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Kunstprojekt: Bitcoin verdienen im Schlaf

von Juliane Görsch
Wenn künftig KIs und Roboter unsere Arbeit erledigen, schürfen wir mit unseren Körpern Kryptowährungen. So stellt sich ein belgischer Künstler die Zukunft vor. Dystopie oder eine Chance für die Menschheit?

Die Bilder aus dem Institute for Human Obsolescence wirken auf den ersten Blick ziemlich dystopisch. Auf mehreren Liegen ruhen Menschen, die einen mit Kabeln und Kontakten besetzten Anzug tragen. Man könnte meinen, dass sie wie in der Matrix ihrer Körperenergie beraubt werden, um eine unheimliche Maschine am Leben zu halten. Das Gegenteil ist der Fall.

Im Institute for Human Obsolescence (IoHO) in Den Haag erforschen Manuel Beltrán und sein Team, was passiert, wenn menschliche Arbeitskraft nicht mehr gebraucht wird. „Wir wollten herausfinden, wie man noch Nutzen aus dem menschlichen Körper ziehen kann, der für körperliche oder geistige Arbeit unbrauchbar geworden ist,“ sagt Beltrán. Die Antwort ist biologische Arbeit. Statt Energie für finistere Overlords zu generieren, schürften die 37 freiwilligen Arbeiter in den Anzügen Kryptomünzen, verdienten also allein mit ihrer Körperwärme Geld.

Der Anzug wandelt die Körperwärme in elektrische Energie um, und betreibt mit ihr Krypto-Mining. Ein Algorithmus bewertet in Echtzeit, welche Kryptowährung gerade am lukrativsten ist und beginnt die nötigen Rechenoperationen durchzuführen. Innerhalb von 212 Stunden haben die Freiwilligen so 16,5 Kryptomünzen unterschiedlicher Währungen generiert. 80 Prozent der Einnahmen gingen in die Wallets der Arbeiter, 20 Prozent blieben beim Institut. Das funktioniert zwar wirklich, soll in erster Linie aber als Kunstprojekt die Konsequenzen aktueller technischer Entwicklungen aufzeigen.

Eine Studie von McKinsey schätzt, dass bis 2055 die Hälfte aller Jobs automatisiert werden kann. In Deutschland würden damit 20 Millionen Menschen ihre Arbeit verlieren. Auch wenn andere Experten solche Zahlen mit einem Blick in die Kristallkugel vergleichen, ändert das nichts daran, dass künstliche Intelligenzen und Roboter den Arbeitsmarkt signifikant verändern werden. Und das in Rekordzeit. „Es gibt eine Diskrepanz zwischen der Geschwindigkeit, mit der sich Technik entwickelt und der Geschwindigkeit, in der sich Menschen der Konsequenzen bewusst werden,“ sagt Beltrán.

Er selbst war früher Aktivist bei den Protesten im türkischen Gezi-Park 2013 sowie den Indignados-Protesten in Spanien, aus denen 2014 die Partei Podemos entstand. Beltrán studierte später an der ArtScience Interfaculty in den Niederlanden, die eine wissenschaftliche Herangehensweise an Kunst lehrt. Dort rückte die Beziehung zwischen Mensch und Maschine und ihre sozio-politische Bedeutung in seinen Fokus. 2015 gründete er das Institute of Human Obsolescence in Den Haag, das diese Diskrepanz zu schließen versucht.

Die nicht allzu ferne Zukunft, mit der sich das IoHO beschäftigt, lässt sich entweder als Dystopie oder Chance begreifen. „Wir können uns eine Zukunft vorstellen, in der Maschinen menschliche Arbeit ersetzen und unsere Spezies dadurch ohne die Bürde der Erwerbstätigkeit florieren kann,“ sagt Beltrán. „Aber wir können uns ebenfalls eine Zukunft vorstellen, in der unsere Situation als obsoleter Mensch zu einem Problem wird, da es ein Missverhältnis zwischen der Überbevölkerung und dem geringen Bedarf an Arbeitskräften gibt.“

Wenn wir unsere Daten verkaufen, verfestigen und erweitern wir dann nicht den Kontrollverlust darüber?

Das Institute of Human Obsolescence will für diese Probleme keine fertigen Lösungen anbieten, sondern uns für die möglichen Konsequenzen sensibilisieren. Durch die Kunst, so Beltrán, könne er Fragen stellen, die noch nie gestellt wurden. „Kunst kann eine Zukunft greifbar machen, die sich viele Menschen noch gar nicht vorstellen können,“ sagt er.

Das Projekt Biological Labour ist zwar offiziell beendet, Beltrán arbeitet aber schon an weiteren Fragestellungen an der Kreuzung zwischen Kunst und Wissenschaft. „Wir kollaborieren mit Experten aus verschiedenen Disziplinen wie Kunst, Wirtschaft, Recht, Philosophie, Informatik und Technik,“ sagt Beltrán. „Wir können Technologien nicht nur mit Technologen diskutieren und die ethischen Konsequenzen unserer Projekte vernachlässigen.“

Seine neue Installation Data Production Labour wird Ende Januar 2018 in London eröffnet und beschäftigt sich mit der Frage, wie wir in Zukunft mit unseren Daten umgehen wollen. Unternehmen wie Facebook und Google schöpfen einen Großteil ihres Kapitals aus dem Sammeln und Verwerten von Nutzerdaten. Die alte Internetweisheit „Wenn es dich nichts kostet, bist du das Produkt“ wird in einer Welt, in der es für die meisten Menschen keine Jobs mehr gibt, zum Problem. Data Production Labour stellt sich die Frage: „Wenn arbeitslose Menschen Kapital generieren, indem sie Daten produzieren, sind sie dann wirklich arbeitslos? Welche Arbeitnehmerrechte können wir dann verlangen?“

Die Lösung ist das Konzept des Data Basic Income, ein Grundeinkommen im Austausch für unsere Daten. „Angenommen wir betrachten menschengenerierte Daten als eine Form von wertvoller Arbeit, die einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft leistet. Warum sollte dann ein sogenannter Arbeitsloser, der Plattformen wie Facebook nutzt, keine Subvention für die Bereitstellung seiner Daten bekommen?“ sagt Beltrán.

Dieses Szenario wirft wiederum Fragen auf, auf die das IoHO auch noch keine abschließenden Antworten hat. „Wenn wir unsere Daten verkaufen, verfestigen und erweitern wir dann nicht den Kontrollverlust darüber?“, sagt Beltrán. Die Installation fordert Besucher dazu auf, einen Datenvertrag abzuschließen und ihre Wisch- und Scrollgewohnheiten zu verkaufen.

„Das allgemeine bedingungslose Grundeinkommen schafft die Notwendigkeit einen Job zu haben ab. All diese Vorschläge nehmen aber als gegeben an, dass wir ohne Bezahlung trotzdem Daten für die Big-Data-industrie produzieren, ohne es zu merken.“ So gesehen könne man auch genauso gut Geld dafür verlangen. Vielleicht, so Beltrán, sensibilisiert die Installation Menschen dafür, über Datenschutz und ihr künftiges Leben in der Obsoleszenz nachzudenken.

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