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Make Social Media social again!

von Johnny Haeusler
Seit gerade mal einem Jahrzehnt gibt es Facebook und Twitter in Deutschland. Nach einem Schnelldurchlauf durch die Social-Media-Historie stellt unser Autor fest: Obwohl und gerade weil derzeit alles in den Händen der drei großen Konzerne ist, bleiben Raum und Gründe für innovative neue Ansätze. Das Internet wird schon liefern!

Vor gut einem Jahrzehnt passierte das, was man als die Geburtszeit von Social Media in Deutschland bezeichnen kann.

Klar, MySpace war vorher da. Und StudiZV hatte den Sourcecode der ersten Versionen von Facebook frühzeitig kopiert und war damit eine Zeitlang erfolgreich in Deutschland. Aber der Durchbruch kam erst später.

Mein erster Tweet wurde am 8. April 2007 in die damals noch recht überschaubare Twitter-Landschaft gesendet, drei Tage vor der ersten re:publica. Die deutschsprachige Version von Facebook startete knapp ein Jahr später, Anfang 2008. Das 2005 gestartete YouTube wurde Ende 2006 an Google verkauft und in den Jahren danach unfassbar erfolgreich (bis heute ist das Videoportal das einzige erfolgreiche Social Network des Unternehmens, das es mit G+ und anderen Versuchen nicht geschafft hat, an die Erfolge von Twitter oder Facebook anzuknüpfen).

Sogar ein wenig Konkurrenz zu den Großen entstand und wurde ebenfalls groß. Whatsapp wurde als privater Kommunikationskanal enorm erfolgreich, Instagram konzentrierte sich auf den visuellen Austausch, und Snapchat etablierte als Reaktion auf Nachrichten und Bilder, die bei Facebook ewig im System bleiben würden, sich selbst löschende Bilder und später „Stories“.

Doch Instagram und Whatsapp wurden 2012 bzw. 2014 von Facebook gekauft. Zwar sind Versuche, auch Snapchat zu übernehmen, bisher gescheitert, jedoch hat Facebook mit Instagram viele Funktionen von Snapchat nicht nur kopiert, sondern auch verbessert und Snapchat damit in Sachen Nutzerzahlen überholt, was wichtig ist nicht nur für Facebooks Vormachtstellung, sondern auch für die Zukunft der ureigenen Plattform, die im Gegensatz zu Instagram von immer weniger jungen Menschen genutzt wird. Aus diesem Grund wird Instagram immer weiter aus- und zum „neuen Facebook“ umgebaut.

Und so kann man getrost behaupten, dass Facebook, Google und Twitter weiter den Internetbereich beherrschen, den wir „Social Media“ nennen. Obwohl die Zeit so reif wäre für ein Neudenken dieses Begriffs und für Alternativen.

Denn auf eine Art ist das, was doch sozial sein soll, kaputt.

Die weitgehende Abwesenheit von wirklich erfolgreicher Konkurrenz hat dabei viele verschiedene Gründe. Als häufigster wird die fehlende Masse bei neuen Projekten genannt, doch das kann nur ein Teil der Herausforderungen sein. Geld spielt eine Rolle, natürlich, Entwicklung, Betrieb und Verbreitung einer ambitionierten Social-Media-Plattform sind eine kostspielige Angelegenheit, wahrscheinlich mit Verlusten über viele Jahre. Ein ernstzunehmender Whatsapp-Konkurrent wie die Signal-App hat als Open-Source-Projekt einfach nicht das gleiche Wachstums- und Fortentwicklungspotential wie ein Facebook-Unternehmen (was sich im Fall von Signal aber vielleicht durch die vom Whatsapp-Mitgründer Brian Acton ins Leben gerufene Signal Foundation ändern könnte).

Und auch Authentizität spielt eine Rolle bei jedem Unternehmen, das sich anschickt, die Großen anzugreifen. Snapchat hatte diese Authentizität zu Beginn, Instagram ebenfalls. Der kürzliche Hype um das zwar zwei Jahre alte, dennoch erst jetzt bekannter gewordene Vero zeigt zudem, wie sensibel auch Nutzerinnen und Nutzer in Bezug auf die Absender eines Netzwerks geworden sind (oder wie schnell die Konkurrenz für schlechte Presse sorgt …), denn auf anfängliche Begeisterung für die neue App folgte Kritik en masse, in erster Linie an den Gründern und Finanziers. Und letztendlich müssen sich neue Netzwerkplattformen auch noch weit genug von der Konkurrenz absetzen, denn es wird nicht leichter, Menschen von der Nutzung eines weiteren zu betreuenden Accounts zu überzeugen. Es gibt Gründe dafür, warum sich Ello von einer Facebook-Alternative hin zu einer Art New-School-MySpace, einer (mir persönlich noch immer etwas unklaren) Mischung aus Behance und Pinterest entwickelt hat. Ein Netzwerk braucht Alleinstellungsmerkmale.

Viele Voraussetzungen müssen also stimmen, damit überhaupt jemand versuchen kann, sich auf dem Feld der sozialen Netzwerke zu behaupten oder gar bestehende Größen vom Thron zu stoßen. Und dennoch, obwohl es schwer bis unmöglich scheint, wird der Zeitpunkt kommen, an dem die bestehenden Plattformen noch erfolgreichere Konkurrenz bekommen. Denn auf eine Art ist das, was doch sozial sein soll, kaputt.

Die Tatsache, dass sich so gut wie alle Plattformen (und teilweise auch die Nutzerinnen und Nutzer) über Werbung finanzieren, hat neben Vertrauensverlusten und weiteren Datenschutzfragen zu einem Wust an schrottigen Inhalten und unbefriedigenden Timeline- und Sortierungsänderungen geführt. Die schiere Masse an Menschen, welche die bekannten und großen Netzwerke nutzen, und die eben auch Spammer und Bots und Fakes anzieht, macht ein gut sortiertes soziales Umfeld, das gleichzeitig aber auch Zufälle und Einflüsse von außerhalb der Filterblasen zulassen will, zu einer Managementaufgabe, die immer weniger Spaß macht. Und die Tatsache, dass radikalpolitische Schreihälse täglich die vermeintliche Machtübernahme in allen Kanälen zelebrieren und Gift verbreiten, um ihren Tag ausschließlich mit der Diskreditierung der aktuellen Gegenseite zu verbringen, hat zu einer Verhärtung der Tonalität oder gar dem völligen Verstummen bei denjenigen geführt, wegen denen wir mal gerne in diesen Netzwerken unterwegs waren.

Es gibt Raum und Gründe für ein Neudenken des Begriffs „Social Media“ und für wirklich innovative, neue Ansätze. Der Bedarf ist noch immer vorhanden, vielleicht sogar mehr denn je. Und so oft ich diesen ganzen Internetkrams auch verfluche, das Wissen darum, dass gerade die Entwicklung von Online-Services nie stehenbleibt und immer wieder neue Ideen um die Ecke kommen, die mich dann doch wieder begeistern, lässt mich hoffen und neue Netzwerke mit Freude erwarten.

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