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Der erste Kinofilm aus der Ego-Perspektive wäre fast zum Desaster geworden

von Dominik Schönleben
Nach zwei Drehtagen war Ilya Naishuller klar, worauf er sich eingelassen hatte. Eigentlich wollte er seinen Film in 45 Tagen abdrehen. Doch schon am zweiten Tag häuften sich die Probleme. Sein erste Szene war eine völlige Katastrophe, nichts funktionierte. Erst da wurde ihm klar, wie schwer es wirklich werden würde, den ersten Action-Film aus Ego-Perspektive zu drehen.

Zwei Millionen Dollar waren das ursprüngliche Budget des Filmes, alles von privaten Investoren gesammelt. Jetzt will Naishuller weitere 250.000 Dollar über die Crowdfunding-Plattform Indiegogo einsammeln, damit sein Projekt doch noch Wirklichkeit werden kann. Bekannt ist Naishuller auf YouTube für die Musikvideos seiner Band Biting Elbows. Die offiziellen Versionen seiner aus der Ego-Perspektive gefilmten Clips sind leider aufgrund der bekannten GEMA-Problematik gesperrt. Re-Uploads sind aber leicht zu finden, unter Titeln wie „Insane Office Escape“ oder „Bad Motherfucker“.

Der Star von Naishullers Film „Hardcore“ ist nicht der Protagonist — mit dem soll sich der Zuschauer identifizieren — sondern der Bösewicht, gespielt vom russischen Star-Schauspieler Danila Kozlovsky. In Russland für seine Good-Guy-Rollen berühmt geworden, spielt er im First-Person-Movie „Hardcore“ einen halbblinden Perversen, der telekinetische Kräfte erlangt hat.

Im Interview mit WIRED Germany erzählt Ilya Naishuller, warum er trotz seiner Erfahrungen mit dem Ego-Genre alles falsch gemacht hat, was ging. Und wieso „Hardcore“ gleichzeitig langweilig, unkreativ und trotzdem völlig neu ist.

WIRED: Worin bestand die größte Herausforderung bei „Hardcore“?
Ilya Naishuller: Es gibt keinen Referenzpunkt. Man kann nicht einfach einen anderen Film anschauen und sagen: Das funktioniert hier, das übernehme ich einfach. Die Hälfte von dem, was ich in meinem Leben über das Drehen von Filmen gelernt habe, war völlig nutzlos.

WIRED: Wie lief der Dreh also ab?
Naishuller: Der ganze Film war Trial-and-Error. Wir kamen morgens ans Set, alles war vorbereitet — und es funktionierte einfach nicht. Die Hälfte aller Aufnahmen des ersten Monats mussten wir wegwerfen.

WIRED: Was zum Beispiel?
Naishuller: Am ersten Drehtag haben wir mit einer völlig verrückten Szene angefangen. Das war dumm. In der Szene wird jemand verfolgt und er will eine achtspurige Autobahn überqueren. Der Drehtag hatte 80 Darsteller und war extrem teuer. Der Darsteller sollte eigentlich von Auto zu Auto springen, während sie an ihm vorbei rasen. Drei Tage haben wir versucht das zu drehen. In Gedanken machte das Sinn, doch aus der Ich-Perspektive war es extrem schwer.

WIRED: Was war das Problem?
Naishuller: Es sah gut aus, fühlte sich aber falsch an. Es ist mir wichtig, dass es sich so anfühlt, als wäre der Zuschauer der Protagonist. Am schwierigsten war, das Gefühl zu erzeugen, dass die Situation gefährlich ist.

WIRED: Das muss ziemlich stressig für dich gewesen sein.
Naishuller: Oft kamen wir morgens rein, filmten zehn Minuten ohne Make-up und Kostüme und machten eine Rohaufnahme. Und es funktionierte einfach nicht. Während die anderen sich dann für den Dreh fertig machten, saß ich da für die nächste Stunde und schob Panik. Ich bin völlig blind in den Film gegangen.

WIRED: Was war das zentrale Problem der Ego-Perspektive und wie hast du es gelöst?
Naishuller: Kicks fühlen sich nicht gut an. Da ist diese Szene, in der wir uns in einem Laden verstecken. Einer der Bösen kommt rein und wird durch eine Glastür gekickt. In einem regulären Film wäre es total einfach gewesen, das zu zeigen. Bei uns nicht, denn ein guter Kick, der eine Tür aus den Angeln fliegen lässt, verläuft sehr schnell. Von der Seite sieht man das. Aber aus der Ego-Perspektive ist es schwer zu erkennen, was passiert.

WIRED: Was macht man da?
Naishuller: Wir mussten die Tür präparieren. Es reicht nicht, dass der Typ auf der anderen Seite wegfliegt, sondern wir haben Windspiele an der Tür befestigt. Wir mussten das Bild mit Dingen überladen, damit man den Einschlag spürt. Jede Kampfszene steht und fällt mit dem Aufprall.

WIRED: Aufprallmomente sind also die Herausforderung?
Naishuller: Es gibt eine Szene, in der wir einen Typen eine Rolltreppe hinab verfolgen. Ich habe mir das nach dem Cutten angeschaut und es war okay. Wir hatten zehn Stuntmen auf der Treppe und unser Bösewicht schubst sie zur Seite. Ein Mädchen fällt mit dem Gesicht nach vorne — es ist ziemlich brutal. Um das hervorzuheben, haben wir dem ersten Typen, der geschubst wird, Blumen in die Hand gedrückt.

WIRED: Warum Blumen?
Naishuller: Ganz simpel: Der Typ fällt nicht nur um, sondern die Blumen fliegen in alle Richtungen. Wir unterstreichen damit, was passiert, weil sonst alles zu schnell abläuft. Der Zuschauer käme dann nicht hinterher.

WIRED: Der Trailer für „Hardcore“ sieht ja schon aus, als wäre er ein Ausschnitt aus Call of Duty.
Naishuller: Das ist die erste gute Sequenz, die wir für den Film aufgenommen haben. Nicht mein Favorit, aber bei ihr hatten wir genug Zeit CGI, Musik und Sound einzufügen.

WIRED: Auf mich wirkt die Szene eher wie eine Parodie.
Naishuller: Ja, definitiv. Aber wenn du den gesamten Film siehst, macht es Sinn.

WIRED: Es gibt also eine zusammenhängende Story statt einer Action-Szene nach der anderen?
Naishuller: Natürlich. Warum sonst würde jemand sich so etwas anschauen wollen? Als mein Producer, Timur Bekmambetov, zu mir sagte: „Lass uns das machen“, sagte ich: „Warum? Ein 90-Minuten-Musikvideo wird doch scheiße“. Jeder Action-Film braucht zumindest eine rudimentäre Story. Zehn Minuten sind das Maximum, das man an Action am Stück erträgt.

WIRED: Was ist also die Story?
Naishuller: Es geht um Henry, der von seiner Frau wieder zum Leben erweckt wird. Er kann sich an nichts erinnern und sein Frau wird dann vom Bösewicht entführt.

WIRED: Das hört sich ziemlich generisch an.
Naishuller: Absolut. Bei diesem Film ist es nicht entscheidend, von was er handelt, sondern wie er gemacht ist. Ich hatte über eine intelligente Story nachgedacht. Aber ich war mir nicht sicher, ob es mir gelingen würde, eine komplizierte Story ohne die üblichen Techniken zu drehen. Wenn du etwas neues machst, dann willst du nicht alles neu machen. Das ist zu viel. Es muss sich auch vertraut anfühlen.

WIRED: Werden First-Person-Filme irgendwann Mainstream werden?
Naishuller: Wir werden mehr davon bekommen — egal, ob mein Film Erfolg hat oder nicht. Ich bin mir sicher, dass viele Big-Budget-Filme in der Zukunft Point-of-View-Szenen einbauen werden. Ich wurde bereits für einige Hollywood-Produktionen angefragt, musste aber absagen, weil ich noch an Hardcore arbeite.

WIRED: Planst du schon die Fortsetzung?
Naishuller: Als ich diese schwierigen Action-Szenen geplant habe, dachte ich mir immer: Mein nächster Film zeigt einfach zwei Menschen, die Schach spielen. Ich möchte dann etwas machen, das sich auf die Story konzentriert, nicht auf die Action. 

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