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Zukunft der Musik / „YouTube und Spotify klingen einfach nicht gut“ — Klangtüftler Ryan Smith über den perfekten Sound

von Jan Wehn
Ryan Smith ist Mastering Engineer in den legendären Sterling Sound-Studios in New York. Der 42-jährige kümmert sich täglich um den glasklaren Klang von Musik. Er optimiert Reissues alter Bluesplatten, aber auch neue Alben von AC/DC oder die letzte Beyoncé-Live-DVD. Im WIRED-Interview spricht Smith über den Sound von heute, den Klang der Zukunft und den Krieg der Lautheit.

WIRED: Mr. Smith, was ist für sie guter Sound? 
Ryan Smith: Das sieht jeder Mastering Engineer ein bisschen anders. Ein guter Klang ist immer etwas sehr subjektives. In meinem Job muss ich die unterschiedlichen Musikgenres kennen und ihren Klang unterscheiden. Denn Jazz- oder Heavy-Metal-Stücke haben ja einen ganz anderen Sound als das gewöhnliche Pop-Album. Aber egal, um welche Musikrichtungen es geht, am Ende muss alles stimmig und präsent klingen. Als Mastering Engineer bin ich die letzte Instanz, die die Musik vor der Veröffentlichung noch einmal aufpoliert. Ich sorge also für den Klang, den der Konsument später wahrnimmt und als gut empfindet.

Lautheit ist nicht das gleiche wie Lautstärke.

WIRED: Was bedeutet das genau?
Smith: Die Stimmen sollten gut zu verstehen sein, und eine prägnante Bassline darf zwischen all den anderen Instrumenten und Klängen nicht untergehen. All das gilt es aufeinander abzustimmen. Ein guter Sound sollte alles in allem angenehm klingen. Aber es geht natürlich immer auch darum, was der Kunde sich wünscht. 

WIRED: Was wünschen sich denn, sagen wir, AC/DC für einen Sound von Ihnen?
Smith: In der modernen Musik von Bands wie AC/DC wird ein bestimmtes Level an Lautheit erwartet. Lautheit ist dabei aber nicht gleichzusetzen mit Lautstärke. Die Lautheit beschreibt, wie die Lautstärke eines Stückes wahrgenommen wird. Und dieser Lautheitspegel muss heutzutage sehr hoch sein. Das kann ich gut nachvollziehen, einfach aus dem Grund, dass die Lautheit die Musik wettbewerbsfähig macht. Ein Stück, das bei iTunes geshuffelt wird, soll ja möglichst nicht gegen andere absaufen. Aber ich reize den Lautheitspegel nie weiter aus als nötig. Denn wenn man eine bestimmen Schwellenwert überschreitet, kommt es immer zu einer Verschlechterung des Klangs.

In den Achtziger- und Neunzigerjahren tobte ein Krieg zwischen den Plattenfirmen.

WIRED: Dennoch ist es ja so, dass Musik im Laufe der Jahre immer lauter geworden ist. Man spricht dabei vom sogenannten Loudness War oder Lautheitskrieg.
Smith: Den Lautheitskrieg gab es schon zur Zeit der Vinyl-Schallplatte. Schon damals wollten Künstler genau so laut wie oder lauter als ihre Kollegen klingen. Besonders wenn man gemeinsam auf Samplern vertreten war oder nacheinander im Radio lief. Doch die Schallplatte hat der Lautheit gewisse Grenzen gesetzt. Mit der Einführung digitaler Speichermedien wie der CD ist dieses Limit dann aber weggefallen. Insbesondere in den Achtziger- und Neunzigerjahren tobte ein Krieg zwischen Plattenfirmen, Künstlern und Mastering Engineers, in dem es darum ging, wer den lautesten Sound kreieren konnte, ohne dabei alles vor die Wand zu fahren. 

WIRED: Woher kommt diese Fixierung auf das Laute? Ist der lauteste Musiker auch der erfolgreichste?
Smith: Das denken zumindest viele. Laut bedeutet für die meisten Hörer immer auch besser. Ich spiele Leuten in meinem Studio manchmal zwei unterschiedliche Versionen von ein und demselben Song vor, bei der sich die Pegel nur um wenige Dezibel voneinander unterscheiden. Und obwohl der Unterschied kaum wahrzunehmen ist, tendieren die Leute dazu, die vermeintlich lautere Version besser zu finden. Im ersten Moment mag eine lautere Aufnahme vielleicht auch attraktiver auf den Hörer wirken, aber mit der Zeit ermüden unsere Ohren davon und machen die Musik ungenießbar.

Viele Stücke klingen heute wie ein großes weiches Allerlei.

WIRED: Warum ist das so?
Smith: Dadurch, dass versucht wird, mit einem höheren Lautheitspegel ans Limit des Möglichen zu gehen, gibt es keinen differenzieren Sound mehr. Viele Stücke klingen überzogen und wie ein großes weiches Allerlei. Es gibt keine echte Dynamik mehr, weil nicht einzelne Elemente, zum Beispiel eine Bassdrum oder eine Snare, herausgearbeitet und betont werden, sondern stattdessen die gesamte Amplitude inklusive der leisen Passagen lauter gemacht wird. Der Umfang der Dynamik schrumpft also immer stärker zusammen — und das hat eine starke Kompression und somit auch eine Verschlechterung des Klangs, etwa Übersteuerung, zur Folge.

WIRED: Aber ist es nicht so, dass jemand, der sich nicht beruflich oder als Audiophiler mit Musik auseinandersetzt, diesen Qualitätsverslust nur sehr selten wahrnimmt?
Smith: Das ist eine gute Frage. Ich denke, viele Leute nehmen tatsächlich nicht wahr, ob Musik stark komprimiert wurde oder angenehm klingt. Menschen, die mit digitaler Musik aufgewachsen sind, haben unter Umständen ja gar keine Vorstellung vom Sound aus der analogen Zeit. Sie sind mit dem von Lautheit geprägten Sound sozialisiert worden. 

Ich höre lieber einen guten Song, der schlecht gemastert ist, als einen gut gemasterten Song, der schlecht ist.

WIRED: Hinzu kommt, dass viele Menschen Musik heutzutage nicht über teure High-End-Anlagen hören, sondern über ihre Laptop-Boxen. Streams und schlechte YouTube-Rips ersetzen CD und Vinyl. Wie soll man den Klangverlust da überhaupt noch wahrnehmen?
Smith: Absolut! Musikstreams klingen in meinen Ohren durchweg stark komprimiert. Die Idee von Spotify, sämtliche je veröffentlichte Musik ständig verfügbar zu machen, ist unglaublich. Albern klingt auf YouTube und Spotify einfach nicht gut. Eines Tages werden wir mit besseren technischen Möglichkeiten auch die nötigen Datenmengen in Echtzeit streamen können. Aber heute zu hören, wie der Sound beschnitten und komprimiert wurde, macht mich wahnsinnig!

WIRED: Wie geht es weiter im Lautheitskrieg? Was ist der Klang der Zukunft?
Smith: Auch wenn sich ein gewisser Lautheitspegel eingeschlichen hat, kommen heutzutage viele Kunden zu mir, die wieder davon absehen, möglichst laut klingen zu wollen und denen ein differenzierter Klang nicht egal ist. Musik ist eben auch ein Geschäft, in dem es um Konkurrenz geht. Durch neue Mastering- und Mixingtechnologien ist es viel einfacher geworden, etwas laut klingen zu lassen — aber es erlaubt einem gleichzeitig auch wieder, vermehrt auf die Klangqualität und Dynamik zu achten. 

WIRED: Und von welchem Album waren Sie in Sachen Sound zuletzt wirklich begeistert? 
Smith: Das ist eine gute Frage. Dadurch, dass ich den ganzen Tag mit Musik arbeite, höre ich außerhalb des Studios wirklich wenig Musik. Und wenn, dann bin ich nicht gerade ein kritischer Hörer. Ich setze mich beruflich schließlich kritisch genug mit Musik auseinander. Was ich aber sagen kann, ist: Ich höre lieber einen guten Song, der schlecht gemastert ist, als einen gut gemasterten Song, der schlecht ist.

Welche Sounds werden unsere Zukunft bestimmen? Wer wird sie für uns erschaffen? Und womit? Das erfahrt ihr den ganzen Februar lang in unserem Themen-Special „Zukunft der Musik“ auf WIRED.de. 

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