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Zukunft der Musik / „Schallplatten klingen mir einfach nicht gut genug“ — Synthie-Legende Giorgio Moroder im Interview

von Lars Gaede
Spätestens seit seinem Monolog zu Beginn des Daft Punk-Songs „Giorgio by Moroder“ weiß man wieder: Giorgio Moroder hat den Four-to-the-floor-Bass erfunden, auf dem elektronische Tanzmusik bis heute basiert. Für den Donna-Summer-Überhit „I feel love“ verband der italienische Produzent 1974 zum ersten Mal den Bass-Sound eines Synthesizers mit einem taktgebenden Klick. Doch was könnte die nächste musikalische Revolution sein? Das haben wir die Disko-Legende im Interview gefragt.

WIRED: Herr Moroder, in unserem Special geht es um die Zukunft der Musik. Sie haben genau die ja schon einmal entdeckt, 1974. Wie genau haben sie damals den „sound of the future“ gefunden? 
Giorgio Moroder: Wir saßen damals an einem riesigen Synthesizer, dem Moog Modulor. Das war ein Keyboard vor einer Art Schrankwand voller Steckverbindungen. Das sah ein bisschen aus wie in diesen alten Telefonzentralen, in denen die Operator für jeden Anruf ein Kabel umstecken mussten. Um mit dem Moog Modulor einen guten Sound zu finden, musste man erst mal einen Ton spielen und dann die verschiedenen Modulatoren und Filter so lange ein- und umstecken und hoch- und runterregeln, bis es so klang, wie man es haben wollte.  

Ich wollte unbedingt etwas Neues finden und mir war klar: Ich muss mit dem Synthesizer arbeiten.

WIRED: Klingt kompliziert. 
Moroder: Das war es. Allein hätte ich nicht gewusst, wie man aus dem Apparat auch nur einen einzigen geraden Ton herausbekommt. Gott sei Dank hatte ich damals einen fähigen Tonmeister dabei, der die Maschine beherrschte. Aber selbst wenn wir zum Beispiel endlich einen Bass gefunden hatten, der so vor sich hinblubberte, wie wir es gern wollten, mussten wir nach 20 Sekunden wieder alles neu einstellen, weil der Synthesizer dann schon wieder aus seiner Frequenz lief. Er war ständig out of tune. Trotzdem war es eine grandiose Arbeit. Als wir den Synthesizer dann mit dem Klick verbanden und der Bass so lange im Takt pulsierte, wie man den Finger auf der Tastatur hielt: toll!

GIORGIO MORODER, 1940 in Südtirol geboren, gilt als der Mitbegründer der Disco-Musik und ist einer der einflussreichsten Produzenten aller Zeiten. Er schrieb zig Pophits („I feel love“ mit Donna Summer, „Call me“ mit Blondie) und Filmmusiken („Scarface“, „Top Gun“, „Flash Dance“), gewann einen Grammy und drei Oscars. Seit seinem Feature auf dem letzten Daft Punk-Album ist er wieder als DJ und Produzent aktiv. Im Frühjahr erscheint sein neues Album, für das er unter anderem mit Charli XCX, Britney Spears und Kylie Minogue zusammengearbeitet hat. 

WIRED: Warum war genau das der „Sound of the future“, wie sie ihn selbst nannten? 
Moroder: Weil das vorher einfach nie jemand gemacht hat. Ich wollte unbedingt etwas Neues finden und mir war klar, ich muss mit dem Synthesizer arbeiten. Auch wenn es dann bedeutete, jeden Sound erst mal neu erfinden zu müssen. Sie müssen sich das vorstellen: Um einen einzelnen Snare-Schlag zu produzieren, mussten wir erstmal aus der Summe vieler Frequenzen ein Rauschen erzeugen — das sogenannte „white noise“. Dann den Frequenzbereich suchen, der halbwegs nach einer Snare klang und ihn dann so im Takt spielen, dass daraus Snare-Schläge entstehen. Irre! Aber im Vergleich zu heute ging es absurderweise trotzdem schneller.

WIRED: Warum? 
Moroder: Heute mit den modernen Programmen ist das zwar alles viel einfacher. Aber dafür gibt es so viele Möglichkeiten, dass man sich darin verliert. Damals habe ich die Bässe für ein Lied an einem langen Tag fertiggemacht. Wenn man heute einen Track produziert, ist das nicht mehr so.

Wenn man heute etwas wirklich Neues machen will, muss das wieder über die Komposition kommen.

WIRED: Sondern? Wenn sie heute Musik produzieren, wie sieht das dann aus? 
Moroder: Ich selbst produziere heute ehrlich gesagt nur noch gute Demos. Ich mache es mir da ganz einfach. Ich öffne Pro Tools, da habe ich virtuell meine Sounds drin, meinen Bass und ich spiele nur so lange damit herum, bis ich weiß, wie die Melodie geht. Das dauert zwei Stunden. Die richtige Arbeit haben dann meine Musiker. Ich habe hier in Kalifornien Leute, denen ich meine Demos schicke, ich arbeite aber auch viel mit Musikern in Deutschland zusammen. Die produzieren mir dann aus meinen Skizzen ihre fertige Playbackversion des Tracks.

WIRED: Die spielen sie dann mit echten Instrumenten ein? 
Moroder: Nein, nein! Auch nur mit Programmen, die sie aber einfach viel besser beherrschen als ich. Wobei man ja nicht vergessen darf: Die Sounds in diesen modernen Programmen sind ja lange nicht mehr künstlich, das sind ja eigentlich alles echte, eingespielte Violinen oder Gitarren. Original-Samples, die dann moduliert werden. Am besten so, dass es neu und frisch klingt. Das ist das Schwierige. 

WIRED: Warum ist das schwierig? 
Moroder: Wenn du heutzutage einen neuen Sound suchst, hast du allein schon hundert verschiedene Kicks für die Bassdrum. Da musst du irre lange suchen und basteln. Und das Dumme ist — darüber habe auch ich vor kurzem mit David Guetta gesprochen: Selbst wenn du nach Tagen endlich einen Bass zusammengebaut hast, der toll klingt, kannst du den in sechs Monaten schon wieder vergessen. Da klingt der schon altmodisch, verbraucht. Da kannst du direkt wieder von vorne anfangen.

WIRED: Was wäre denn heute ein neuer „sound of the future“?
Moroder: Den kenn ich nicht, schön wär's! Und ich weiß auch nicht, ob es so etwas überhaupt jemals wieder geben kann. Ich mache gerade einen Gamesoundtrack für das Disney-Spiel „Tron“. Die haben da im Studio die allerneuesten Programme: Traktor, Ableton und wie sie alle heißen. Die haben da so viele Sounds drin, die es vor zwei oder drei Jahren genau so noch nicht gegeben hat! Aber sie fallen in der unendlichen Fülle gar nicht mehr auf. Man ist daran gewöhnt.

WIRED: Das heißt, so eine technologische Revolution, wie es der Synthie-Bass von „I feel love“ 1974 war, kann es heute nicht mehr geben?
Moroder: Richtig. Ich glaube, die Technologie ist ausgereizt, es gibt ja schon heute nichts mehr, das die neuen Programme nicht mehr können. Wenn man etwas wirklich Neues machen will, muss das eher wieder über die Komposition kommen. Ob das eine besonders minimalistische Herangehensweise ist oder ganz große Melodien — ich weiß es nicht. Aber man muss danach suchen! 

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WIRED: Man hat zumindest im kommerziellen Pop nicht das Gefühl, dass irgendwer danach sucht. Im Gegenteil: Meghan Trainor, Mark Ronson – alles was neu ist, klingt uralt. 
Moroder: Das Publikum liebt, was es kennt. Außerdem darf man nicht vergessen, dass junge Hörer nachwachsen. Die Schwester meiner Frau hat zwei Mädchen, die sind 13, 14. Ich habe denen „All about that bass“ von Meghan Trainor vorgespielt und die sind rumgesprungen! Die haben das so gut gefunden! Und die kennen das von früher ja gar nicht. Denen ist das neu.

WIRED: Wenn ein erfolgreicher Poptrack von heute eh nur eine Summe aus erfolgreichen Poptracks von früher ist, kann man den nächsten Hit dann nicht einfach mit Hilfe von Algorithmen hervorzaubern? Wozu braucht man dann noch den Menschen?
Moroder: Warum nicht? Wir haben sogar für das Album „E=MC²“ von 1979 schon einen Computer genutzt. Der nannte sich „Composer“. Da musste man man die Noten allerdings noch selbst eingegeben. Und das klang auch noch zu künstlich, zu mechanisch. Gut produzieren heißt ja, hier leicht zu verzögern, da etwas zu verkürzen. Wenn Musik zu genau ist, klingt sie statisch.

Der Mensch wird  in der Musikproduktion irgendwann  ersetzbar sein.

WIRED: Heißt das, man wird den Menschen beim Musikmachen immer brauchen? Um Ungenauigkeiten einzubauen, als Fehlerquelle?
Moroder: Noch ja. Aber im Fehlermachen werden die Computer ja auch immer besser. Kennen sie den Turing-Test, bei dem Menschen schon mit Maschinen reden, ohne es zu bemerken? Das ist erstaunlich! Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass der Mensch in der Musikproduktion mal ersetzbar sein wird. Bei Ableton gibt man doch schon heute eine Note ein und da kommen hunderte von Arpeggios raus, alle dazu passenden Noten und Akkorde. Das läuft jetzt schon fast wie von allein. Ich meine, so schwer ist es ja auch nicht: C, A-Moll, D-Moll, G — aus diesen Akkorden sind die Hits. In der ganzen elektronischen Tanzmusik und auch im Genre Disco gibt es vielleicht noch neun weitere Akkordfolgen, die immer wieder auftauchen. Das war‘s.

WIRED: Zumindest Musik hören muss man ja aber noch selbst. Früher hatten sie einen Sportwagen mit einer 900 Watt-Anlage. Mit dem sind sie rumgefahren, um Musik zu hören. Wie ist das heute? Hören Sie Schallplatten?
Moroder: Ich bin überhaupt kein Fan von Schallplatten. Die klingen mir einfach nicht gut genug. Momentan mache ich eine neue Platte, das heißt, ich muss auf dem neuesten Stand sein. Dreimal die Woche sitze ich mit guten Kopfhörern zu Hause vor dem Rechner und schaue mir systematisch die Videos der aktuellen Top 100 aus den USA, UK, Deutschland und Australien auf YouTube an. 

WIRED: Und wenn sie gerade keine Platte machen? 
Moroder: Dann höre ich keine Musik. Gar nicht. Ich bin sehr glücklich, wenn ich meine Ruhe habe.

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Welche Sounds werden unsere Zukunft bestimmen? Wer wird sie für uns erschaffen? Und womit? Das erfahrt ihr den ganzen Februar lang in unserem Themen-Special „Zukunft der Musik“ auf WIRED.de. 

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