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Dear Hillary Clinton: Der Terror im Internet ist kein Thriller-Roman

von Max Biederbeck
Hillary Clinton hat erst einmal Recht. Am Sonntag hat die Präsidentschaftskandidatin den Islamischen Staat als „den effektivsten Recruiter der Welt“ bezeichnet. Und das stimmt: Die gescheiterten Anstrengungen der Sozialen Netzwerke,  IS-Propaganda-Content von ihren Seiten zu schaffen, zeigen es. Der stetige Zustrom von westlichen Kämpfern kommt nicht nur aus lokalen radikalen Kleingruppen, er kommt von Facebook. Also ja, wie gesagt, Clinton hat erst einmal Recht — mit dem Ist-Zustand. Um so verwunderlicher ist ihre gestrige Forderung: US-Technologie-Unternehmen sollten sich mehr einbringen und militante Websites, Videos und verschlüsselte Kommunikation vom Netz nehmen. Ganz so, als scheitere es an mangelndem Willen.

Clinton sprach im Saban Forum, das sich hauptsächlich mit Sicherheitsfragen rund um Israel befasst. Die Präsidentschaftskandidatin nahm dabei Silicon Valley in die Pflicht. „Wir müssen die großen Unruhestifter dazu nutzen, ISIS zu stören“, sagte sie. Ihr geht es um den seit den Anschlägen von Paris wieder erhitzten Streit zwischen Silicon Valley und der US-Regierung. Um die Frage, wer sich um den Terror im Internet kümmern soll. Schon seit den Enthüllungen Edward Snowdens sind die Beziehungen zwischen Capitol Hill und dem Valley nicht die Besten.

Ja, Unternehmen wie Facebook, Twitter oder Snapchat müssen mehr tun. Aber nein, es ist keine reine Frage des fehlenden Willens. Die jüngere Vergangenheit hat gezeigt: Facebook und Twitter wollen. Negativ-Schlagzeilen als Plattform für Daesh sind für die Unternehmen nicht wünschenswert. Bei Clinton klingt es allerdings so, als müssten sie dazu nur einen Hebel umlegen und das Problem sei gelöst. Wie im Thriller-Roman „Ghost Fleet“, in dem ein verrückter Unternehmer zur Hilfe eilt, um den Krieg zugunsten des Westens zu entscheiden. Und zack. Aber so einfach ist das nicht.

Vielleicht weiß Clinton das auch. Ihre Forderungen bleiben ungenau, sind mehr Wahlkampf-Slogans als echter Plan. Ihr könnte bewusst sein: Das Problem der Unternehmen besteht nicht darin, den Content zu löschen. Es besteht darin, ihn ausfindig zu machen, ihm Herr zu werden. Die Frage „Wer löst das Problem?“ ist die Falsche, die Frage nach dem „Wie“ sollte gestellt werden.

Ein Experiment des Algorithmus-Experten Kave Salamatian zeigte im Sommer, wie aggressiv Daesh mittlerweile auf Facebook geworden ist. Salamatian hat ein Bot-Profil programmiert, das automatisch Seiten mit Wörtern wie „Frieden“, „Freiheit“ oder „Gleichheit“ liket. Das reichte schon: Nach nur drei Tagen meldeten sich zwölf IS-Recruiter bei seinem Programm. „Der IS sucht gezielt nach solchen Schlagwörtern und springt darauf an“, sagt Salamatian. Ein UN-Report, ebenfalls aus dem Sommer, unterstützt diese Aussage und warnte damals schon vor den ausufernden Online-Aktivitäten von Al-Qaida und IS. WIRED berichtete damals. „Ein Trend im letzten Jahr ist das Wachstum von High-Definition Digital Terror“, heißt es in dem Schreiben an den UN-Sicherheitsrat. Schon damals hieß es, die Internet-Unternehmen müssten mehr tun.

Schon im Sommer hieß es, die Internet-Unternehmen müssten mehr tun.

Wie gesagt, die Unternehmen wollen. Sie versuchen schon lange zu reagieren. Weltweit werden hunderte von Angestellten eingesetzt, die Material durchsehen und einordnen. Alleine Facebook hat vier Teams in den USA, Indien und Europa. Sie checken im wechselnden Schichtbetrieb und 24 Stunden am Tag geflaggte Videos und Postings. Am wichtigsten sei dabei der Kontext, sagt eine Facebook-Mitarbeiterin. Übersetzer kümmerten sich um die Sprachbarrieren. „Wir haben Experten für jeden Bereich, Wissenschaft, Law Enforcement, Rechtsextremismus und Terrorismus“, sagt sie weiter. Die Fachleute fragen, wie Symbole verwendet werden, wann ein Video zu Gewalt aufruft und ob Persönlichkeitsrechte verletzt werden. Und doch, es scheint nicht zu reichen. Die Plattformen schaffen es nicht, mit der Online-Propaganda Schritt zu halten. Wie auch? On the Record reden sie wenig über ihre Bemühungen, weil man dem Gegner nicht in die Hände spielen will. Genauso könnte es aber auch um die Verschleierung ihrer Machtlosigkeit gehen.

Wenn es um die Enthauptung von Journalisten wie James Foley vor laufender Kamera geht, ist die Sache klar. Aber wo hört Extremismus auf und fängt Meinungsfreiheit an? Das kann bisher noch kein ausgeklügelter Algorithmus für uns entscheiden. Gerade eine Demokratin wie Hillary Clinton sollte sich diese Frage nicht einfach machen,  sie schon gar nicht für ihren Wahlkampf unzulässig vereinfachen. Das gilt vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass sie selbst als Secretary of State lange dagegen war, dass Unternehmen die Aufgabe des Zensors übernehmen.

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