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„Lobbyisten werden das digitale Europa nicht aufhalten“, sagt EU-Piratin Julia Reda

von Max Biederbeck
Das Urheberrecht in Europa muss sich verändern, um mit der digitalen Welt noch Schritt zu halten. Einen vielbeachteten Vorschlag dazu lieferte die EU-Parlamentarierin und Piratin Julia Reda. Doch nun versuchen Lobby-Organisationen, ihre eigenen Vorstellungen durchzudrücken — mit einer Flut von Änderungsanträgen. WIRED Germany hat mit Reda über den Kampf um die Reform gesprochen.

Die Piraten-Europaabgeordnete Julia Reda wird nicht mehr zu jeder Party eingeladen. Vergangene Woche erst bat zum Beispiel eine französische Verwertungsgesellschaft zur Abendveranstaltung. Thema: Urheberrecht im digitalen Zeitalter. Hohe Angehörige des französischen Senats gaben sich die Ehre, sogar die Kultusministerin selbst. Und eigentlich ist das Urheberrecht auch Redas Kernthema. Die EU-Parlamentarierin verfolgte die Feier allerdings nur auf Twitter — und las dort einen Angriff nach dem anderen auf ihre Person, wie sie sagt.

Reda hat mit ihren Reformvorschlägen zum Urheberrecht Anfang des Jahres einiges durcheinandergewirbelt in den Hinterzimmern Europas. Sie fordert unter anderem eine Abschaffung des Geoblockings. Also von jenen nationalen Urheberrechtsregeln, die Usern vor allem in Form eines Satzes begegnen: „Dieser Content kann in Ihrem Land nicht wiedergegeben werden.“ Der Piratin geht es aber auch um andere Themen, von der rechtlichen Gleichstellung von E-Books und klassischen Büchern bis hin zu einem geregelten Sharing von GIFs. Reda möchte aus der EU einen einheitlichen digitalen Rechtsraum machen. Netzpolitik.org bezeichnete ihre Vorschläge Anfang des Jahres als die sinnvollsten, „seitdem das erste Katzenvideo im Internet veröffentlicht wurde.“ Was durchaus als Kompliment gemeint war. Dennoch wehren sich vor allem große Interessensorganisationen gegen den Reda-Report.

WIRED Germany hat die Piratin in Berlin getroffen, um mit ihr darüber zu sprechen, welchen digitalen Weg die EU gerade geht und inwiefern Lobby-Organisationen in Zukunft unser Online-Recht schreiben werden.

WIRED: Letzte Woche gab es 556 Änderungsanträge zu deinen Reform-Vorschlägen für das Urheberrecht. Kommen die alle von Lobby-Organisationen?
Julia Reda: Viele der Änderungsvorschläge kenne ich jedenfalls auch aus Papieren von Lobbyisten. Mitglieder der CDU haben allein über 100 Anträge eingebracht. Die französische Regierung ist auch extrem aktiv in der Debatte: Französische Abgeordnete hatten Änderungswünsche ihrer Regierung schon an dem Tag in der Schublade, an dem ich meinen Report veröffentlicht habe. Die Vorabversion hatten eigentlich nur die Verhandlungsführer. Jemand hat sie wohl weitergegeben.

WIRED: Die Zahl der Änderungsanträge ist viel größer als bei anderen Vorlagen. Es scheint viel Gegenwind zu geben.
Reda: Eine große Zahl von Anträgen heißt nicht unbedingt, dass alle dagegen sind. Das kann auch ein Hinweis darauf sein, dass die Fraktionen sich nicht einig sind. Je mehr Zersplitterung, desto kontroverser.

Wir müssen Geoblocking innerhalb der EU abschaffen.

WIRED: Aber du sagst doch selbst, dass oft Vertreter der Industrie dahinterstecken.
Reda: Hinter der Zersplitterung? Ja, das tun sie definitiv, die Verwertungsgesellschaften vor allem. Die bringen einen ganz merkwürdigen Spin in die Debatte. Eine der großen Forderungen aus meinem Bericht lautet, Geoblocking innerhalb der EU abzuschaffen. Jetzt kommt auf einmal von vielen Seiten das Argument, das Sperren von Inhalten in bestimmten Gebieten sei total wichtig für die kulturelle Vielfalt.

WIRED: Weil nationale Künstler oder Filmemacher es dann vielleicht leichter haben, sich gegen internationale Konkurrenz zu behaupten?
Reda: Das ist aber doch ein extrem zynisches Argument. Das sagt ja im Grunde: Nur weil wir alles sehen können, schauen wir nur noch amerikanische Serien, und man müsste die heimische Kultur schützen.

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WIRED: Kultureller Protektionismus, oder?
Reda: Das wird vor allem von der Filmindustrie propagiert, weil sie gerne Kinofilme zu unterschiedlichen Zeitpunkten in einzelnen Ländern an den Start bringen würde. Das ist ein Marketingmodell, das aus der Zeit vor dem Internetzeitalter stammt.

Ich lasse mich nicht zum Spielball machen.

WIRED: Fassen wir zusammen: vorgeschobene Argumente, politischer Druck und Einflussnahme. Obwohl deine Vorschläge nicht einmal Gesetz sind, sondern nur ein Positionspapier. Klingt nach „House of Cards“.
Reda: Ich lasse mich nicht zum Spielball machen, aber normal ist die Anzahl der Änderungsanträgen nicht. Bevor ich zur Berichterstatterin im Parlament zu diesem Thema wurde, haben schon einige Industrievertreter versucht, meine Ernennung zu verhindern. Zum Beispiel der Composers Club hier in Berlin. Ich habe noch den Brief, den die damals geschrieben haben. Da steht drin, dass meine Fraktion doch gefälligst jemand anderen nominieren soll.

WIRED: Können Plattformen wie das vergangene Woche vorgestellte LobbyPlag etwas an solchen Strukturen ändern? Dort wird aufgedeckt, wenn ein Abgeordneter einen Text einfach von der Lobby übernimmt.
Reda: Ich hoffe, dass LobbyPlag Abgeordnete dazu motiviert, von Anfang an transparent zu sein. Dass sie zeigen, wie sie auf ihre Ideen kommen. Es ist ja grundsätzlich nicht problematisch, mit einer betroffenen Interessensgruppe über ein Thema zu reden. LobbyPlag kann aber zeigen: Wenn man den Änderungsanschlag einer Lobby-Gruppe „Copy+Paste“ übernommen hat und das nicht ausweist, dann gibt es Probleme.

WIRED: Klingt nach Wunschdenken, warum keine pflichtmäßige Transparenz?
Reda: Ich bin dafür. Eine Möglichkeit wäre der „legislative Fußabdruck“, wie ihn auch Transparency International fordert.

Lobbyisten müssen sich an mehr Aufmerksamkeit gewöhnen.

WIRED: Und bis es so ein Gesetz irgendwann mal gibt, zählt das Wort der Politiker? Auch dein Wort?
Reda: Ich arbeite an einer Lösung, die Vertrauen schaffen könnte. Ein Lobby-Kalender, der komplett live und aktuell funktioniert. Wir müssen es noch technisch hinbekommen, dass man im Parlamentskalender nur ein Häkchen setzen muss, um einen Termin publik zu machen. Ich habe auch schon zusammen mit meinen Urheberrechts-Vorschlägen eine Liste aller Personen veröffentlicht, die um Treffen gebeten haben.

WIRED: Das werden viele sicher nicht mögen.
Reda: Lobby-Gruppen müssen sich an die neue Aufmerksamkeit gewöhnen. Sie werden ein digitales Europa nicht aufhalten. Wir haben mit ACTA die sehr gute Erfahrung gemacht, dass das Parlament die neuen Vetorechte, die es seit dem Vertrag von Lissabon hat, auch nutzt, wenn es genügend Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit für ein Thema gibt.

Viele Änderungsanträge sind völlig weltfremd.

WIRED: Du glaubst also nicht, dass dein Bericht am Ende so verwässert aus der Debatte herausgeht, dass du nicht mehr dahinterstehen kannst?
Reda: Die Gefahr besteht. Letzten Endes denke ich, desto mehr wir die Debatte in die Öffentlichkeit ziehen, desto besser das Ergebnis. Viele der Änderungsanträge, die da vorgebracht werden, sind völlig weltfremd. Zum Beispiel fordern einige deutsche Abgeordnete, dass das Setzen von Links auf urheberrechtlich geschütztes Material schon eine Urheberrechtsverletzung darstellen soll. Aber das ist totaler Quatsch.

WIRED: Quatsch, der am Schluss in einer EU-Richtlinie oder Verordnung stehen könnte?
Reda: Wenn das da am Schluss drin steht, findest du jedenfalls nicht meinen Namen darunter. 

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