit uns.

Ich habe durch Alexa ein Gespräch mit Amazon. Und der erste Zusatzartikel hat ein Interesse daran, dass Unterhaltungen privat und vor neugierigen Augen geschützt sind

Jason Schultz

WIRED: Und Alexa repräsentiert dann einfach das Unternehmen Amazon?
Schultz: Das ist die erste Ebene des Arguments. Aber Alexa repräsentiert auch das Individuum, also etwa mich als Nutzer. Ich habe durch Alexa ein Gespräch mit Amazon. Und der erste Zusatzartikel hat ein Interesse daran, dass Unterhaltungen privat und vor neugierigen Augen geschützt sind. Amazon sagt aber nicht nur, dass es sich hier um einen Fall von Redefreiheit handelt, sondern auch um Privatsphäre.

WIRED: So wie etwa ein Gespräch zwischen mir und meinem Arzt geschützt ist?
Schultz: Genau. Hier dehnt Amazon sicherlich das Gesetz, aber das Unternehmen sagt: Ein Gespräch mit Alexa ist wie ein Gespräch mit einem Arzt oder einem Priester, wo es um sensible Themen wie zum Beispiel Familienplanung oder medizinische Fragen geht.

WIRED: Überzeugt Sie das?
Schultz: Die Logik ergibt Sinn. Aber Bedenken habe ich bei der Frage: Wie sehen die Beschränkungen aus? Wenn man mit seinem Anwalt spricht, dann ist das ein klar begrenzter Rahmen, zum Beispiel ein Telefongespräch. Wenn mein Mitbewohner aber Anwalt ist, wird es schwierig zu behaupten, jedes einzelne Gespräch mit ihm sei besonders geschützt: Irgendwann redet man logischerweise auch über das Abendessen. Wenn jede einzelne Unterhaltung mit Alexa von „Mach das Licht aus“ bis „Spiel Musik“ geschützt ist, dann wird es sehr schwer, überhaupt an irgendwelche Informationen zu gelangen.

Wenn jede einzelne Unterhaltung mit Alexa von „Mach das Licht aus“ bis „Spiel Musik“ geschützt ist, dann wird es sehr schwer, überhaupt an irgendwelche Informationen zu gelangen

Jason Schultz

WIRED: Wie könnte eine sinnvolle Beschränkung aussehen?
Schultz: Darauf gibt es keine einfache Antwort. Amazon könnte die Daten analysieren und in verschiedene Kategorien unterteilen: Von Gesundheit bis Chinesisch zum Abendessen. Die Strafverfolgungsbehörden müssten dann immer noch begründen, warum sie Zugang haben möchte, aber es könnte einen geringeren Anspruch für banale Informationen geben. Viel hängt aber davon ab, wie gut Amazon zwischen verschiedenen Informationsarten unterscheiden kann. Die Tatsache, dass ich zum Arzt gehe, kann in einem bestimmten Kontext entweder ganz normal oder sehr ungewöhnlich sein.

WIRED: Wieso ist Amazon so stark daran interessiert, alle Daten für sich zu behalten?
Schultz: Ich kann nicht für die Amazon-Anwälte sprechen, aber es gibt wahrscheinlich mehrere Gründe dafür. Es gibt erstens bei den Tech-Unternehmen in den USA eine gewisse Kultur: So sehr Amazon, Twitter oder Google es lieben, unsere Daten für ihren eigenen Profit anzuhäufen, neigen sie dazu, Regierungsinteressen skeptisch gegenüberzustehen. Zweitens gibt es auf Seiten von Amazon ein finanzielles Interesse: Wenn bekannt wird, dass Amazon Informationen weitergibt, werden die Menschen zögern, sich mit Alexa auszutauschen, das Gerät immer eingeschaltet zu lassen oder eines in jedem Raum zu haben.

WIRED: Das klingt, als hätte der Nutzer keinen Einfluss darauf, wie mit seinen Daten umgegangen wird. Liegt das daran, dass wir, wie Sie in ihrem Buch behaupten, Produkte nicht mehr besitzen, auch wenn wir sie kaufen?
Schultz: Ja, ich denke, das ist genau diese Mehrdeutigkeit von Besitz. Es gibt da dieses Beispiel vom Brandstifter und seinem Herzschrittmacher: Der Mann behauptete, dass er vor dem Feuer flüchten musste, aber die Polizei glaubte ihm nicht. Der Hersteller seines Herzschrittmachers wurde vorgeladen und man fand heraus, dass das Herz des Mannes zur Zeit des Feuers extrem ruhig schlug. Das ist eines dieser Beispiele, bei denen man eigentlich gedacht hätte, dass man über die Maschine, die in deinem Körper ist und dich am Leben hält, nur ganz allein bestimmen würde.

Es geht nicht nur um Daten, sondern auch um Erkenntnisse, die Alexa über dein Leben sammelt

Jason Schultz

WIRED: Was ist die Konsequenz daraus für Sprachassistenten wie Amazon Alexa?
Schultz: Es geht nicht nur um Daten, sondern auch um Erkenntnisse, die Alexa über dein Leben sammelt. Ist es zum Beispiel wahrscheinlich, dass du an einem Donnerstag zu Hause bist? Die Verstrickungen zwischen Mensch und Unternehmen machen es schwierig, die Privatsphärerechte zu verteidigen. Wenn die Unternehmen alle Daten und Erkenntnisse besitzen, dann haben sie keine Verpflichtungen, in unserem besten Interesse zu handeln.

WIRED: Sollten wir gegenüber Alexa und Co. also viel skeptischer sein?
Schultz: Ich befürchte, diese Bürde den Konsumenten aufzuerlegen, ist eine verlorene Schlacht. Nicht, weil wir das nicht könnten, sondern weil sobald man bei einer Sache vorsichtig ist, tausend andere Probleme auftauchen. Das Leben ist schon hart genug, ohne dass man ständig die Risikofaktoren von hundert Variablen jedes Geräts kalkuliert, das man kauft.

WIRED: Was schlagen Sie stattdessen vor?
Schultz: Ich bin viel eher dafür, dass man Anbieter dazu verpflichtet, sich besser um uns zu kümmern. Ich will nicht, dass das zur Bürde wird, sondern dass vielmehr ein Sinn dafür entsteht, Verantwortung für unser Wohlergehen zu übernehmen. Wenn die Daten und die Profite zentralisiert werden, sollten Teile der Verantwortung das auch sein.

GQ Empfiehlt