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HELL/YEAH —„Hearthstone: Heroes of Warcraft“ ist die Zukunft der digitalen Trading Card Games — oder auch nicht

von Dominik Schönleben
Spätestens am frühen Freitagnachmittag arten die Diskussionen in der WIRED-Redaktion aus. HELL/YEAH dokumentiert die hitzigste Debatte der Woche.

HELL YEAH! Es fällt mir schwer das zuzugeben, aber Hearthstone ist die Zukunft der Trading Card Games. Der Grund, warum ich das nur ungern sage: Ich bin mit „Magic: The Gathering“ groß geworden.

Das Fourth-Edition-Einsteiger-Pack zeigte mir eine fantastische Welt mit Monstern, Magiern und Drachen — da war ich gerade mal zehn Jahre alt. Damals waren die Karten noch blasser gedruckt, ich war jünger und Magic das beste Spiel der Welt. Ich sollte fasziniert bleiben bis zur Oberstufe. Dann waren Partys wichtiger und... nun ja, andere sehr naheliegende Dinge. Dennoch, Magic hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin. Daran habe ich keinen Zweifel.

Hätte es eine ordentliche Adaption für den Computer gegeben, ich hätte mit Freuden weitergespielt. Es wäre mein heimliches Laster gewesen. Keiner hätte erfahren müssen, dass ich immer noch diese ollen bunten Spielkärtchen sammle. Hätte ich ja auch nicht, zumindest nicht physisch.

Aber alle digitalen Magic-Spiele waren durch die Bank weg grauenhaft. Sie strotzten vor technischen Mängeln und waren todlangweilig. Das hat sich nie geändert, auch nicht in der seit 2009 aufgelegten Reihe „Duels of the Planeswalkers“. Der Glanz der blassen Karten der vierten Edition, er scheint verschwunden zu sein.

Ich dachte schon, ich hätte mein Nerd-Gen für immer verloren. Als wäre ich jetzt einer dieser öden Normalos, die keine Freude mehr an Schwertern, Feuerbällen und Necromancern haben. Dann rettete „Hearthstone“ meine Seele.

Eine App! Kostenlos! Sie entführt den Spieler in ein Wirtshaus, das immer voll mit magischen Besuchern ist. Besucher, die im Hintergrund laut aufjohlen, wenn man eine gute Aktion im Spiel gebracht hat. Aber nicht nur das Umfeld lebt in Hearthstone, auch die Karten selbst. Jede mit individuellen Sprüchen, Charakteren und Fähigkeiten. Täglich gibt es neue Aufgaben, um immer neue Packs mit neuen Karten zu erspielen. Und auf einmal war er für mich wieder da, der Spaß. Mein Nerd-Herz pochte wieder.

Jetzt werden alt angediente Magic Veteranen in ihren Bart knurren, das Spiel sei zu einfach, nicht strategisch genug und deshalb langweilig. Zu denen sage ich nur: Gebt „Hearthstone“ Zeit! Das Game gibt es noch nicht lange, es lässt sich natürlich noch nicht mit dem momentanen Magic vergleichen. Eher ähnelt es der ersten Magic-Version von 1993. Die war auch noch wesentlich einfacher als das heutige Spiel.

Die neue Hearthstone-Erweiterung „Goblins gegen Gnome“ zeigt doch, dass das Fundament wunderbar erweiterbar ist. Bald werden noch mehr Karten folgen, Heldenfähigkeiten und neue interaktive Spielfelder, auf denen ich rumtippen kann. Ich zocke jedenfalls weiter, wer mich hindern will, den verwandele ich für vier Kristalle in ein Schaf! —Max Biederbeck

HELL NO! Wenn die Designer von „Hearthstone“ nicht endlich begreifen, was die Kernkompetenz eines erfolgreichen Trading Card Games ausmacht, dann wird das Spiel niemals die Spieltiefe bieten, die echte Veteranen erwarten.

Anfangs schien alles perfekt: Blizzard versprach mit „Hearthstone“, die wahrhaft goldene Zukunft des Markts der digitalen Kartenspiele zu sein. Es bleibt mir zuerst nichts anderes übrig, als der Argumentation meines Kollegen Folge zu leisten. Doch fiel mir langsam auf, wie er sich von den bunten Grafikeffekten, dem slicken Interface und der einsteigerfreundlichen Bedienung einlullen ließ. „Hearthstone“ war die perfekte Einsteigerdroge, die ihn und viele andere nach langer Abstinenz von analogen Kartenspielen zurück an den — wenn auch digitalen — Tisch gebracht hat.

Doch ihre jugendliche Euphorie lässt sie die gravierendsten Fehler im Gamedesign von „Hearthstone“ nicht erkennen. Als alter Haudegen des Genres möchte ich deshalb darlegen, woran es krankt:

Eine der zentralen Mechaniken von Spielen wie „Hearthstone“ ist das Zusammenstellen des eigenen Kartenstapels. Die Spielvorbereitung wird so zu einem kreativen Prozess, bei dem das eigene Ego mit dem Deck verschmilzt. Man fängt an sich mit dem Spiel zu identifizieren.

Wenn die Auswahl der Karten völlig uneingeschränkt wäre, würde sich relativ bald Homogenität einstellen. Die guten Spieler würden identifizieren, welche Karten die stärksten sind und in der Folge würden sich die Decks aller Spieler gleichen — die Identifikation mit dem eigenen Deck ginge verloren. Dem steuern Spiele meist durch Fraktionen oder Farben gegen, um eben nicht den gesamten Kartenpool für alle Decks verfügbar zu machen. In „Hearthstone“ geschieht dies mit Hilfe der Charakterklassen.

Während die meisten Spiele mit einer Fraktion oder Farbe gleichzeitig auch eine bestimmte Ressource verknüpfen, die nötig ist, um ihre Karten auszuspielen, sind die Ressourcen in „Hearthstone“ unabhängig davon. Stattdessen muss ein Spieler vor dem Deckbau wählen, welcher Charakterklasse er sein Deck widmet. Dies macht den Deckbauprozess einerseits zwar einfacher und führt die notwendigen Farben oder Fraktionen ein, lässt aber einen essentiellen Mechanismus außer acht: Das Mischen von Karten verschiedener Farben oder Fraktionen.

Dieser Unterschied erscheint auf den ersten Blick marginal oder fast verschwindend gering, doch ist er in Wirklichkeit fatal für die langanhaltende Spieltiefe. Denn Spielern stehen deshalb in jeder Farbe nur äußerst begrenzte, von den Designern festgelegte Spielweisen zur Verfügung. Durch das Mischen verschiedener Farben würde es erst möglich Kombinationen und Strategien zu entdecken, die überhaupt nicht von den Designern vorhergesehen sind. Der Pool der möglichen Strategien wäre so nicht nur linear, sondern sogar exponentiell größer, wenn jede Karte mit jeder anderen kombiniert werden kann.

Ein wichtiger Teil von Trading Card Games ist die Exploration, das Entdecken neuer Strategien und Kombinationsmöglichkeiten. Genau dieser Teil solcher Kartenspiele kommt bei „Hearthstone“ zu kurz. Die Aufmachung des Spiels schnappt einen schnell, doch schon nach einiger Zeit erkennt man, wie wenig es im Spiel zu entdecken gibt. Die Zahl der möglichen Decks wird künstlich eingeschränkt. Dem Spiel geht also der lange Atem aus.

Wichtig ist nicht nur die Varianz der Möglichkeiten, sondern auch ein immer wieder folgender Strom an neuen Karten. „Magic: The Gathering“ bringt etwa vier Mal im Jahr große Mengen neuer Karten auf den Markt. Dies fordert die Kreativität der Spieler immer wieder neu. „Hearthstone“ veröffentlicht nun zwar die erste Expansion „Goblins gegen Gnome“ mit 120 neuen Karten, doch dafür brauchte Blizzard mehr als ein dreiviertel Jahr. Für die Kernzielgruppe von Trading Card Games ein viel zu langer Zeitraum.

Als digitales Spiel hat „Hearthstone“ einen entscheidenden Vorteil: Es kann sich stets ohne Altlasten neu erfinden. Neue Kartentypen, neue Hero-Abilities oder eine Veränderung des Farb- oder Fraktionssystems wären jederzeit möglich. Bisher sieht es aber nicht so aus, als wenn Blizzard kapiert hat, wie essentiell all dies für die Langlebigkeit ihres Spiels wäre. Aber andererseits ist das wohl auch nicht nötig, denn ihr größter Konkurrent „Magic Online“ sieht aus, als wäre er zuletzt Anfang der Jahrtausendwende geupdated worden. —Dominik Schönleben

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