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Der Versuch „Marathon unter zwei Stunden“ ist knapp gescheitert

von Benedikt Plass-Fleßenkämper
​Nike wollte nicht nur den Marathon-Weltrekord knacken, sondern die 42,195 Kilometer gleich in unter zwei Stunden laufen lassen. Mit eigens entwickeltem Schuh natürlich. Der Versuch misslang – aber nur sehr, sehr knapp. WIRED hatte zuvor einen Marathonprofi gefragt und analysiert, wie realistisch das Vorhaben sei.

Update 06.05.2017: Der Kenianer Eliud Kipchoge ist so schnell wie vor ihm kein Mensch den Marathon gelaufen. Er kam beim Projekt Breaking2 von Nike im italienischen Monza nach 2:00:25 Stunden ins Ziel. 26 Sekunden fehlten also, um die Marke von zwei Stunden zu brechen

Für die meisten Menschen ist es schon unvorstellbar, die Marathon-Distanz von 42,195 Kilometern überhaupt rennenderweise zu absolvieren. Für Eliteläufer wie Eliud Kipchoge, Lelisa Desisa aus Äthiopien und Zersenay Tadese aus Eritrea ist die Strecke hingegen längst keine Herausforderung mehr, ihnen geht es nur noch um Geschwindigkeit: Für die Nike-Aktion Breaking2 wollten sie den Marathon in unter zwei Stunden rennen – und so die von Dennis Kimetto 2014 in Berlin aufgestellte Bestmarke von 2:02:57 Stunden um gleich drei Minuten unterbieten.

Um diese Fabelzeit zu erzielen, müssten die Läufer durchschnittlich 5,8604 Meter pro Sekunde beziehungsweise 21,0975 Kilometer pro Stunde schnell sein. Das entspricht einem Schnitt von 2:50:64 Minuten pro Kilometer – ein irrwitzig hohes Tempo, das die Sportler physisch und psychisch aufs Äußerste fordert.

Im März hatte das Unternehmen den offiziellen Laufschuh für Breaking2 und die für den Weltrekordversuch auserkorene Rennstrecke vorgestellt. Den weniger als 200 Gramm leichten Zoom Vaporfly Elite designte Nike nach eigener Aussage in 18 Monaten Entwicklungszeit nur dafür, der Zwei-Stunden-Marathon-Schallmauer näher zu kommen. Eine „stabile Carbon-Sohle, 1:1-Flyknit-Oberflächenmaterial und die neuartige ZOOMX-Dämpfung“ sollen die Eckpfeiler des angeblichen Superschuhs sein.

„Das Ziel der Carbon-Sohle ist es, den Energieverlust immer dann zu minimieren, wenn der Läufer über den Zeh abrollt. Das haben wir geschafft, und das ohne dabei die Belastung für die Waden zu erhöhen, wie es bei steifen Laufschuhen oft passiert“, sagt Geng Luo, Biomechanikexperte im Nike Sport Research Lab. Für Konsumenten will Nike den Schuh ab Juni 2017 in drei unterschiedlichen Modellen anbieten, die Spezialanfertigung für den Rekordversuch bleibt allerdings den Profis vorbehalten.

Das wäre der größte Weltrekordsprung seit sehr, sehr langer Zeit. Nur sind wir eben nicht mehr in den 50er Jahren

Philipp Pflieger, Marathonprofi

Neben dem neuen Laufschuh sollte die Strecke perfekte Bedingungen für den Rekordversuch bieten: Nike schickte Kipchoge, Desisa und Tadese auf die Formel-1-Piste von Monza, die mit planem
Asphaltbelag, langen Geraden und idealen Witterungsbedingungen für Breaking2 prädestiniert sein soll.

Bei all dem Rummel, den Nike veranstaltet, liegt die Frage nahe, ob das Ganze nicht nur ein cleverer Marketing-Schachzug des Unternehmens ist. Das glaubt jedenfalls der Marathonläufer Philipp Pflieger, dessen 2015 beim Berlin-Marathon erzielte Bestzeit bei 2:12:50 Stunden liegt und der bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio des Janeiro für Deutschland antrat. Dort erreichte er das Ziel unter erschwerten Klimabedingungen in 2:18:56 Stunden auf Platz 55

„Ich sehe die Aktion als großangelegten PR-Stunt“, sagt Pflieger im Gespräch mit WIRED. „Nike ist eine Firma, die verkaufen will, deshalb gehe ich davon aus, dass es Sinn und Zweck des Ganzen ist, die eigenen Produkte zu promoten.“ Er hält die Fokussierung auf den „Marathon unter zwei Stunden“ für problematisch. „Das wäre meines Wissens nach der größte zeitliche Weltrekordsprung im Marathon seit sehr, sehr langer Zeit. Nur sind wir eben nicht mehr in den 1950er Jahren.“

Die Zeiten eines Haile Gebrselassie, der den Rekord jedes Jahr immer um ein paar Sekunden vorangetrieben habe, seien schon lange vorbei, sagt Pflieger. „Wir sind jetzt an einem Punkt angelangt, wo der Weltrekord nicht mehr Jahr um Jahr verbessert wird – und auch nicht auf jeder Strecke.“ In den vergangenen Jahren habe es nur noch einen Ort gegeben, an dem Marathon-Weltrekorde gelaufen wurden: Berlin.

Diese PR-Nummer wird in einer Zeit durchgezogen, in der Doping in der Weltspitze allgegenwärtig ist

Phillipp Pfleiger, Marathonprofi

Doch noch etwas stört Pflieger an der Nike-Aktion: „Diese PR-Nummer wird in einer Zeit durchgezogen, in der Doping in der Weltspitze allgegenwärtig ist“, sagt der 29-Jährige. Das betreffe nicht nur die Leichtathletik, sondern auch Schwimmer oder Radfahrer. Allerdings habe gerade der Skandal in Russland gezeigt, dass beim Thema Doping in der Leichtathletik „noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht“ sei. „Auch wenn man nach Ostafrika schaut, wo letzten Endes überhaupt keine Trainingskontrollen stattfinden, dann lässt das schon tief blicken“, fügt Pflieger hinzu. 

Er weist außerdem auf die Kontroverse um das Nike Oregon Project hin, die Langstreckenlauf-Medaillenschmiede des Konzerns. „Da sind Praktiken bekannt geworden, sich gewisse Krankheiten attestieren zu lassen, um sich durch die Verwendung verschreibungspflichtiger Medikamente einen Vorteil zu verschaffen“, sagt Pflieger. „Das ist in keiner Weise mein Verständnis von Leistungssport.“ Aus wirtschaftlicher Sicht sei es verständlich, dass Nike die Aufmerksamkeit auf seine neue Schuhlinie lenken wolle. „Aber menschlich und aus Sicht der Profisportler ist es für mich nicht nachvollziehbar.“

Abgesehen von der Doping-Diskussion und der Frage, ob Monza tatsächlich die Optimalbedingungen für ein Rekordrennen bietet, geben auch die bisherigen Bestzeiten der drei Nike-Läufer Anlass, das Breaking2-Projekt kritisch zu sehen. Eliud Kipchoge kann mit 2:03:05 Stunden die mit Abstand beste vorweisen, Lelisa Delisa (2:04:45) und Zersenay Tadese (2:10:41) folgen mit deutlichem Abstand. Immerhin hält Tadese mit 58:23 Minuten derzeit den Halbmarathon-Weltrekord. Dennoch ist es mehr als fraglich, ob ein Läufer heute schon einen Marathon in unter zwei Stunden beenden kann.

Marathon-Experten wie Ross Tucker von der Universität Kapstadt bezweifeln, dass dies vor 2020 der Fall sein wird. Drei Minuten schneller zu laufen, klinge für Freizeitläufer vielleicht nach wenig. Im Elite-Bereich sei das Ausmaß der notwenigen Verbesserung, um unter die zwei Stunden zu kommen, jedoch enorm – vor allem im Hinblick auf die maximale Sauerstoffaufnahme (VO2max) der Läufer, so Tucker.

Selbst ein Top-Athlet wie der Äthiopier Kenenisa Bekele, Weltrekordhalter über 5000 und 10.000 Meter sowie mit 2:03:03 Stunden immerhin der zweitschnellste Marathonläufer aller Zeiten, gibt sich vergleichsweise bescheiden. Bekele glaubt zwar, dass er Dennis Kimettos Weltrekord aus Berlin unterbieten kann, traut sich aber keine schnellere Zeit als 02:01:30 Stunden zu. Eineinhalb Minuten zu viel für Nike.

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