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Die kommunistischen Videospiel-Automaten der Sowjetunion

von Dominik Schönleben
Auch im Kommunismus gab es Computerspiele. Doch auf den Spielautomaten der Sowjetunion gab es kein „Pac-Man“, kein „Space Invaders“ oder „Donkey Kong“. Alle Spiele mussten der Ideologie der kommunistischen Einheitspartei entsprechen. Heute werden die letzten Maschinen aus dieser Ära in einem Museum in St. Petersburg ausgestellt.

15 Kopeken — ungefähr der Preis eines Laibs Brot — kostete in den 80ern die Flucht aus dem tristen Alltag der Sowjetunion. Es war der gleiche Eskapismus, den auch Kinder aus dem Westen erlebten: die Münze klirrte, der Automat piepte und eine Kinderhand drücke den Start-Knopf, um in eine andere Welt zu entkommen. „Es gab nicht viele elektronische Dinge, mit denen Menschen Spaß haben konnten in der Sowjetunion“, sagt Oksana Kaplunenko, die Kuratorin des Museum der sowjetischen Arcade Machines. Aber wenn es eines gab, dass die Menschen als Ablenkung liebten, sagt Kaplunenko, dann seien es die Spielautomaten gewesen.

Die ersten Automaten in der Sowjetunion kamen aus der ganzen Welt. Bei der Technik-Ausstellung ATTRAKTSION 1971 präsentierten 50 verschiedene Firmen aus 11 Ländern ihre besten Arcade-Maschinen. Und der Andrang war enorm — 20.000 Besucher sollen die Ausstellung täglich besucht und sich lange Schlangen vor den über 100 Automaten gebildet haben.

Auf der Messe waren es noch amerikanische und japanische Klassiker, die die Besucher begeistert haben. Doch als die Beamten des Kulturministeriums den Andrang auf die Maschinen sahen, fassten sie einen Plan: Der Kommunismus braucht seine eigenen Spielautomaten. Keines der ausländischen Geräte verließ das Land wieder, sie kauften den Herstellern die Maschinen ab. Doch die Bevölkerung bekam sie nie wieder zu Gesicht.

Stattdessen bauten Militärfabriken in der Sowjetunion die Maschinen nach und imitierten ihre Spielmechanismen — was sie dabei veränderten, war der Inhalt der Spiele. „Jede Maschine musste ihrer Ideologie folgen“, sagt Kaplunenko. „Wir bekamen kein ,Pac-Man‘ oder ,Space Invaders‘ — was nicht existiert, sollte auch nicht in Spielen existieren.“ Außerirdische und Gespenster hatten keinen Platz im Geist der Sowjetunion. Stattdessen übersetzten die Macher traditionelle Kinderspiele ins Digitale, inszenierten den Krieg oder sportlichen Wettbewerb. Alle Games durchliefen eine rigorose Kontrolle.

Die meisten Automaten die im Museum erhalten sind, wurden während der späten 80er gebaut, oftmals zehn Jahre nach der Veröffentlichung ihrer westlichen Pendants. Bis zu 5000 Rubel kostete solch eine Maschine zu dieser Zeit, nahezu der Preis eines Autos in der damaligen Sowjetunion.

„Manchmal erfanden die sowjetischen Entwickler auch eigene Spiele, aber das war selten. Meist wurde nur das Thema eines Spiels verändert — technisch gesehen war es aber eine Kopie einer westlichen Maschine“, sagt Kaplunenko und erklärt, wie aus dem westlichen „Sea Devil“ das sowjetische „Sea Battle“ wurde. Es war kein Videospiel, sondern wie die meisten Game-Maschinen der Sowjetunion noch ein mechanisches Arcade-Spiel, bei dem man durch ein U-Boot-Periskop blickte, um auf Zerstörer-Jagd zu gehen. Kaplunenkos Lieblingsspiel hingegen ist einer der wenigen originären Titel der Sowjetunion: „Gorodki“, die Videospiel-Umsetzung des traditionellen Kegelns, das sie früher auf dem Schulhof gegen ihre Freunde mit Stöckchen gespielt hatte.

Im Gegensatz zu „Sea Battle“ war „Gorodki“ bereits ein digitales Spiel. Man versucht im Game, ähnlich wie bei seiner Realvorlage, mit einem Stock eine aus Holzkegeln gebildete geometrische Form abzuräumen. Das ist Teil der russischen Kulturgeschichte und wird bis heute als Mannschaftssport gespielt.

Viele der Arcade-Spiele, die im Museum in St. Petersburg ausgestellt sind, können auch online im Browser gezockt werden. Damit sie für die Nachwelt erhalten bleiben, wurden die alternden Maschinen als Digital-Umsetzungen gerettet. Auf der Website des Museums gibt es „Gorodki“ und viele andere der Games — darunter auch „Sea Battle“.

Die Arcade-Maschinen zumindest digital zu bewahren sei wichtig, sagt Kaplunenko. Denn sie zu reparieren, werde immer schwieriger. Nur in den seltensten Fällen sind die Geräte in gutem Zustand erhalten, meist wurden sie im Lauf der Jahrzehnte ausgeschlachtet, weil ihre Einzelteile so wertvoll waren. Die funktionsfähigen Ausstellungsstücke wurden meist aus mehreren Automaten zusammengeschraubt. Doch die Ersatzteile gehen langsam zur Neige.

Das Nachbauen der alten Technik ist schwierig und selten eine Option: Die Baupläne wurden vor langer Zeit vernichtet, weil sie wegen der Fertigung in Militärfabriken der Geheimhaltung unterlagen — sie kamen nie an die Öffentlichkeit. Im Gegensatz zu den in Japan und Amerika kommerziell gefertigten Maschinen gab es auch keine Anreize, die sowjetischen Pendants kostengünstig zu bauen. Um in Kilogramm angegebene Produktionsziele zu erreichen, wurden viele der Bauteile aus Plastik durch Metall ersetzt. Eine sowjetische Maschine wiegt deshalb zwischen 160 bis 180 Kilogramm, während es bei einer amerikanische eher um die 140 Kilogramm sind.

Anstatt wie einst in Kinos oder kleinen Hallen in Freizeitparks stehen die letzten 40 von insgesamt 60 funktionierenden Automaten heute im Museum der Sowjetischen Arcade Maschinen in St. Petersburg. Ein weiteres Arcade-Museum gibt es auch in Moskau.

Wie zu Zeiten des kalten Kriegs kann man 15 Kopeken in den Automaten werfen und loszocken. Es ist das letzte Fenster in diese krude Welt des Gamings, die lange Zeit hinter dem Eisernen Vorhang verborgen blieb. 

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