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Zukunft der Musik / „Zweimal im Jahr einen Hammertrack rauszuhauen, reicht mir nicht“ – Produzent Mark Ronson im Interview

von Jan Kedves
Die Zukunft der Musik? Dazu kann Mark Ronson etwas sagen, er ist Musiker, Produzent, Mixermaster.

Dieses Interview erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe des WIRED Magazins im Februar 2015. Wenn ihr die Ersten sein wollt, die einen WIRED-Artikel lesen, bevor er online geht: Hier könnt ihr das WIRED Magazin testen.

Die Zukunft der Musik liegt immer auch in der Vergangenheit. Ein bisschen zumindest. Mark Ronson weiß das — der 39-jährige Musiker, Produzent und Style-Schlawiner aus London hat für seine prominenten Schützlinge immer zeitübergreifende, trotzdem innovative Sounds gebaut: hart gebürsteten R&B für Amy Winehouse, Vintage-Dancepop für Robbie Williams, Cyber-Chansons für Rufus Wainwright. Und auf seinem eigenen Album „Uptown Special“ spielt Ronson ausgefuchsten Cut-and-Paste-Soul. 

WIRED: Mr. Ronson, warum nehmen Sie im Zeitalter von Spotify und Soundcloud noch ein Album auf? Hört Ihre Zielgruppe nicht mittlerweile nur noch Singles?
Mark Ronson: Mag sein, aber für Musiker ist das Album immer noch das Format schlechthin. Ein rundes Album, das man als Ganzes hören will — das ist das Schönste, was ich mir vorstellen kann zu produzieren. Klar, ich denke mir auch manchmal, dass mein Leben viel einfacher wäre, wenn ich — statt alle paar Jahre ein Album — einmal pro Halbjahr einen Hammertrack raushauen würde, so wie Diplo oder Skrillex. Das würde reichen, um auf der ganzen Welt als DJ gebucht zu werden. Aber das wäre mir irgendwie zu wenig.

WIRED: Abgesehen von Ihrem Album „Uptown Special“: Welche Beispiele für gelungene Alben aus der letzten Zeit fallen Ihnen ein?
Ronson: „The Suburbs“ von Arcade Fire, oder „Lost in the Dream“ von The War on Drugs — ein Album, das einen von Anfang bis Ende in seine Stimmung hineinzieht. Oder „Random Access Memories“ von Daft Punk. Dieses Album hat mir übrigens den Mut gegeben, auf meinem neuen Album nicht gleich die erste Single an Position eins der Tracklist zu setzen.

WIRED: Warum Mut? Die Single „Uptown Funk“ mit Bruno Mars ist doch ein Riesenhit.
Ronson: Ja, und normalerweise würde man so eine Single heute eben gleich an den Anfang eines Albums packen — damit die Leute sie als Erstes wiedererkennen und das Album sofort kaufen. Das zerschießt aber häufig die Dramaturgie eines Albums. Daft Punk haben es bewusst nicht so gemacht: „Get Lucky“ kommt auf „Random Access Memories“ erst an achter Stelle. Und auch bei mir hätte „Uptown Funk“ als Eröffnungstrack eine völlig falsche Stimmung vorgegeben — obwohl es ein super Song ist.

Man muss den alten Sounds eine neue Identität geben.

WIRED: Auf dem Album „Uptown Special“ bringen Sie James-Brown-artigen Funk, Hip Hop und Achtziger-Softrock zusammen, mit live eingespielten Instrumenten und kristallinem digitalen Sounddesign. Sie spielen zwar mit historischen Formaten und Popstilen, aber ohne Anspruch auf chronologische Stringenz, richtig?
Ronson: Ja, ich versuche nie, alte Sounds und Stile nur zu kopieren — auch wenn das für manche Leute vielleicht so rüberkommt. Klar, der Sound eines 50 Jahre alten Schlagzeugs, aufgenommen mit alten Mikrofonen: Das hat für mich etwas Magisches. Mir bestimmte ikonische Sounds von früher vorzunehmen und zu bearbeiten, das ist einfach mein Ding. Aber man muss dem Alten auch eine neue Identität geben.

 WIRED: Wie das geht, haben Sie 2014 in einem Talk bei der TED-Konferenz in Vancouver schön erläutert — mit einem MPC-Sampler, einem Plattenspielers und einem Laptop. 
Ronson: Ja, ich habe Video-Ausschnitte aus früheren TED-Talks zum Thema Musik genommen und habe sie mit einer Funktion in de Software Scratch Live, die ich vorher noch nie ausprobiert hatte, gescratcht und auf die Leinwand hinter mir gebeamt. Und aus der TED-Titelmelodie habe ich mit dem MPC-Sampler live einen Beat gebastelt. Ich wollte dem Publikum zeigen, wie wir Musiker Technologie nutzen, um uns in historische Narrative einzuklinken und uns in diese einzubringen.

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WIRED: Können Sie genauer beschreiben, was Sie damit meinen?
Ronson: Man befördert etwas ins Heute, indem man ihm etwas hinzufügt. Manchmal reicht schon ein einziges Element — ein bestimmter Sound, der nicht originalgetreu ist. Etwas, das quer sitzt. So wie bei „Back to Black“, dem Album, das ich mit Amy Winehouse produziert habe: Der Sixties-R&B auf dem Album hätte leicht nach einem beliebigen Wiederaufguss klingen können. Tat er aber nicht, weil es dazu diese modernen Lyrics gab, und diese unglaubliche Punkrockerin aus Camden, die ganz klar aus dem 21. Jahrhundert kam.

WIRED: Ihr TED-Talk sah nach ziemlich viel Vorbereitungszeit und Arbeit aus.
Ronson: Ja, nachdem ich die Einladung bekommen hatte, habe ich erst mal wochenlang alle möglichen Bücher zur Geschichte der Tonaufnahme und der Schallplatte gelesen. Die Idee mit dem Live-Scratching kam mir eine Woche vor dem Vortrag, und in der Nacht unmittelbar davor habe ich dann noch mal alles umgeschrieben, weil mir da erst klar wurde, zwischen welchen Giganten ich da auftrete. Ich war morgens gleich nach Chris Hatfield dran, dem kanadischen Astronauten, und nach Ziauddin Yousafzai, dem Vater von Malala!

Ich habe mich im Studio auf den Boden gelegt und mir das Solo von Stevie Wonder 20-mal hintereinander angehört.

WIRED: Auf Ihrem Album spielt Stevie Wonder Mundharmonika. Wie war es, mit ihm zu arbeiten?
Ronson: Wir haben uns nicht persönlich getroffen. Er war gerade auf Tour, und ich konnte nicht aus New York weg, weil ich dort am Score für „Mortdecai“ arbeiten musste, der neue Film mit Gwyneth Paltrow und Johnny Depp. Ich hatte Stevies Managerin monatelang mit E-Mails bombardiert, sie vertröstete mich immer wieder. Aber dann bekam ich plötzlich einen Anruf: „Am Donnerstag hat Stevie in Chicago einen Tag frei, buch uns ein Studio.“ Ich dachte: Mein Held Stevie Wonder wird auf keinen Fall an seinem einzigen freien Tag für mich ins Studio gehen! Aber tatsächlich bekam ich an besagtem Donnerstag dann nachts um zwölf eine E-Mail mit einem Download-Link. Ich brachte es erst mal eine halbe Stunde lang nicht fertig, die Aufnahme anzuklicken. Dann habe ich mich im Studio auf den Boden gelegt, auf Play gedrückt — und mir das Solo gleich 20-mal hintereinander angehört. So glücklich war ich.

Man kann auch über Skype zusammenarbeiten, aber richtige Kreativität entsteht nur, wenn man zusammen in einem Raum ist.

WIRED: Macht es für Sie einen Unterschied, ob Sie mit jemandem persönlich an ein und demselben Ort zusammenarbeiten, oder virtuell per E-Mail, Skype oder anderen Kanälen?
Ronson: Auf jeden Fall. Ich bin sicher, dass man auch über Skype von Studio zu Studio eine relativ gute Zusammenarbeit hinbekommen kann. Aber ich finde, richtige kreative Energie entsteht nur dann, wenn zwei Menschen zusammen in einem Raum sind. Oder drei Menschen, oder vier. Die Sache mit Stevie war nur eine Ausnahme, weil es wirklich nicht anders ging.

WIRED: „Uptown Special“ ist noch in zwei weiteren Punkten bemerkenswert: Während Sie auf früheren Alben teilweise selbst gesungen haben, singen Sie dieses Mal gar nicht mehr, sondern arbeiten nur noch mit Gastsängern zusammen — neben Bruno Mars etwa mit Kevin Parker von der Band Tame Impala. Und beim Schreiben der Lyrics haben Sie sich diesmal von dem Bestseller-Autor Michael Chabon helfen lassen. 
Ronson: Ja, weil ich mich dieses Mal wirklich auf meine Stärken konzentrieren wollte. Dazu gehörte die Erkenntnis, dass ich mich mit so vielen guten Leuten wie möglich umgeben muss. Jeff Bhasker zum Beispiel, mit dem ich einen Großteil des Albums geschrieben und produziert habe: Er ist ein klassisch ausgebildeter Jazzpianist, der problemlos tolle Akkordfolgen à la Earth, Wind & Fire aus dem Ärmel schüttelt. Oder eben Michael Chabon, den ich als Autor fantastisch finde. Dank ihm wurden sogar einige andere Lyrics, an denen ich selber geschrieben hatte, viel besser. Man muss eben herausfinden, wo die eigenen Talente liegen und sich auch mal von anderen pushen lassen. Kanye West ist sehr gut in so was. Er weiß genau, in welche Richtung es bei ihm gehen soll, er hält die Fäden zusammen — aber er muss nicht immer alles selber machen.

WIRED: Was ist das eigentlich für eine Zeichnung auf dem „Uptown Special“-Cover? Eine Waschmaschinentrommel?
Ronson: Nein, das ist eine Lautsprechermembran! Wobei man darin im Grunde sehen kann, was man will: eine Autofelge, das Yin-und-Yang-Zeichen — je vieldeutiger, desto besser. Wichtig war mir nur, dass es ein ikonisches Symbol im Pop-Art-Stil ist, wie von Roy Lichtenstein, und dass es gleichzeitig eine Nähe zur Ästhetik von Hip Hop hat. Das Logo hat Brian Roettinger für mich designt, ein toller Künstler aus der L.A.-Punkszene. Er hat schon für St. Vincent gearbeitet und die Band No Age, und auch für Hedi Slimane, den Designer bei Yves Saint Laurent. Ich bin total zufrieden damit. In den fast 15 Jahren, die ich nun schon Musik produziere, hatte ich nie ein richtiges Logo. Public Enemy haben ihr Fadenkreuz, Aerosmith ihren Schriftzug — so etwas wollte ich auch endlich haben. Etwas Ikonisches, das ich für den Rest meines Lebens auf T-Shirts und Poster drucken kann — statt meines Gesichts. 

Welche Sounds werden unsere Zukunft bestimmen? Wer wird sie für uns erschaffen? Und womit? Das war im Februar 2015 den gesamten Monat lang Thema in unserem Special „Zukunft der Musik“ auf WIRED.de. 

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