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Zeichen gegen Hass und Gewalt / Computerspiele für die Rechte von Transgender

von Daniel Ziegener
#JamForLeelah ist ein Game-Jam für die verstorbene Teenagerin Leelah Alcorn. Ein Zeichen gegen Hass und Gewalt.

Am 28. Dezember 2014 sah Leelah Alcorn keinen Ausweg mehr als den Tod. Ein Nachtzug erfasste die 17-jährige um zwei Uhr Morgens. Ihr Abschiedsbrief erscheint kurz darauf online — als Tumblr-Post. Seit sie klein war, habe sie gewusst, dass sie ein Mädchen ist, schreibt sie. Ihre Umwelt aber habe sie wie einen Jungen behandelt. Vor allem die jahrelange Ablehnung ihrer evangelikalen Eltern habe sie in den Suizid getrieben. Ihr letzter digitaler Aufruf: „Mein Tod muss etwas bedeuten. Mein Tod wird auf die Zahl der Transgender gerechnet werden, die dieses Jahr Selbstmord begehen. Ich will, dass ihr euch diese Zahl anschaut und sagt ‘das ist abgefuckt‘ und es repariert. Repariert diese Gesellschaft. Bitte.“

Jeder dritte Transgender-Teenager unter 20 Jahren hat schon versucht, sich das Leben zu nehmen. Die Gründe dafür liegen in eben jener Ablehnung, die auch Leelah erlebte. Die Ablehnung der Eltern, die die Identität ihrer Kinder leugnen. Die Ablehnung einer Gesellschaft, die zu steigender Gewalt gegen Homosexuelle und Transgender führt. Von diesen Zahlen spricht auch Leelah in ihrem Abschiedsbrief. 


Die Spieleentwicklerin Kara Jayne hat sich den Aufruf des Mädchens zu Herzen genommen. Leelahs Interesse an Videospielen inspirierte sie dazu, in ihrem Gedenken einen Game Jam zu veranstalten. Bei Game Jams erstellen verschiedene Teams in einem kurzen Zeitraum Spiele, oft zu einem vorgegebenen Thema.

Im vergangenen Monat fand der #JamForLeelah statt. Eins seiner Ziele war es, auf eine Petition aufmerksam zu machen, die sich für ein Verbot von Konversionstherapie einsetzt. Bei dieser Behandlungsmethode werden Abweichungen von der hetero- und cissexuellen Norm als psychische Störungen behandelt — eine Therapie, deren Verbot auch in Deutschland diskutiert wird. Außerdem gehen Einnahmen für verkaufte Spiele als Spenden an transpositive Organisationen wie das Transgender Law Center.

Am Schluss stehen 22 Spiele mit dem Thema Transgender.

Über den Zeitraum eines Monats entstanden insgesamt 22 Spiele. Die meisten von ihnen dauern nur wenige Minuten und stehen größtenteils kostenlos, teils für ein paar Dollar zum Download bereit. Schon im Aufruf bat Jayne darum, bei allen Beiträgen Transgender mit einzubeziehen. Diesen Wunsch berücksichtigte der Jam: Es sollte nicht nur über Transgender, sondern miteinander geredet werden. Das führte zum persönlichen, teils sehr intimen Ton der Spiele. So sind viele Beträge mit leicht zugänglichen Werkzeugen wie Twine oder dem RPG Maker entstanden, die auch Menschen ohne viel Erfahrung mit der Spielentwicklung die Möglichkeit geben, eine Idee umzusetzen.

Manche Spiele wollen Cisgender-Personen, deren körperliches Geschlecht mit der eigenen Geschlechtsidentität übereinstimmt, einen Perspektivwechsel ermöglichen. Manche erzählen von konkreten Realitäten von Transgender. Andere vermitteln ihre Inhalte über abstraktere Motive und Spielmechaniken. Alle setzen Transgender-Heldinnen und Helden in die Hauptrolle und brechen mit dem allgegenwärtigen Standard des weißen, stereotyp männlichen Videospiel-Charakters.

Im Puzzle „Fit In“ etwa müssen bunte geometrischen Formen zurechtgeschnitten werden, damit sie in die für sie vorgesehene Lücke passen — blau oder rosa, Junge oder Mädchen. Es ist nicht einfach nur ein Puzzle. Die Formen bitten in Texteinblendungen darum, nicht beschnitten zu werden, äußern ihre Schmerzen. Spielende haben zwei Möglichkeiten: Sie folgen den Regeln des Spiels und zerstören die Puzzleteile — oder sie brechen die Regeln und damit die Norm auf. Jedes Puzzleteil kann bleiben, wie es ist. Es ist ein simples Spiel, sowohl technisch als auch spielerisch. Dennoch demonstriert es eindringlich den normativen Zwang zum binären Geschlecht.

In „SEAQUEST1992“ entdeckt ein Fisch-Mensch eine grelle Unterwasserwelt, deren kantiger Grafik-Stil an 3D-Konsolenspiele der 90er Jahre erinnert. Zwischen Traum und Realität erzählen ein Wesen von seinen Wünschen: statt Beinen eine Flosse zu haben und statt aus blauen lieber aus grünen Pixeln zu bestehen. So setzt ein transformativer Prozess der Spielfigur ein, mit dem sie aber auf Ablehnung stößt. Es scheint bizarr: Ob es nun eine grüne oder blaue Pixelfigur ist, warum sollte dieser Unterschied von Bedeutung für die anderen sein?

Delicate Threat“ lässt Spielende in rasanter Geschwindigkeit über einen leuchtenden Pfad navigieren, der zu den traumatischen Erinnerungen der Spielfigur führen. Die eigentlich alltäglichen Szenarien offenbaren schnell eine Albtraumhafte Atmosphäre. Das Spiel „To put it simply“ erzählt direkt die Geschichte von Leelah Alcorns Tod und verknüpft dabei ihren Abschiedsbrief, Nachrichten und Polizeiberichte. 

Insgesamt sind es 22 Spiele, die auf 22 verschiedene Arten Geschlecht, Identität und Druck von Außen thematisieren. Videospiele werden so zum perfekten Medium, um über das Zusammenspiel von Normen und Gewalt zu sprechen. Die entstandenen Werke schaffen Regeln, die von Spielenden befolgt werden müssen und sie selbst unter den Druck gesellschaftlicher Zwänge stellen.

Die transfeindliche Gewalt in unserer vermeintlich offenen Gesellschaft ist ein Thema, so dringlich, dass jede Kunst- und Ausdrucksform sich mit ihm beschäftigen muss. Eine Handvoll Videospiele wird keine anhaltende gesellschaftliche Veränderung herbeiführen können. Aber sie können mit ihrer Kreativität Mut machen und neue Fragen aufwerfen. Alles davon ist nötig, denn Leelah Alcorn schreibt zu recht in ihrem Abschiedsbrief: Diese Gesellschaft muss repariert werden. 

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