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Bald könnten Transmenschen ihre eigenen Hormone zu Hause herstellen

von Chris Köver
Wer in den USA Hormone nehmen will, um das eigene Geschlecht zu ändern, muss sich erst als psychisch gestört diagnostizieren lassen — und selbst dann die dringend notwendige Hormontherapie oft aus eigener Tasche bezahlen. Ein Künstler will jetzt ein Verfahren entwickeln, um mit genetisch manipulierten Takakpflanzen Östrogen und Testosteron herzustellen. So sollen Hormone günstig für alle verfügbar sein.

Mehr als ein Jahr würde es dauern, schätzt Ryan Hammond, um eine Tabakpflanze genetisch so zu manipulieren, dass sie eigenständig Östrogen oder Testosteron produziert. Das klingt nach einem enormen Aufwand für einen Künstler ohne Labortraining, aber versuchen will er es trotzdem.

Hammond ist eigentlich Künstler, seinen Abschluss hat er am Maryland Institute College of Art gemacht. Mehr als für die Malerei interessiert er sich aber für die Naturwissenschaften. Besonders für die Frage, wie sie unsere Körper, Leben und sexuellen Begehren regulieren. Als er vor ein paar Jahren mitbekam, dass AktivistInnen in Baltimore ein Community-Labor eröffnen wollten, war er sofort interessiert. Dort sollten auch Nicht-WissenschaftlerInnen mit Biotechnologie experimentieren können. Hammonds Projekt: Die queere Agenda ins Labor bringen.

Ryan Hammond selbst ist nicht transsexuell, aber viele seiner Freunde und Bekannten aus der Queer-Community sind es. Es kennt sie also gut, die Probleme, mit denen transsexuelle Menschen in den USA zu tun haben. Wer etwa Hormone nehmen will, um das ihm oder ihr bei der Geburt zugewiesene Geschlecht an die eigene Identität anzupassen, muss erst ein kompliziertes Verfahren durchlaufen.

Der Startpunkt für diesen langen Weg ist eine Diagnose als „gender-dysphoric“, eine anerkannte psychische Störung, die im Handbuch des US-Psychiater-Verbandes gelistet ist. Um die Diagnose zu bekommen, müssen viele der Betroffenen erst monatelange Therapien durchlaufen. Die Vorstellungen davon, was Weiblichkeit oder Männlichkeit überhaupt ausmacht, sind dabei teils absurd.

Das Transgenderlaw Center, eine NGO, die Transgender-Menschen in rechtlichen Fragen berät, schreibt dazu auf ihrer Website: „Viele Ärzte verlangen, dass eine Transgender-Person sich zu hundert Prozent als männlich oder weiblich identifiziert, dass sie stereotyp männlich oder weiblich auftritt.“ Von Transfrauen werde dann etwa verlangt, dass sie Kleider und Absätze tragen. Sex dürfen sie nur noch mit Männern haben. Ihre Interessen sollen typisch weiblich sein. Kurz gesagt: Der ganze Horror der 50er-Jahre-Geschlechterklischees wird wieder aus der Mottenkiste geholt. 

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„Ein Mensch, der sich von männlich zu weiblich angeleichen will, muss sich also erst monatelang als Frau kleiden und auf die Damentoilette gehen, bevor sie überhaupt Zugang zu Hormonen bekommt,“ erklärt Hammond. Wer es nicht schafft, mithilfe des richtigen Kostüms, der richtigen Hobbies oder dem richtigen Sexualpartner den Beweis zu erbringen, wird ohne Zugang zu Hormonen wieder nach Hause geschickt.

Aber selbst wenn die Diagnose erfolgt, hören die Probleme damit nicht auf. Denn viele Transsexuelle in den USA sind gar nicht krankenversichert. Selbst wer sich das Privileg einer Krankenversicherung leisten kann oder über seinen Arbeitgeber versichert ist, bekommt die Behandlung nicht immer bezahlt. Viele Krankenversicherungen weigern sich schlicht, die Kosten für eine Hormontherapie zu übernehmen.

Gegen dieses medizische Kontrollregime will Ryan Hammond mit seinem Projekt antreten. „Mein Ziel ist es Sexualhormone leichter zugänglich zu machen — für Queers, Transmenschen, Gender-Hacker und jeden, der davon profitieren könnte,“ schreibt er auf der Website zum Projekt. Der Name „Open Source Gendercode“ ist dabei eine Art Kurzformel für sein Vorhaben: Er will den genetischen Code einer Pflanze hacken. Und mit ihrer Hilfe das gesamte System hacken, das transsexuelle Menschen in den USA gefangen hält.

Ob es wirklich passiert, hängt davon ab, ob jemand diese Technologien weiter erforscht oder nicht.

Ryan Hammond

Die Waffe seiner Wahl in diesem Kampf: Tabakpflanzen. Diese seien so gut wie unzerstörbar, leicht zu züchten — und außerdem bereits bewährt bei der Produktion von anderen Arzneimitteln. In der Vergangenheit ist mit genmanipulierten Tabakpflanzen bereits alles von Kollagen und Hemoglobin bis zu Impfstoffen hergestellt worden. Hammond hält diese Methode darum für den besten Weg, um ein Verfahren zu entwickeln, das man auch mit einem DIY-Labor umsetzen kann.

Anfangs dachte Hammond, es würde reichen, seine Idee als Konzept auszuformulieren: Wie funktioniert es, Tabakpflanzen mit Hilfe von Agrobakterien so zu manipulieren, dass sie anfangen, eigenständig Hormone zu produzieren? Wie könnte man diese Hormone extrahieren und ein System entwickeln, um sie korrekt zu dosieren? Recherchieren, dokumentieren, das Material im Netz präsentieren — fertig.

Dann hat er jedoch schnell gemerkt, dass das nicht ausreicht. „Ich wollte eine Debatte darüber anstoßen, was mit diesen Technologien möglich ist. Dieses Ziel ist wirklich in greifbare Nähe gerückt — aber ob es wirklich passiert, hängt davon ab, ob jemand diese Technologien weiter erforscht oder nicht“, sagt Hammond. Er ist davon überzeugt, dass er selbst dafür sorgen muss, wenn Sexualhormone wirklich für alle erschwinglich und zugänglich sein sollen.

Finanzieren wollte Hammond seine Forschung eigentlich mit einem Crowdfunding-Projekt. Mit 22.000 US Dollar wollte er ein Jahr lang in einem Biotech-Labor in Ottawa forschen. Nicht, um am Ende eine fertige Pflanze zu präsentieren, wie er betont. Das sei für einen Einzelnen und dazu noch untrainierten Biohacker ohnehin nicht möglich. „Das Jahr war vor allem dazu gedacht, mich weiterzubilden und mit anderen Menschen Kontakte zu knüpfen, die mit mir an dem Projekt arbeiten würden“, sagt er.

Seit dieser Woche ist klar: Das Geld kommt nicht zusammen. Das Projekt aufgeben wird er deswegen trotzdem nicht. Er und sein Projektpartner suchen gerade nach Alternativen. Forschungsstipendien wären eine Option, sagt er, oder eine eigene Firma gründen, um Investorengeld einzusammeln.

Menschen wären nicht mehr auf Ärzte angewiesen, die ihnen feindselig gegenüberstehen.

Nicht nur die Finanzierung, sondern auch andere Details sind noch vage: Wie sollen die Hormone am Ende eigentlich zu denen gelangen, die sie brauchen? Wie und wo sollen die Pflanzen gemeinsam gezüchtet und die Hormone extrahiert werden? Und auch wenn im Netz inzwischen ausführliche Informationen erklären, wie man Hormone korrekt dosiert: Ist es wirklich eine gute Idee, dass Menschen sie sich ohne ärztliche Beobachtung verabreichen?

Letzteres hätte den Vorteil, dass Menschen außerhalb der großen Städte nicht mehr auf Ärzte angewiesen wären, die ihnen feindselig gegenüberstehen. Ganz ohne Arztbesuch über lange Zeit Hormone zu spritzen oder zu schlucken, ist jedoch keine gute Idee. Darauf weisen auch die Anleitungen im Netz hin.

Auf diese Fragen hat auch Ryan Hammond noch keine klaren Antworten. Man könnte auch sagen, seine Herangehensweise ist im besten Sinne naiv. Vielleicht ist es aber auch etwas zu viel verlangt, dass ein einzelner Künstler alle Probleme lösen soll, mit denen Transgendermenschen im US-Gesundheitssystem kämpfen müssen. Es ist dennoch ein Katalysator, der dazu anregt über den Fehler im System weiter nachzudenken — und damit ist es zumindest gute Kunst. 

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