Das Leben von Haruna Yakawa und Kenji Goto sollte 200 Millionen Dollar kosten. So viel jedenfalls wollte die Terror-Organisationen „Islamischer Staat“ für die beiden Japaner haben, die bereits vier Monate zuvor in Syrien in Gefangenschaft geraten waren. Im Januar 2015 wurde ein Video mit den Lösegeldforderungen im Netz veröffentlicht. Wie das aussah, kann man sich denken: die Opfer knien in orangefarbenen Overalls, dazwischen steht ein junger Mann in Schwarz und droht mit dem Messer.
Als direkte Antwort tauchten kurze Zeit später auf Twitter die ersten Memes auf. Etwa ein mit Photoshop bearbeiteter Screenshot des Videos, doch anstatt der knienden Japaner wurden zwei Steinköpfe von den Osterinseln in das Bild montiert. Ein anderes zeigt den Maskierten mit dem Messer, aber nicht in der syrischen Wüste, sondern in einem bunten Animé-Setting. Statt Hass und Wut gab es Spott und Absurdes.
Am 24. Januar eröffnete dann ein Nutzer des japanischen Message-Boards 2channel einen Thread mit dem Titel: „Lasst uns aus ISIS ein Moe-Mädchen machen und es ihnen schicken.“ Moes sind niedliche, stupsnasige Zeichentrick-Charaktere und damit das absolute Gegenteil vom Bild, das der „Islamische Staat“ von sich zeichnet, indem er Köpfe abschneiden und auf dem Bauch liegende Gefangene von Kindern erschießen lässt.
Ziel der Aktion von 2channel war die Bildsuche von Google. Wer zum Beispiel künftig nach den Schlagworten „Haruna Yakawa" und „IS“ sucht, dem soll die Suchmaschine Bilder von einer schwarz gekleideten Zeichentrickfigur anzeigen, die mit einem Messer eine Melone aufschneidet. Und keinen Kopf abtrennt. Es war die Geburtsstunde von ISIS-chan.
ISIS-chan ist das Maskottchen der japanischen Meme-Offensive
Im Japanischen kann „Chan“ am Ende eines Namens als verniedlichendes Suffix dienen, so wie wir aus dem Hans ein Hänschen machen. Entsprechend knuffig ist auch ISIS-chan, das kleine ISIS-chen, das Maskottchen der japanischen Meme-Offensive. ISIS-chan hat große grüne Augen und fransige Haare, die unter der Kapuze ihres kokett geschnittenen Hidschab hervorlugen.
Über das japanische Twitter-Handle ISISVipper gewinnt sie seit Anfang des Jahres ein Stückweit die symbolische Deutungshoheit im Netz zurück. Mit scheinbarer Naivität kapert sie die brachiale Bildsprache der Islamisten. Eine wichtige Rolle spielen darin Codes und Symbole – schwarze Fahnen, orangene Overalls und, ja, auch abgeschnittene Köpfe.
Die Videos und Fotos der Morde werden über die sozialen Netzwerke verbreitet, da hilft keine Zensur und erst recht keine Drohne. Das haben auch japanische Twitter-Nutzer erkannt. Ihr Aufruf lautet, die mehr als 90.000 Kanäle der Islamisten auf Twitter mit Bildern des kleinen Manga-Mädchens zu verstopfen. Man wollte die ISIS-Propaganda mit „enjoy“ und dem „easy way“ durcheinander bringen, heißt es in einem Twitter-Eintrag.
Und die Terror-Marke IS fürchtet Labels wie „enjoy“ und „easy way“ ähnlich wie der Teufel das Weihwasser. Die terroristische Vereinigung will von ihren Gegnern dämonisiert und gefürchtet werden. Ein Grund dafür ist die mächtige Waffe Angst. 2014 hinterließen die unmotivierten Verbände der irakischen Armee den herannahenden Islamisten kampflos Waffen im Wert von mehr als 1 Milliarde Euro. Der schlechte Ruf des IS ist quasi Geld wert. Und damit die ganze Welt begreift, wie ernst es ihnen ist, brüsten sich die schwarz gekleideten Gestalten im Internet mit ihren Gräueltaten und ermorden Menschen als Teil ihrer kranken Inszenierung.
Ende Januar wurden Yukawa und Goto vom IS ermordet. Trotzdem einigten sich die Erfinder von ISIS-chan auf Richtlinien, die für alle gelten sollen, die ein neues Meme in die Welt setzen. Tabu ist unter anderem, den Islam und den Propheten Mohammed zu beleidigen sowie Koranstellen zu benutzen. ISIS-chan will dem Hass und der Propaganda mit Comic-Bildchen begegnen und nicht zum Teil der Gewaltspirale werden. Welchen Effekt Japans Antwort auf den Terror hat, lässt sich noch nicht abschätzen. Aber nachhaltiger als Drohnenanschläge dürfte sie allemal sein.