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Binaural Bits / Jen Simmons mischt die Männerdomäne Tech-Podcasts auf

von Teresa Sickert
Die Tech-Branche ist von Männern dominiert — bei Podcasts über Software, Gadgets und das Internet ist es nicht anders. Doch ein Beispiel macht Hoffnung auf mehr Frauen, die online über Technologie sprechen: Jen Simmons mit ihrem Podcast „The Web Ahead“.

Es war das Chaosradio bei meinem Heimatsender Fritz, das mich informierte, wenn es um Technik, Internet und Gesellschaft ging. Jeden Monat lauschte ich den Stimmen der Männer, die da im Radio etwas über Videoüberwachung oder Open-Source-Software erzählten. Sie machten mich damals neugierig auf die Welt der Technologie, die sonst so wenig Platz den Medien fand. Mit der Zeit griffen immer mehr Podcasts Themen aus dem Tech-Bereich auf: „CRE“ entstand als Ableger des Chaosradios. „Alternativlos“, das „Logbuch Netzpolitik“ und viele mehr kamen hinzu. Eins fiel mir jedoch auf: Ich hörte immer nur männliche Stimmen.

Zehn Jahre später hat sich viel getan: Das Chaosradio feiert seinen 20. Geburtstag, die Liste an deutschen Podcasts, die sich an der Schnittstelle zwischen Gesellschaft und Technik bewegen, umfasst an die 70 Angebote. Technik-Podcasts gehören damit zu den beliebtesten Genres. Eines allerdings ist gleich geblieben: Wie 2005 lausche ich immer noch hauptsächlich Männern, die über Technik fachsimpeln. Frauen? Fehlanzeige. Unter den mehr als 70 Tech-Podcasts gibt es nur einen, der allein von Frauen gemacht wird. Dass Frauen in deutschen Tech-Podcasts unterrepräsentiert sind, spiegelt ihre generelle Situation in der Tech-Branche wieder. Gerade einmal 14 Prozent der MINT-Fachkräfte (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) sind weiblich.

Aufschlussreich, tiefgehend und für eine Show über Technologie sehr menschlich.

Die USA sind das Vorzeigeland, wenn es um eine hochentwickelte Podcast-Szene geht. Trotzdem spiegeln auch hier die männlich dominierten Tech-Podcasts die Tatsache wieder, dass nur etwa ein Viertel der US-amerikanischen Arbeitskräfte in der IT weiblich sind. Doch zwischen den vielen Tech-Podcasts der Männer findet sich eine Frau: Jen Simmons macht den Podcast „The Web Ahead“.

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Seit dreieinhalb Jahren beschäftigt sie sich darin mit neuen Technologien und der Zukunft des Internets. Den Blick in die Zukunft wagt die New Yorker Webdesignerin immer gemeinsam mit einem Gesprächsgast. Die Themen reichen von CSS-Animationen über Videoblogging bis hin zu Online-Bezahlsystemen. Simmons Gäste und Hörer schätzen vor allem ihre Fähigkeit tief einzusteigen und trotzdem das Gespräch so unterhaltsam zu gestalten, dass auch Nicht-Techies dabei bleiben. „Jen Simmons ist eine meiner Lieblings-Interviewerinnen“, sagt zum Beispiel der Webdesigner und Entwickler Ethan Marcotte. „Die Gespräche in ‚The Web Ahead‘ sind aufschlussreich, tiefgehend und — für eine Show über Technologie — sehr menschlich.“

Man hat das Gefühl, einem Gespräch zweier Menschen zu lauschen, die sich schon lange kennen.

Der Podcast verzichtet dabei völlig auf großes Audiogetöse: kein Jingle am Anfang, keine Musik. Jen sagt die Nummer und das Thema der aktuellen Folge an und gibt einen kurzen Überblick, was in den nächsten anderthalb Stunden passieren wird. Dann begrüßt sie ihren Gast. Der Einstieg ist immer persönlich. Es geht nicht sofort um technische Details, sondern um kleine Anekdoten aus dem Leben der Interviewpartner. So erzählt etwa eine Content-Strategieberaterin von ihrem zweiten Standbein, einer Hühnerfarm, oder ein HTML-Experte spricht von seiner kranken Tochter. Ich bekomme dadurch das Gefühl, einem Gespräch zweier Menschen zu lauschen, die sich schon einen ganze Weile kennen.

Trotzdem schafft es Jen immer wieder, schnell und elegant zum eigentlichen Thema zu führen, ohne dass ein Bruch in der Konversation entsteht. Nur wenige Minuten später geht es nicht mehr um die Hühnerfarm, sondern um die Leidenschaft beim Entwickeln mit PHP, CSS oder Java.

Eine solche Persönlichkeit fehlt der weiblichen deutschen Podcast-Landschaft.

Auch Jen Simmons kam nicht auf direktem Wege in die Technikwelt. Ende der Achtziger studierte sie Soziologie, mit den Nebenfächern Theater und Mathematik, arbeitete dann in verschiedenen Theater- und Kunstprojekten, bei denen auch technischer Sachverstand wichtig war. Darüber kam sie schließlich zum Medien- und Webdesign und zum Programmieren. Nach mehr als fünfzehn Jahren Erfahrung in diesem Bereich startete Simmons 2011 „The Web Ahead“ — mit dem Anspruch, das Wissen über das Netz zu vergrößern und so das Netz selbst zu verbessern. In über 100 Folgen hat sie nun schon mit 85 (mehrheitlich männlichen) Vordenkern und kreativen Köpfen der Tech-Szene über die Zukunft des Internets philosophiert.

Warum sie das Netz wirklich ein bisschen besser macht? Jen Simmons ist eine der wenigen weiblichen Stimmen im Technikumfeld, die gehört werden. Und: Ihren männlichen und weiblichen Gesprächspartnern begegnet sie immer auf Augenhöhe und mit dem nötigen technischem Sachverstand. Eine solche Persönlichkeit und ein Podcast wie „The Web Ahead“ fehlen der weiblichen deutschen Podcast-Landschaft. Es bleibt zu hoffen, dass Jen Simmons und ihr Format hierzulande ein Vorbild sein können. Und für alle, die es satt haben immer nur Männern zu lauschen, ist „The Web Ahead“ sowieso Pflicht.

In der letzten Folge „Binaural Bits“ warf Eva Raisig einen Blick in die Welt der Tiere, die man im Netz hören kann. 

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