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Youtuber vs. Kanzlerin: Ärgert euch nicht über LeFloids Fragen — sondern über Merkels Antworten!

von Johnny Haeusler
Es war das erste Interview, das Florian Mundt alias LeFloid je geführt hat. Und so war der 27-jährige Psychologie-Student, dessen Monologe auf YouTube regelmäßig von über zwei Millionen ZuschauerInnen gesehen werden, sichtlich nervös, als er im Rahmen der Kampagne „Gut leben in Deutschland“ auf Bundeskanzlerin Angela Merkel traf, um ihr eine Auswahl der unter dem Hashtag #NetzFragtMerkel eingesammelten Fragen zu stellen. Unser Kolumnist Johnny Haeusler hat das Interview gesehen — und die Reaktionen darauf.

[Update:] Mehr als eine Woche nach seinem viel diskutierten Interview mit Angela Merkel hat sich der YouTuber LeFloid zum ersten Mal selbst dazu geäußert. In seinem aktuellen #FragFloid-Video spricht er über den „Merkel-Stunt“ und zeigt all den Kritikern erst mal den Stinkefinger. Den teils riesigen Erwartungen seiner Kritiker und dem Vorwurf, dass er zu zahm gefragt habe, begegnet der 27-Jährige so: „Offensichtlich sollte ich mich da hinsetzen, einmal laut Penis rufen, dafür sorgen, dass die Kanzlerin anfängt zu heulen und das Interview abgebrochen wird.“ 

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LeFloid betont auch noch einmal, dass er für das Gespräch nicht bezahlt wurde. Warum er es dann gemacht hat? „Weil es die fuckin' Kanzlerin war und ich ein fuckin' YouTuber bin, der die fuckin' Kanzlerin interviewen wollte.“ Wäre das also geklärt. Dass das Interview für LeFloid eine Art Challenge war, hatte unser Kolumnist Johnny Haeusler schon letzte Woche analysiert. Lest hier nochmal seinen Text zu LeFloid vs. Merkel:

LeFloid ist nicht doof. Er wusste, dass er sich auf eine PR-Aktion des Bundespresseamts eingelassen hatte, und er wusste, dass ihm wohl kaum gelingen würde, was selbst die Profis unter den PolitjournalistInnen nicht schaffen: Die Teflon-Kanzlerin aus der Reserve zu locken. Die Motivation, das Interview-Angebot anzunehmen, lag bei LeFloid sicher weniger im Irrglauben, er könne Sensationelles aus Frau Merkel herausholen. Sondern sie entsprang seiner Gamer-Historie: Hier ist eine Aufgabe, kannst du sie meistern? Mal sehen, ich werde es wenigstens probieren. Challenge accepted!

Im Gegensatz zu den US-YouTuberInnen, denen man im Januar 2015 im Rahmen der Vorlage-Aktion #YouTubeAsksObama immerhin einen an ihre eigenen YT-Kanäle angepassten Hintergrund spendierte, wirkte LeFloid im mehr als kargen Setting des Gesprächs fehlplatziert und verloren. Mit genügend Abstand zum Schwingstuhl der Kanzlerin, die staatstragend vor der Kulisse des Reichstagsgebäudes positioniert wurde, durfte er seine Fragen stellen und war seiner eigenen Kultur schon visuell völlig beraubt. Für beinharte Rückfragen war er zudem zu wohlerzogen und für aggressives Nachhaken zu aufgeregt. Man hätte Mitleid mit LeFloid haben können. Wären ihm nicht ein paar kleine, subtile Tricks gelungen, durch die man die geradezu arrogante Grundhaltung der Bundeskanzlerin ihrem Volk gegenüber deutlich erkennen konnte. 

Immerhin. Nach zehn Jahren Amtszeit beginnt die Bundeskanzlerin, mit dem Volk zu sprechen!

In Anspielung auf den ähnlichen, bereits im Frühjahr des Jahres gestarteten Versuch, mit Merkel ins Gespräch zu kommen, fragt LeFloid eingangs, warum sich die Kanzlerin jetzt erst darauf einlässt, Fragen aus Neuland zu beantworten. Und sie sagt: „Jetzt passt einfach gut, weil wir unseren Dialog mit den Menschen in Deutschland begonnen haben.“ Immerhin. Nach zehn Jahren Amtszeit beginnt die Bundeskanzlerin, mit dem Volk zu sprechen!

Mehr Stories über den YouTube-Kosmos in der WIRED-Collection: Inside YouTube

Von Dialog kann dabei natürlich keine Rede sein. Merkel hält Hof und sagt an. Zuhören ist nicht ihre Stärke. Die Sorgen und Bedürfnisse, die junge und ältere Menschen in Form von Fragen bei der Aktion eingereicht haben, sie werden allesamt abgewiegelt.

TTIP? — Keine Bange, alles super, wer Schlimmes vermutet, hat keine Ahnung, weiß Merkel.

Merkel scheint nicht zu verstehen, dass die junge Wählerschaft, die sie zu erreichen versucht, unter dem guten Leben etwas anders versteht als sie.

Rassismus in Deutschland? — „Wehret den Anfängen!“, fordert sie, und es klingt, als solle sich das Volk mal schön selbst kümmern.

Einheitliches Abitur? — Die Bundesregierung hat nicht vor, sich dabei einzumischen. Alles bleibt also, wie es ist, und an keiner Stelle des Gesprächs bekommt man den Eindruck, dass Merkel versteht, dass die junge Wählerschaft, die sie zu erreichen versucht, unter dem guten Leben etwas anders versteht als sie. Denn sie selbst bleibt das Maß der Dinge.

Besonders klar wird das an den Stellen, an denen es kulturell knallt und die Chefin deutlich werden muss. Eine Legalisierung von Marihuana wird es nämlich unter Merkel ebensowenig geben wie die Ehe für Homosexuelle. Sie betont das, und verstrickt sich dabei in begrifflichem Hin und Her. Wie die Kanzlerin nämlich bestimmte Privilegien nur für bestimmte Bevölkerungsgruppen beibehalten und dabei gleichzeitig „nicht diskriminieren“ will — das erklärt sie leider nicht.

Oft spricht die Kanzlerin von „wir“ und meint damit die Bundesregierung. Und manchmal sagt sie „ich“ und meint damit — das ist das Gefährliche — ebenfalls die Bundesregierung. Egal, wie oft sie betont, dass Politik eben auch aus Kompromissen besteht: die Haltung der Kanzlerin bleibt die der Regierung und damit basta.

Man spürt an diesen Stellen die Chancen von LeFloid, der die Kanzlerin bewusst an einige Stellen geführt hat, an denen sie sich wiederholt widerspricht. Dass er daran scheitert, diese Widersprüche noch klarer herauszuarbeiten, mag ich ihm nicht vorwerfen, denn dazu ist er einfach zu unerfahren und vielleicht sogar zu nett. Aber das wussten wir und er auch vorher. Dass LeFloid die Herausforderung dennoch angenommen und nicht gekniffen hat, was sicher leichter gewesen wäre, bleibt ein wichtiges Signal in Zeiten, in denen es beliebter ist, ins Netz zu kotzen, als sich schwierigen Aufgaben zu stellen. Der Ärger, dem manche Stimmen in den sozialen Netzwerken nun Luft machen, sollte sich nicht auf LeFloid und seine Überbringung der Fragen beziehen. Sondern auf die Antworten von Angela Merkel. 

Ein paar weiterführende Gedanken gibt es zudem bei SpreeblickIn der letzten Folge „Digital ist besser“ lobte Johnny Haeusler den Radiosender Beats 1 bei Apple Music. 

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