Hinweis zu Affiliate-Links: Alle Produkte werden von der Redaktion unabhängig ausgewählt. Im Falle eines Kaufs des Produkts nach Klick auf den Link erhalten wir ggf. eine Provision.

Digital ist besser / Johnny Haeusler sieht Connected Cars auf dem falschen Weg

von Johnny Haeusler
Ich hatte in den letzten Monaten die Gelegenheit, einige aktuelle Fahrzeuge der Mittel- und auch Oberklasse auszuprobieren und habe nebenbei auch viel über technische Entwicklungen gelesen. Nicht nur in Hinsicht auf die Gerüchte um Apple- und Google-Cars hat mich dabei vorerst nur die Integration unserer elektronischen Lebensweise interessiert, denn die selbstfahrenden Autos gibt es ja noch nicht.

In teureren, gut ausgestatteten Autos befinden sich schon seit Jahren mehrere Dutzend Mikrochips, im Inneren moderner Wagen ist das Digitale also schon lange Standard. Der aktuelle Fokus der Automobilbranche richtet sich in der Kommunikation mit Fahrerinnen und Fahrern eher nach Außen, an den Kunden als Smartphone- und Social-Media-Abhängigen. Das Zauberbuzzwort vom “Connected Car”, dem verbundenen Auto, ist dabei in aller Munde und versetzt das Marketing der Branche in pure Verzückung.

“Bei dem neuen Modell können Sie jederzeit auf ihrem Smartphone nachschauen, wieviel Benzin noch im Tank ist. Und Sie können auch jederzeit sehen, wo es geparkt ist!” Der Fachmann einer großen ausländischen Automarke hatte einen fast verschwörerischen Unterton, als er mir von dieser Innovation berichtete, als habe er mir gerade eine Handvoll Bitcoins zugesteckt. Mein Einwand, dass ich in 32 Autofahrerjahren noch nie vergessen habe, wo mein Wagen geparkt ist, schien er für Spinnerei zu halten. Und auch mein Hinweis, dass ich die Tankfüllung doch immer dann sehen könnte, wenn ich im Wagen sitze, von wo aus er sich bisher auch wesentlich besser zur Tankstelle fahren ließe, schien seiner Begeisterung keinen Abbruch zu tun.

Als ich dann noch erzählte, dass ich eine solche Smartphone-App auch aus Sicherheitsbedenken lieber nicht haben wolle, wirkte er etwas beleidigt. Doch ich gehe tatsächlich davon aus: Wenn ich per Internet prüfen kann, wo mein Wagen steht, dann können das auch andere. Zum Beispiel Autodiebe. Und sie können auch gleich nachschauen, welche Strecken es regelmäßig zurücklegt und wann es in der Regel wie lange und wo unbeaufsichtigt herumsteht. Und ob der Tank voll ist.

“Das System kann auch direkt mit ihren Social-Media-Accounts verknüpft werden!”. Der Mann war seiner kaum zu bremsen. “Sie können dann ihren Freunden auf Facebook mitteilen, wo sie sich gerade befinden oder Twitter updaten.”

Ich freue mich schon auf die kommenden Facebook-Posts. “Günther Schmidt is currently standing in a 12 Kilometer Stau on the A7 Richtung Kassel. Cheer him up by clicking LIKE now!” Im Ernst: Fragt noch irgendein Ingenieur oder Entwickler nach dem Sinn dieses ganzen Wahns?

 

In einem Familien-Wagen eines anderen Herstellers prangte ein recht großes Display über dem Armaturenbrett. Kein iPad, kein Android-Tablet, sondern ein eigenes Display mit einem eigenem Betriebssystem. Da die Automobilbranche eher schwerfällige Entscheidungs- und Produktionszyklen zu haben scheint (die in Angesicht der erheblich längeren Nutzungsdauer eines Autos im Vergleich zu einem Smartphone verständlich sind), bedeutet das in der Praxis: Navigationskarten mit der Auflösung aber ohne den Charme eines Pacman-Levels, Menüführungen, die man zuletzt beim Nokia N95 im Jahr 2007 gesehen hat und die komplete Abwesenheit von User Experience. Über das Design solcher Systeme und ihrer Icons möchte ich lieber komplett den Mantel des Schweigens legen.

Ich fragte mich schon, warum ich noch ein Display brauche.

Natürlich kann man auf diesen Displays sehen, wo der Wagen parkt und wie viel Benzin er noch hat, irgendwie ist es auch möglich, das eigene Smartphone per Bluetooth zu koppeln, aber ich fragte mich schon, wozu ich noch ein Display brauche, noch dazu eines mit schlechterem Betriebssystem als das, was ich bereits besitze und bei mir trage.

Was es in beiden erwähnten Fahrzeugen übrigens nicht gab: Eine vernünftige Halterung für mein Smartphone und eine Stromversorgung dafür ohne die Notwendigkeit, ein Kabel durch den halben Wagen zu legen.
Liebe Automobilindustrie, ich glaube, du bist in Sachen Connected Cars ein bisschen falsch abgebogen. Pardon the pun.

Sieh’ mal: Wir haben bereits recht leistungsfähige Kleinstcomputer in unseren Taschen, auf denen Navigationssysteme laufen, die euren integrierten ein paar Jahrtausende voraus sind. Da der Trend bei diesen Geräten zu relativ großen und hochauflösenden Displays geht, braucht es gar nicht eure Aufgabe zu sein, zusätzliche Displays und Betriebssysteme in die Wagen zu bauen. Denn die haben wir ja schon.

Das, was ich mir wünsche, ist viel leichter zu realisieren: Das Auto als Hotspot. Datenflatrate inklusive (die mickrigen Kosten dafür versteckt ihr einfach im Preis des Wagens). Mein Smartphone verbindet sich mit dem WLAN des Autos, das durch eine zusätzliche Antenne den bestmöglichen Empfang hat. Der Wagen hat eine clever durchdachte und im Dashboard integrierte Halterung für Smartphones aller Größen inkl. GPS-Verstärker und Stromversorgung (doch, das geht), ich möchte keinerlei Kabelgestrüpp im Wagen. Natürlich stellt sich die Bluetooth-Verbindung automatisch her, der Zugriff auf Musik, Radio, Navi, Telefon, Nachrichten und einzelne Funktionen des Wagens erfolgt per Sprachsteuerung und mittels eigener App. Die Passagiere hinten können ihre Tablets leicht an den Rückseiten der Vordersitze anbringen, auch hier ist eine integrierte Stromversorgung vorhanden. Der Sound des Rücksitz-Entertainments lässt sich – wenn keine Kopfhörer benutzt werden – unabhängig steuern. Fertig ist die Laube, äh, die Karre.

Keine jetzt schon veraltet wirkenden eigenen Displays, keine eigenen oder angepassten Betriebssysteme, für deren Update ich Module ausbauen und zuhause mit einem Windows95-PC verbinden muss. Ach ja, und: Becherhalter und Ablagen bitte. Viele Becherhalter und Ablagen. Danke.

GQ Empfiehlt
Johnny Haeuslers digitaler Wunschzettel

Johnny Haeuslers digitaler Wunschzettel

von Johnny Haeusler