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Die Gamification des Überwachungsstaats hat begonnen

von Johnny Haeusler
Für einen Überwachungstest am Bahnhof Berlin Südkreuz werden Freiwillige gesucht, und die Leute kommen in Scharen. Unseren Kolumnisten wundert das nicht: Hey, es gibt einen Gutschein in Höhe von 25 Euro. Wer gibt da nicht gern seine Privatsphäre auf.

Wenn am 1. August 2017 am Bahnhof Berlin Südkreuz ein sechsmonatiges “Projekt zur Erprobung von intelligenter Videotechnik” beginnt, werden zahlreiche Berliner freiwillig kreuz und quer dort herumlaufen, wohl wissend, dass ihnen jemand zuschaut. Der Bahnhof, ohnehin schon mit Kameras ausgestattet, wird Testfeld für bisher nicht eingesetzte neue Technologien sein, die nicht nur Gesichter, sondern auch Verhaltensmuster erkennen und auswerten können. Da braucht man Testpersonen, klar. 

Derzeit sucht die Projektgruppe diese Freiwilligen, die den Bahnhof während der Testphase häufig genug besuchen. Und glaubt man ersten Meldungen, stehen die Menschen quasi Schlange.

Überwachen lassen für 25 Euro

Das ist aber auch kein Wunder. Wer den gekennzeichneten Testbereich im Bahnhof an mindestens 25 unterschiedlichen Tagen innerhalb der sechs Monate durchläuft, erhält nämlich einen Amazon-Gutschein in Höhe von 25 Euro. Hey, dafür gibt man schonmal seine Privatsphäre auf.

But wait! There’s more! Die drei Testpersonen nämlich, die an mindestens 30 unterschiedlichen Tagen am häufigsten den Testbereich nutzen, erhalten als „Hauptpreise” eine Apple Watch Series 2, ein Fitbit Surge und eine GoPro Hero Session! Wer da jetzt immer noch nicht mitmachen will, dem oder der ist wirklich nicht mehr zu helfen!

Die Gamification des Überwachungsstaates

Die Gamification des Überwachungsstaates hat begonnen, wir amüsieren uns in die Datenbanken hinein. Ich kann mir lebhaft die Zweikämpfe an den letzten Tagen der Testphase vorstellen, wenn die Testpersonen in den Top-Positionen letzte Sprints durch die entsprechenden Bahnhofsbereiche starten, um ihre Opponenten zu besiegen. Und wer weiß? Vielleicht erwartet uns ein Twitch-Live-Stream der Siegerehrung. Hier, Max Mustermann, meist überwachte Person 2018, oben drauf gibt es eine Flasche Champagner!

Das Konzept der Arbeitsgruppe – oder gab es gar eine hippe, clevere Agentur? – ist so fantastisch, dass die Ausweitung der Idee in den kommenden Monaten geradezu zwingend ist. Bisher klammheimlich durchgeführte Gesetzesänderungen würden derart spielerisch umgesetzt ihre Bedrohlichkeit verlieren!

Klicken Sie hier, um auf ihrem Rechner einen Staatstrojaner zu installieren, geben sie den Behörden kompletten Zugriff auf all Ihre Daten! Als kleines Dankeschön erhalten Sie eine kostenlose Zwei-Jahres-Lizenz für einen von uns entwickelten Viren-Scanner. Und bei gleichzeitig gewährtem Zugriff auf alle ihre ein- und ausgehenden Mails legen wir noch eine Software zur Fotobearbeitung drauf!

Jetzt bestellen: Das kostenlose Starter-Paket „Home Surveillance”

So geht moderne Politik: Das kostenlose Starter-Paket „Home Surveillance” (drei Kameras mit Motion-Tracking, zwei per Smartphone zu bedienende Türschlösser und eine Lautsprecher-/Mikrofon-Box mit Voice Control) könnte durch den BND vertrieben werden, Installation vor Ort durch Fachleute inbegriffen. Das wird ein Renner! Wer außerdem noch fünf ausgewählte staatliche Kontakte automatisch in seine WhatsApp- und SMS-Kommunikation aufnimmt, nimmt an der Verlosung eines exklusiven Emoji-Sets teil! Fun, fun, fun for everyone!

Lange standen sie in der Kritik, nun haben die Regierungsbehörden endlich die Zeichen der Zeit erkannt und Kommunikation im digitalen Zeitalter verstanden: Gebt den Leuten Gutscheine, dann lassen sie sich freiwillig überwachen.

Und wenn man weiterdenkt, könnte man auf diese Art eigentlich auch gleich das ganze Sozialsystem revolutionieren: Je mehr Einblick ins Private jemand gibt, desto mehr Geldleistungen erhält er monatlich. Eine klassische Win-Win-Situation! Dass da noch niemand drauf gekommen ist …

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