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„Life Is Strange“: Zeitsprünge und Teenager-Probleme als Videospiel

von Oliver Klatt
Das Adventure „Life Is Strange“ will anders sein als andere Videospiele. In dem fünfteiligen Episoden-Game aus Frankreich macht sich die schüchterne Fotografiestudentin Max gemeinsam mit ihrer besten Freundin Chloe auf die Suche nach einer verschwundenen Mitschülerin. Nicht Action und Gewalt stehen dabei im Mittelpunkt, sondern das alltägliche Mit- und Gegeneinander der Menschen in einer Kleinstadt im Nordwesten der USA. Zur Veröffentlichung der zweiten Episode haben wir uns mit Game Director Michel Koch von Dontnod Entertainment über sein Spiel unterhalten.

WIRED: In vielen Videospielen wachsen wir über uns hinaus und werden zu Helden, Halbgöttern und Rettern der Menschheit. „Life Is Strange“ dagegen erzählt eine viel kleinere Geschichte. Hauptfigur Max will eigentlich nur in Ruhe gelassen werden und Fotos von ihrer Umwelt machen. Weshalb dieser ungewöhnliche Ansatz?
Michel Koch: Von Beginn an stand für uns fest, dass wir mit „Life Is Strange“ ein Spiel machen wollten, dass sich mit Problemen des alltäglichen Lebens auseinandersetzt – ein Slice-of-Life-Game, wenn man so will. So etwas kommt in den meisten anderen Videospielen einfach nicht vor. In denen gibt man fast immer den großen, übermächtigen Helden. Das geht auch vollkommen in Ordnung und macht oft sehr viel Spaß. Anstatt am Action-Kino wollten wir uns aber lieber an Independent-Filmen orientieren, wie sie etwa beim Sundance-Festival gezeigt werden. Filme, die ganz nah ran gehen an ihre Figuren. Filme, die kleine Geschichten aus dem Alltag erzählen. Wir denken, dass da auch in Videospielen noch sehr viel möglich ist.

WIRED: Hauptfigur Max wird im Laufe des Spiels oft vor ambivalente Entscheidungen gestellt, deren Konsequenzen weder für sie noch für den Spieler absehbar sind. Warum war Ihnen das wichtig?
Koch: Wir dachten uns, es könnte interessant sein, die Spieler mit Situationen zu konfrontieren, in denen sie sich auch in ihrem normalen Leben wiederfinden könnten. Alltägliche Konflikte, die von ihnen verlangen, eine Entscheidung zu fällen. Zum Beispiel, wenn ihnen ein guter Freund gesteht, dass er Mist gebaut hat. Die Frage, die sich dann stellt, ist: „Verrate ich meinen Freund? Oder bleibe ich loyal?“ Jeder von uns hat schon einmal etwas ähnliches erlebt. In „Life Is Strange“ werden die Spieler an solche sehr persönlichen Momente aus ihrer eigenen Biografie erinnert. Das kann sehr kraftvoll sein. Deshalb haben wir das Spiel auch als Coming-of-Age-Game konzipiert, denn die Entscheidungen, die wir als junge Menschen fällen, sind oft sehr prägend für unser späteres Leben.

 

WIRED: In ihrem vorherigen Spiel, dem Sci-Fi-Adventure „Remember Me“, ging es vor allem um Geschwindigkeit und Reaktionsschnelligkeit. „Life Is Strange“ dagegen schlägt eine langsamere Gangart ein. Wieso dieser Tempowechsel?
Koch: Wir sind sehr stolz auf „Remember Me“, aber in dem Spiel hatte man kaum Zeit, die Umgebung wahrzunehmen oder gründlich zu erforschen. Mit „Life Is Strange“ wollen wir die Spieler dazu ermuntern, sich Zeit zu nehmen, mit anderen Menschen zu reden und sich die Welt genau anzusehen. Max kann sich zum Beispiel einfach auf den Rand des Springbrunnens setzen, der vor ihrer Schule steht, und sich dabei in ihren Gedanken verlieren. Oder sie setzt sich in ihrem Zimmer auf das Sofa und spielt Gitarre. Oder sie sinniert auf der Schaukel im Garten ihrer besten Freundin über die gemeinsame Kindheit. Wir fanden es wichtig, dass sich ein Spiel, das sich mit den Dramen des Alltags beschäftigt, auch dem Tempo des normalen Lebens anpasst.

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WIRED: Ganz gewöhnlich geht es in Max‘ Leben dann aber doch nicht zu. Denn sie entdeckt, dass sie die Fähigkeit hat, die Zeit zurück zu drehen und dadurch Ereignissen eine andere Wendung geben kann. Warum war das notwendig?
Koch: Damit wollten wir ein wenig Chaos in ihren Alltag bringen. Aber ich bin davon überzeugt, dass wir auch ohne diese Rückspulmechanik ein Videospiel hinbekommen hätten, das sich auf interessante Weise mit dem normalen Leben auseinander setzt. Es gibt viele Situationen in „Life Is Strange“, in denen Max ihre übernatürliche Fähigkeit zwar anwenden kann, aber eben nicht muss. Letztendlich haben wir uns dazu entschlossen, ihr diese Fähigkeit zu geben, weil ihre Entscheidungen dadurch noch mehr Gewicht bekommen: Niemand ist normalerweise dazu in der Lage, die eigenen Handlungen rückgängig zu machen. Max kann das schon. Die Spieler werden daher umso länger darüber nachdenken, welche Wahl Max in diesen Momenten treffen soll. Erschwerend hinzu kommt noch, dass bestimmte Handlungen in Episode 1 oder Episode 2 erst in späteren Episoden Konsequenzen nach sich ziehen. Was anfangs nach einer guten Entscheidung aussieht, kann verheerende Folgen haben. Auch darin ähnelt „Life Is Strange“ dem wirklichen Leben.

WIRED: Der Reiz vieler Videospiele liegt darin, dass die eigenen Handlungen keine Konsequenzen nach sich ziehen. Man verteilt Tod und Schmerzen und wähnt sich dabei immer auf der richtigen Seite. In „Life Is Strange“ dagegen werden die eigenen Entscheidungen ständig in Frage gestellt. Das hat schon fast philosophischen Charakter. Welche Überlegungen standen dahinter?
Koch: Ich will nicht zuviel über die Handlung des Spiels verraten, aber eine der grundlegenden Ideen von „Life Is Strange“ ist es, dass wir alle lernen müssen, mit unseren eigenen Entscheidungen zu leben. Obwohl Max die übernatürliche Fähigkeit hat, die Zeit für kurze Momente zurück zu spulen, wird auch sie die weiter zurück liegende Vergangenheit nicht mehr verändern können. Am Ende des Spiels wird sie daher mit den Konsequenzen ihrer früheren Handlungen leben müssen. Wenn es etwas gibt, was wir den Spielern mitgeben möchten, dann die Einstellung, nicht in der Vergangenheit hängen zu bleiben, sondern nach vorne zu schauen und das vor ihnen liegende Leben in Angriff zu nehmen.

WIRED: Ein weiterer Kontrast zu gängigen Videospielklischees: Anstatt mit einem Gewehr wild um sich zu ballern, schießt Max lieber Fotos. Und auch sonst entspricht sie nicht gerade dem Bild einer klassischen Videospielhauptfigur. Sie ist unsicher und introvertiert. Inwiefern war ihre Persönlichkeit wichtig für die Geschichte und die Botschaft des Spiels?
Koch: Wir wollten zeigen, dass Max in der Vergangenheit gefangen ist. Sie benutzt eine alte Polaroidkamera anstatt eines digitalen Fotoapparats. Die Bilder, die sie in ihrem Zimmer über ihr Bett hängt, sind Momentaufnahmen aus der Vergangenheit. Auch ihre Fähigkeit, die Zeit zurück zu drehen, kann als Ausdruck ihres Unbehagens gegenüber der Gegenwart – und erst recht gegenüber der Zukunft –interpretiert werden. Ihr Blick ist stets auf das Gestern gerichtet. Auch ihr Tagebuch, das man als Spieler lesen kann, steckt voller Begebenheiten, die bereits geschehen sind. Wir haben uns Mühe gegeben, ihre Persönlichkeit und ihre tief empfundene Nostalgie in allen Aspekten des Gamedesigns unterzubringen. Die Farben sind gedämpft und erinnern an alte Filmaufnahmen. Die Menüs sehen aus wie Bleistiftzeichnungen. Max lebt in Erinnerungen und hat ein Problem damit, sich weiterzuentwickeln und erwachsen zu werden.

WIRED: Das einzige, was sie anzutreiben scheint, ist der Drang, kreativ zu sein. Ständig ist sie auf Suche nach Fotomotiven. Die Spieler können diese Fotos sammeln wie Videospieltrophäen. Sie haben jedoch nicht die Gelegenheit, selbst schöpferisch einzugreifen und Max ein interessantes Motiv vorzugeben. Warum diese Einschränkung?
Koch: Anfangs wollten wir Max erlauben, alles und jeden abzulichten. Das hätten wir liebend gern in die Spielmechanik integriert. Leider hat uns dafür am Ende die Zeit gefehlt. Man kann nicht immer alles unterbringen, was man möchte. Aber den meisten Spielern scheint der Fotomodus im Spiel zu gefallen. Wir sehen, dass viele von ihnen „Life Is Strange“ öfter als einmal spielen, um alle Fotomotive zu finden.

WIRED: Einer der Kritikpunkte an Episode 1 war der Slang, in dem sich Max und ihre Mitschülerinnen unterhalten. Wirkliche Teenager würde so niemals sprechen, war hier und da zu lesen. Haben Sie die Gelegenheit genutzt, in diesem Punkt in Episode 2 nachzubessern?
Koch: Es ist ein Vorteil von episodisch veröffentlichten Spielen, dass man in kommenden Folgen Fehler korrigieren kann. Wir nehmen uns Kritik und das Feedback der Spieler sehr zu Herzen. Zu der Sprache von Max und den anderen Figuren muss ich aber sagen: Unser Autor lebt in Kalifornien, und er hat uns versichert, dass seine Nichten, die im selben Alter wie Max sind, genau so sprechen wie die Figuren im Spiel. Mag sein, dass man in anderen Teilen Amerikas anders spricht. Aber ich vertraue ihm da einfach.

Die zweite Episode von „Life Is Strange“ erscheint heute für PC, Playstation 4, Playstation 3, Xbox One und Xbox 360.

 

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