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Das Spiel des Sommers ist ein düsteres, verstörendes Meisterwerk

von Timo Brücken
Draußen ist Sommer, aber unser Autor sitzt wie gefesselt vor seiner Xbox: Warum es sich lohnt, trotz Sonnenschein in die lichtarme Welt des Indie-Games Inside abzutauchen.

Die besten Spiele sind manchmal die ohne Story. Games, die ohne den Ballast einer Erzählung auskommen, nichts erklären und einen trotzdem unwiederbringlich in ihre Welt ziehen. Inside, der neue Titel der dänischen Indie-Entwickler von Playdead, ist so ein Spiel.

Es beginnt harmlos: Ein Kind rutscht einen Abhang hinunter und landet in einem düsteren Wald. Ob Junge oder Mädchen ist nicht zweifelsfrei festzustellen, so weit entfernt von der Figur hängt die Kamera. Aus der Seitenperspektive geht es los, sprichwörtlich über Stock und Stein. Bis zu diesem Punkt könnte Inside noch ein harmloses Jump ‘N‘ Run sein, ich erwarte jeden Moment die erste Fee, die mich zum Pilzesammeln schickt.

Stattdessen tauchen maskierte Männer mit Taschenlampen auf, die schießen, wenn ich mich in den Lichtkegel verirre. Höllisch schnelle Bluthunde, denen ich nur durch Rennen und Im-letzten-Moment-über-die-Klippe-Springen entkommen kann. Wenig später Harpunen an Spiraldrähten, die mich niederstrecken und meinen leblosen Körper aus dem Bild zerren, wenn ich den falschen Schritt gemacht habe.

Diese Welt ist eine feindliche, das lerne ich ziemlich schnell in Inside – wenn auch sonst nicht viel: Das Spiel kommt völlig ohne Hintergrundgeschichte aus. Kein Erzähler, keine Texttafeln, keine Dialoge, nicht einmal Schreie gibt die Hauptfigur von sich, wenn sie stirbt. Stattdessen wird geschwiegen im Angesicht des Horrors – was ihn um so verstörender macht.

Was ist das für eine Welt mit ihren toten Wäldern, verfallenden Fabrikanlagen und Schweinefarmen voller Kadaver? Wie ist das Kind hier gelandet? Wer sind die Maskierten mit den Taschenlampen und welche kranken Experimente machen sie mit den anderen Menschen, die wie Zombies umherschlurfen? Alles Fragen, die der Spieler sich selbst beantworten muss, während er durch die Level rennt, springt und schleicht.

Inside ist purer Minimalismus, nicht nur bei der Story: Schwarz, Weiß und Grau dominieren, der rote Pullover der Hauptfigur ist oft der einzige Farbtupfer. Wenn die Lichtkegel der Taschenlampen ihn aufleuchten lassen, wirkt es, als zielten die Verfolger mit Laserpointern. Die Steuerung beschränkt sich auf zwei Aktionstasten – Springen und Interagieren –, mit denen sämtliche Verfolgungsjagden, Hindernisse und Rätsel gemeistert werden können. Auch das muss ich anfangs ganz allein herausfinden. Tutorial? Gibt es nicht.

Wie kann ein so simples Spiel nur eine solche Tiefe entwickeln, frage ich mich, als ich nach zweieinhalb Stunden zum ersten Mal ungläubig den Controller weglege und es draußen dunkel geworden ist. Wie hält es mich trotz der oft bockschweren Rätsel und Dutzenden digitaler Tode motiviert, obwohl ich zuletzt keinen einzigen Triple-A-Titel mehr durchspielen konnte (noch nicht mal das großartige Doom, irgendwann fehlte einfach der Antrieb)? Noch so eine Frage zu Inside, die nicht so leicht zu beantworten ist.

Vielleicht ist es gerade das Nichts-erklären-Wollen, weil man nichts erklären muss. Das Selbstbewusstsein, ohne komplizierte Story und Tonnen von Waffen und Features auszukommen und sich ganz auf die Atmosphäre verlassen zu können. Die ganze Tragweite des Horrors nur andeuten zu müssen, um ihn in der Fantasie des Spieler umso stärker werden zu lassen.

Denn was wirklich hinter dem Schrecken steckt, versteckt das Spiel lange Zeit im Hintergrund, beiläufig und aus der Entfernung kaum sichtbar. Irgendwann begreift man: So genau will man es auch gar nicht wissen. Der Titel Inside soll nämlich nicht sagen: Geh tiefer rein! Sondern: Du bist längst drin, hau ab!

WIRED hat Inside auf der Xbox One getestet, die PC-Version erscheint am 7. Juli. Preis auf beiden Systemen: 19,99 Euro 

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