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Erschreckende Hetzjagd nach G20: Überwachen wir uns jetzt alle selbst?

von Johnny Haeusler
Die G20-Krawalle liefen live im Internet. Tausende Fotos und Videoschnitte gibt es von den Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten. Es macht unseren Kolumnisten sprachlos, wie bereitwillig viele Besucher dieses Material jetzt hergeben oder selbst einsetzten, um Schuldige der Krawalle zu finden. Wie konnte solch eine Stimmung der ultimativen Überwachung entstehen?

Polizei und BKA rufen, und alle folgen: Es dauerte nur wenige Stunden, da waren mehr als 1000 Bilddateien auf dem Hinweisportal der Polizei Hamburg eingegangen, auf denen Szenen der Geschehnisse am G20-Wochenende in Hamburg festgehalten sind. Dass Ermittler auf Hinweise aus der Bevölkerung zurückgreifen, ist nichts Neues. Nur waren es diesmal ungewöhnlich viele, die sich offensichtlich gern an der Suche nach Tatverdächtigen beteiligen wollten. Manche taten das dann auch gleich auf eigene Faust, allen voran die Boulevardmedien.

Das und vieles mehr rund um die G20-Ereignisse gibt mir das Gefühl: Das war’s dann wohl. Wer jetzt noch immer glaubt, man könne in Deutschland eine breitere Masse gegen staatliche Kontrolle und erweiterte Überwachung sensibilisieren, verfügt über einen bewundernswert unumstößlichen Glauben. Ich kann ihn jedenfalls nicht mehr teilen.

In geradezu schockierender Geschwindigkeit wurden in den letzten Tagen demokratische Grundsätze über den Haufen geworfen – nicht nur von irgendwelchen Unbekannten unter den einschlägigen Hashtags. Nein, auch bekannte Menschen in meiner eigenen Timeline verfassten Pauschalurteile, missachteten Erfahrungen der letzten Jahrzehnte und setzten Versuche oder Wünsche nach einer differenzierteren Betrachtung mit der Unterstützung von Gewalttätern gleich.

Es begegneten mir auch in zahlreichen Medien in den Tagen der Hamburger Krawalle eine Meinungseinigkeit und streckenweise Kritiklosigkeit wie selten zuvor, und ich ahne: Hätte es am vergangenen Samstag eine Volksabstimmung über mehr Überwachungskameras, Gesichtserkennung, erweiterte Kontrollmaßnahmen und größere Befugnisse bei Sicherheitskräften gegeben, dann wäre das Ergebnis ziemlich eindeutig ausgefallen.

Es wäre ein erschreckendes Nebenresultat der Geschehnisse beim G20-Gipfel, sollte sich meine Sorge bewahrheiten: Steht seit dem vergangenen Wochenende einer restriktiveren Innenpolitik und einer Ausweitung des Überwachungsstaats  nichts mehr im Wege? Das kann durchaus sein. Schließlich scheint sich außer den stets sehr gut reagierenden bekennenden Kritikern der BILD kaum jemand darüber aufzuregen, wenn das Blatt auf eigene Faust zur öffentlichen Hetzjagd auf mutmaßliche Täter aufruft und Fotos von angeblichen Straftätern massenhaft und ungeprüft verbreitet werden. Dass Klarstellungen im Gegensatz zu solchen Aufrufen kaum Gehör finden, macht mein Magengrimmen nicht besser.

Viel zu leise war dagegen die Verwunderung darüber, dass Journalisten ihre Presse-Akkredierung entzogen wurde und dass immer wieder auch von „Kriegszuständen“ zu lesen war und schwer bewaffnete Sondereinheiten in Hamburg einmarschierten. Erstaunen las ich eher darüber, warum nicht gleich die Bundeswehr zum Einsatz gekommen war. (Antwort, übrigens: Weil es dafür weder Gründe noch rechtliche Grundlagen gegeben hätte.)

Aber was bisher nicht erlaubt ist, kann ja noch werden. Bundesinnenminister Thomas de Maizière, der sich vor dem G20-Gipfel noch mit seiner offensichtlich massiven Fehleinschätzung brüstete, dass die Sicherheitsbehörden in Hamburg perfekt vorbereitet seien, um gewalttätigen Protest unterbinden zu können, arbeitet schließlich schon länger an der Ausweitung von Befugnissen und Maßnahmen. Und das Hamburger Wochenende, so kann die Argumentation in den kommenden Tagen und Wochen erwartet werden, hat gezeigt: Ohne diese erweiterten Maßnahmen geht es ja ganz offensichtlich nicht!

Wer sich während der Gewaltausbrüche in Hamburg auf Twitter oder Facebook nicht auf „Danke, Polizei“ beschränkte, sondern sich auch kritisch gegenüber einzelnen Einsatzkräften, der Strategien seitens der Polizeiführung oder gar der Hamburger Politik äußerte, erntete nicht selten eine Flut von Vorwürfen dafür – gelinde ausgedrückt. Verliert aber politische Kritik in der Öffentlichkeit auf solche Art ihre Stimme, wird sie auch an anderen Stellen und in anderen Fragen nicht mehr gehört oder akzeptiert. Das wäre sicher für einige politische Hardliner hilfreich, aber ein Schaden für noch bestehende Grundrechte.

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