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Digital ist besser / Verlage, stampft eure Websites ein — reloaded

von Johnny Haeusler
Vor einer Woche schrieb ich an dieser Stelle, die Tage für klassische Websiteformate von Verlagen seien gezählt. Nachrichten müssten stattdessen dorthin gehen, wo die Menschen sind: zu Facebook, YouTube, Twitter, WhatsApp, Snapchat und all den neuen Kommunikationsdiensten, die wir heute noch gar nicht kennen. Das hat eine Diskussion ausgelöst, auf die ich heute reagieren möchte.

Es hat mich sehr gefreut, dass es auf meine Kolumne der letzten Woche jede Menge Reaktionen gegeben hat, nicht nur via Twitter oder Facebook, sondern auch in Blogposts wie denen von Don Dahlmann, Felix Schwenzel, Igor Schwarzmann, Erik Hauth oder Claus Hesseling.

Insgesamt hielten sich Zustimmung und Widerspruch zu meinem Gedankenspiel die Waage, die meisten Kommentatoren verstanden die absichtlich polarisierende Herangehenweise, nur wenige fühlten sich beinahe persönlich angegriffen. Als hätte ich behauptet, man brauche in naher Zukunft kein Faxgerät mehr. Einige kritische Stimmen haben mir aber auch gezeigt, dass ich offenbar etwas unscharf oder verkürzt argumentiert habe, weshalb ich in dieser Woche den Ball gerne noch einmal aufnehmen möchte.

Zunächst ist es nicht so, dass ich die von mir beobachtete Entwicklung, deren Schlussfolgerung ich in meiner zugespitzten Empfehlung habe münden lassen, besonders prima finde. Ganz im Gegenteil. Ich bin selbst ein Website-Typ, betreibe schließlich mindestens eine eigene und mag das virtuelle Zuhause, dass eine solche Seite sein kann. Mir ist außerdem der Kontrollverlust völlig bewusst, den eine Publikation erleben kann (aber keineswegs muss), wenn sie auf eine eigene Website verzichtet. Ebenso „wünsche“ ich mir die beschriebene Entwicklung nicht, sondern stelle fest, dass sie bereits stattfindet.

Ich wünsche mir die beschriebene Entwicklung nicht. Ich stelle fest, dass sie bereits stattfindet.

Meine Söhne und ihre Freunde, alle zwischen 12 und 17 Jahren alt, nutzen so gut wie nie Websites im klassischen Sinne (meint: sie tippen keine URLs in einen Browser ein, um bestimmte Sites aufzurufen und sie haben auch keine Bookmark-Listen). Sie nutzen den Desktop-Computer oder Laptop ausschließlich für Games und ab und zu für die Schule, doch das Internet passiert zu geschätzten 90 Prozent über ihr Smartphone oder Tablets. Auf diesen nutzen sie YouTube, WhatsApp, Snapchat, Twitch, Facebook noch ein bisschen und Twitter nur selten. Informationen und Nachrichten beziehen sie in allererster Linie als Bewegtbild, das ihnen ohne Umwege auf Facebook, per WhatsApp-Nachricht und natürlich direkt auf YouTube begegnet. Absendermarken sind ihnen dennoch bekannt und wichtig, doch die Website von LeFloid haben sie noch nie besucht. Er hat ja auch gar keine.

Nun sind Jugendliche nicht das Maß aller Dinge, und der eigene Nachwuchs schon gar nicht. Aber die Tatsache, dass eine ganze Generation mit Apps statt Websites aufwächst und ein komplett anderes Netznutzungsverhalten an den Tag legt als ihre Eltern, darf als gegeben angesehen und zumindest in Betracht gezogen werden, wenn man über mögliche Entwicklungen der nächsten Jahre nachdenkt. Genauso wie das eigene Verhalten.

Ich lasse meine Filterblase und den Zufall für mich kuratieren.

Die meisten Artikel oder Nachrichten, die mir täglich begegnen, gelangen über Kommunikationskanäle zu mir. Das regelmäßige Absurfen diverser Sites oder Bookmarks habe ich mir vor vielen Jahren abgewöhnt, denn es gibt einfach zu viele gute Quellen. Ich lasse daher meine recht umfangreiche Filterblase und den Zufall für mich kuratieren. Wenn ich von Kommunikationskanälen spreche, meine ich nicht nur die bekannten sozialen Netzwerke, sondern — ein weiterer Unterschied zur jungen Generation — auch die klassische E-Mail oder RSS-Feeds. 

Auffallend selten lese ich dabei einen Artikel auf der tatsächlichen Homepage der Absender-Publikation. In den allermeisten Fällen stellt mir mein RSS-Reader eine besser lesbare und werbefreie Version des Textes dar. Oder ich speichere einen Link in der Pocket-App oder bei Pinboard, wo ich ihn bei späterer Lektüre ebenfalls in einer eigenen und von der eigentlichen Site der Absendermarke unabhängigen Form dargeboten bekomme. Es gibt zwar Verlage oder Publikationen, von denen ich recht häufig Artikel lese. Aber fast nie auf deren Website, sondern zu geschätzten 75 Prozent durch den Zugriff auf ihre Datenbank mittels eines Lese-Tools wie den zuvor beschriebenen. Wenige Ausnahmen habe ich als App auf meinem Smartphone, stelle aber fest, dass ich diese ebenfalls eher selten aufrufe. 

Jede Publikation, jeder Verlag braucht einen irgendwie gearteten ‚Hafen‘.

All diese Beobachtungen haben mich zu dem Text von letzter Woche animiert. Dass jede Publikation, jeder Verlag einen irgendwie gearteten „Hafen“ braucht (nicht nur für das Archiv), dem stimme ich natürlich zu. Und dass journalistische Marken sich nicht an Unternehmen, die als Aggregatoren fungieren, „ausliefern“ sollten — das unterschreibe ich. 

Ich bin aber genau deshalb der Meinung, dass das Modell der Homepage für große Content-Anbieter überdacht werden darf. Mir ist klar, dass Experimente wie die von nowthisnews, wenn überhaupt, bisher nur mit Bewegtbild funktionieren können. Also mit Videos, in denen eigene Werbekunden fest eingebunden sind. Doch so zu tun, als wäre die Website der Weisheit letzter Schluss, halte ich für falsch, denn dazu agieren jüngere Unternehmen zu schnell und das Internet hat uns schon oft gezeigt, wie rasch sich Gewohnheiten ändern können und wie stark neue Technologien oder Services das Nutzerverhalten beeinflussen können.

Soziale Medien brauchen immer noch Content-Produzenten und Marken.

Statt sich über den Kontrollverlust Sorgen zu machen, wäre es vielleicht schlauer, schon jetzt zu überlegen, wie auf eine bereits stattfindende Zukunft reagiert werden kann. Die Kontrolle über die Distributionskanäle von News haben die klassischen Publikationshäuser längst verloren, denn an den sozialen Medien haben sie bisher keinerlei Anteil. Dass diese Kanäle aber bereits begonnen haben, nicht nur die Links zu Inhalten, sondern die Inhalte selbst abzubilden, steht fest. Aber eben auch, dass sie dafür Content-Produzenten und Marken brauchen. Die generelle Funktion von Verlagen und Marken als vertrauenswürdige Absender und Kuratoren wird also keineswegs überflüssig. 

Felix Schwenzel schreibt in seiner Replik auf meinen Text: „Ich halte die Idee, dass News-Outlets auf eigene Webseiten verzichten sollten, weil sie dorthin gehen sollten, wo die Leute sind, für Quatsch. Das ist ein bisschen so wie zu sagen: Wer abends ausgeht um zu trinken, Leute kennenzulernen oder abzuschleppen, sollte vorher seine Wohnung kündigen.”

Ich würde den Vergleich anders formulieren: Wer abends ein Bier trinken gehen will, geht nicht in die Brauerei, sondern in ein Lokal seiner Wahl. Dort gibt es Biere verschiedener Marken, von denen keine auf die Idee kommen würde, eine eigene Kneipe zu eröffnen. 

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