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Kommentar eines Gamers: Interessieren sich Let's Player überhaupt für ihre Spiele?!

von Michael Förtsch
Die Mehrheit der selbst ernannten Netz-Schau-Spieler behandeln Games nicht so, wie die es verdient haben. Das sagt zumindest unser Videospiele-Experte Michael Förtsch. Er findet: Das muss sich ändern! Nur so können Let's Plays mehr als dumpfes Vorgespiele und Gelaber sein. Ein Kommentar.

Es ist jetzt knapp sieben Jahre her, da lädt der Schwede Felix Kjellberg ein Video auf YouTube hoch. Er nennt sich dort PewDiePie. In seinem Clip spielt er eine frühe Version von Minecraft. Es folgen Call of Duty: Black Ops, Amnesia, Happy Wheels und viele mehr. Er scherzt herum und schreit vor Schreck und Ärger. Er hält ungefiltert seine überdrehten Reaktionen während des Spielens fest. Ein Let's Play, wie man es eben heute nennt. Kjellberg ist nicht der erste Entertainer dieses neuen Genres, aber er wird schnell der Erfolgreichste. Seine Show wird zur Blaupause für Tausende Nacheiferer. Einige davon sind heute gleichsam prominent.

Nahezu jeder bekannte Let's Player tut es PewDiePie gleich: spielen und nebenbei quatschen. Das ist gerne professionell inszeniert. Der Stil ist dabei gewollt jugendlich, der Ton kumpelhaft. So einige YouTuber beweisen sich gar als wahre Sprachtalente und profunde Unterhalter.

Let's Plays sind respekt- und ambitionslos

Aber was vermitteln sie über die Games? Oft recht wenig. Vielfach sind Let's Plays eher ein Patchwork aus profanen Anmerkungen, die nacherzählen, was auf dem Bildschirm zu sehen ist. Dazu kommen kleine Witzeleien und private Anekdoten – oder auch mal einfach lapidares Palaver. Das ist nicht verwerflich und scheint für viele Zuschauer unterhaltsam zu sein. Schließlich begeistert es ein riesiges Publikum. Allerdings: Es ist auch respekt- und ambitionslos.

Ungewollt degradieren viele Let's Player mit ihren Shows das Videospiel als Medium und Kunstwerk. Weil es nicht mehr das eigentliche Thema ist, sondern lediglich Anlass zum Reden und Scherzen. Das ist schade. Dabei wäre das Format nämlich perfekt, um Zuschauern die Videospiele nicht nur als beiläufiges Konsumgut und profanen Zeitvertreib zu präsentieren. Sondern auch als Kulturgut. Ja, das sind Games – ein handwerkliches Kunstwerk! Sie zeigen die kreative Leistung von einzelnen Entwicklern oder gar riesigen Teams. Denn ein Game ist eine Komposition aus Mechaniken, grafischen und narrativen Mechanismen, psychologischer Raffinesse und unzähligen Stunden Tüftelei.

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Damit ein Spieler in Uncharted beispielsweise nicht verloren geht, arbeiten Level-Designer mit clever gewählten Farben und mit Bedacht gesetzten Lichtern. Und warum fängt Inside trotz seines simplen Spielflusses und der einfachen Grafik so ein? Das liegt an den Animationen, der Art wie mit ihnen Emotionen transportiert werden und an den vielfältigen Möglichkeiten, die skurrile Story zu interpretieren. Mass Effect: Andromeda hingegen krankt an farblosen Charakteren, einer inkonsistenten Geschichte und seinem furchtbar chaotischen Entwicklungsprozess. Trotzdem ist es imposant zu sehen, wie das Entwicklerstudio Bioware Edmonton riesige Welten in einer Software erschufen, die dafür gar nicht ausgelegt war.

In Let’s Plays ließe sich all das besprechen, würdigen, kritisieren und einordnen. Die Vorspieler könnten sich einem Videospiel mit Herz und Hirn widmen und dabei zeigen, was dieses Medium so besonders macht. Sicher, es gibt bereits Let's Player, die genau das tun. Aber sie bleiben Ausnahmen – leider. Ihnen gelingt es, trotz satirisch-alberner Manier, scharfsinnige Kritik zu üben.

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Freilich: Let's Player sind zu nichts verpflichtet. Jedoch haben sie auch eine gewisse Verantwortung. Was sie sagen, wird nämlich gehört. Sie prägen, wie und als was viele Menschen Videospiele wahrnehmen. Die YouTube-Entertainer beeinflussen, ob Games nur als belanglose Unterhaltung oder als essentielle Beiträge zu Kunst und Kultur gelten. Das sollten sie sich klar machen.

Das Handeln von Let's Playern hat sogar Einfluss auf die Macher der Spiele. Zuschauer erfahren Videospiele durch Let's Plays nicht mehr als interaktive Erlebnisse, sondern als passives Konsumgut – wie einen Film. Bei einem linearen und primär Story-getragenen Werk wie Virginia, Journey oder That Dragon, Cancer wird der Kauf des eigentlichen Spiels deshalb unnötig. Ein Eindruck, der vor allem durch Zuschauer-Kommentare in Foren, auf YouTube und Reddit entsteht. Was passiert, könne man schließlich auch in einem Let's Play herausfinden. Das lässt manchen Entwickler verzweifeln. So groß die Aufmerksamkeit auch ist, so sehr kann ein Let's Play auch den finanziellen Wert eines Videospiels vernichten.

Ebenso verpassen viele potentielle Spieler damit die Erfahrung, die sie selbst beim Zocken hätten gewinnen können. Ihnen wird das emotionale Erlebnis genommen, das Geschehen zu kontrollieren und in das Kunstwerk abzutauchen. Denn nur wer selbst den Controller hält, während er in Dear Esther an der steinigen Küste einer Hebrideninsel entlang stapft, den umfängt ein drückendes Gefühl der Melancholie. In Resident Evil 7 hingegen peinigen den Spieler pure Furcht und Panik, wenn er Nachts durch das verfallene Haus der Bakers schleicht und sich plötzlich ein schwarzes Wesen aus der Wand schält.

Games einfach wie Filme zu schauen, nimmt ihnen den Aspekt, der sie erst zu Videospielen macht. Auch das ist ein Dilemma, das es zu debattieren gilt – vielleicht sogar in einem Let's Play.

Let's Plays kratzen nicht mal an der Oberfläche dessen, was sie leisten sollen

Es ist nicht so, dass ich Let's Play mies reden möchte. Ganz im Gegenteil. Sie sind eine Bereicherung – eigentlich. Einigen verdanke ich die Entdeckung großartiger Indie-Kleinode. Ebenso haben sie manchem Entwickler und seinen Werken erst zu verdienter Bekanntheit verholfen.

Aber: Sie kratzen nicht mal an der Oberfläche dessen, was sie leisten und der Videospielkultur zurückgeben sollten. Sie haben das Potential, nicht nur neuen Titeln eine Bühne zu bieten. Nein, sie könnten auch das Verständnis für und die Wertschätzung von Videospielen fördern. Let's Player müssen die Möglichkeiten nur ergreifen und ihre Verantwortung annehmen. Das sind sie ihrem Publikum schuldig.

 

Dieser Artikel ist Teil der WIRED Story Shots – Denkanstöße zu den wichtigsten Fragen der Digitalisierung. Diese Woche: Let’s Play – sind einige Spiele-Nerds im Internet in Wahrheit Teil einer Entertainment-Revolution?

Teil 1
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Teil 2
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Teil 3
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Teil 4
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Teil 5
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+++ In den vergangenen Story Shots behandelten wir das Thema: Mega-Mensch – Wie verschmelzen wir mit der Technologie? +++

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