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OKStupid / Vom Wissen, dass man in Dating-Apps gar nicht wirklich gemeint ist

von Liuiu
Dating-Apps und Verkupplungsplattformen gaukeln einem immer wieder vor: Du wirst gewollt! Zumindest auf den ersten Klick. Doch sind nicht Online-Profile nur eine von vielen Konstruktionen, die wir von uns selbst ins Netz legen? Ein literarischer Gastbeitrag unserer Online-Dating-Kolumne über den Habitus auf Tinder & Co.

Wir ziehen die Wälle höher, halten uns an Einsamkeiten und unseren Touchscreens fest. Donnerstagabend, App Store auf, einmal alles bitte: Bumble, Tinder, OKCupid — der Rest ist mir zu Elite. Sich einmal kategorisch beschreiben, aufschreiben, copy/paste, überall alles. Los.

Zuerst war da, dass ich mich durch mich selbst hindurch scrollen musste. Was will ich dir sein — der mich da finden soll zwischen generierten Wisch- Gesten? „Die Geste zählt“, sagen sie. Um mitmachen zu dürfen, muss ich mich also ansehen, einmal durchexerzieren und dann konstruieren. Ich mache dir ein Bild von mir, Multichannel. Hier hast du ein Profil — aber ich glaube schon beinahe selbst kaum mehr, dass ich das bin.

Ich scrolle mich minutenlang durch Menschen und verachte mich.

Dann war da das Matchen. Links, rechts, kurz innehalten — ich versuche etwas zu sehen, komme aber kaum dahinter, hinter das Profil. Listen von Lieblings-Dingen. Und ich frage mich, wer seinen Superlativen noch trauen kann. Unterdessen vertraue ich der Frischhaltefolie.

„I am totally into...“ — I don't think so.

Links, links, links — das Wischen als Geste: taktisch, choreographisch. Manchmal ist jemand dazwischen, in einem Dazwischen, das man unter den laufenden Dingen unterbringen kann. Ich scrolle mich minutenlang durch Menschen und verachte mich, weil es irgendwo unter „Reserve“ läuft. Egal. Weiter. Nachrichten trudeln ein. Generisch — copy/paste — copy/waste. Es gelten neue Zeitlichkeiten. Diese Anschreiben an ein Profil, in die Richtung (m)einer Darstellung, verfallen rasch. Übermorgen musst du dich schon nicht mehr auf sowas melden.

Eine Handvoll Karten von Gesichtern. Die Berührung zwischen etwas total ernst Gemeintem und etwas, das jemand mitgenommen hat. Irgendwo dort lese ich eine eigentümliche Stimmung: Die angesehen Profile legen sich wie eine Karte auf die Stadt, wie eine Mulitlayer-Super-Zielgruppe, und werden zum Mapping von Begehrensstrukturen.

Ich kann nicht antworten, aber auch nicht nichts antworten.

Ich kann nicht antworten, aber auch nicht nichts antworten. Ich antworte und dabei ist da niemand. Ich sage „Ich sehe dich nicht“ und dabei wollte ich doch einfach nur mal wieder Chemistry spüren. Aber was bedeutet es denn schon, in jemanden hineinzublättern und ihn dann zu überblättern? Als hätte jemand etwas gesagt und dann war es doch nicht da. Gelöscht. Check.

Ach, einen Moment noch: Ich habe mich selbst ertappt. Ich wische mich durch mich selbst hindurch, über mich hinweg. Die vorliegende Tätigkeit führt zu nichts. Ich wische links über mich selbst hinweg, sehe kurz in den Badezimmerspiegel.

Ich hab mich bis ans Ende von Tinder gewischt, um zu merken, dass du mich gar nicht gemeint hast.

Diese Kolumne wird wöchentlich von mehreren AutorInnen unter Pseudonym verfasst. Alle Folgen findet ihr hier

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