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Der Blog von FMtownsmarty schickt euch auf einen Trip durch alte japanische Videospiele

von Oliver Klatt
Hüpfende Pilze und grinsende Wolken, euphorisierte Klempner und pillenschluckende Pizzen: Spätestens seit „Pac-Man“ und „Super Mario Bros.“ wissen wir: Die besten und durchgeknalltesten Videospiele kommen aus Japan. Doch nur ein Bruchteil von ihnen schafft es auf unsere PCs und Konsolen. Gut, dass es den New Yorker Blogger FMtownsmarty gibt, der den Wahnsinn und die obskure Schönheit japanischer Graphic Adventures dokumentiert.

Tag für Tag veröffentlicht der 26-Jährige, der lieber anonym bleiben möchte, auf seinem Tumblr Standbilder und animierte Gifs aus Games der Achtziger- und Neunzigerjahre. Seinen Namen — und den seines Blogs — hat er sich bei der Fujitsu-Spielekonsole FM Towns Marty ausgeborgt, die 1993 auf dem japanischen Markt kläglich scheiterte. Doch nicht die freundliche Blümchenwelt von „Super Mario Bros.“ und „The Legend Of Zelda“ war der Auslöser seiner Fixierung auf Videospiele aus Fernost, sondern ein Grafik-Adventure mit dem bezeichnenden Titel „Dead Of The Brain“.

Für diese Games gab es keine Standards, wie sie Spielen heute aufgezwungen werden.

FMtownsmarty

„Das Spiel war ein Derivat amerikanischer Horrorfilme“, erinnert sich FMtownsmarty. „,Return Of The Living Dead‘ trifft ,Terminator‘. Sehr unheimlich und sehr brutal.“ Als er sich mithilfe von Google-Übersetzungen einen Reim auf die absurde Handlung des japanischen Games gemacht hatte, fand er heraus, dass es sich bei seiner Version lediglich um das zensierte Remake von zwei älteren Titeln handelte. „Mir wurde klar, dass es in Japan tausende derartiger Spiele geben musste“, sagt FMtownsmarty. Spiele, von denen im Westen bisher kaum jemand gehört hatte. Eine Obsession war geboren.

In Foren und P2P-Netzwerken suchte FMtownsmarty nach immer kurioseren Games für ausgediente japanische Computer wie den MSX, den PC-8801, den X68000 und den FM Towns. Mithilfe von Programmen, die die alte Hardware emulieren, begab er sich auf die Reise in eine Welt, die bevölkert war von Monstern und Cyborgs, kaputten Typen und verkorksten Frauenbildern. Vieles von dem, was er in Graphic Adventures wie „Cosmic Psycho“, „Guy Kill The Target“, „Paragon Sexa Doll“ und „Chrome Paradise“ vorfand, war gewalttätig, bisweilen pornografisch — und oftmals von einer bizarren Anmut und Verschrobenheit, die westliche Videospiele nicht haben.

„Für diese Games gab es keine inhaltlichen und formalen Standards, wie sie Spielen heute häufig aufgezwungen werden,“ erklärt FMtownsmarty die ungezügelte Vielfalt und erwachsene Ausrichtung der Titel. Die Folge waren einzigartige Werke kleiner Softwarefirmen wie der psychedelische Dungeon Crawler „Kagerou Meikyuu“ oder die Umsetzung des Manga-Klassikers „Nejishiki“, aber auch eine Unmenge von erotischen Spielen. „Adult Games machten einen sehr großen Anteil aus“, sagt der Blogger.

 

Ich versuche, das Interessante zu betonen, ohne das Problematische zu ignorieren.

FMtownsmarty

Obwohl FMtownsmarty in seinem Blog der Begeisterung japanischer Entwickler für Damenunterwäsche und die Möglichkeiten der lustbetonten Mensch-Maschine-Monster-Interaktion nicht aus dem Weg geht, ist sein Interesse an den Games weiter gefasst: „Mir gefällt der Gedanke, die flüchtigen, surrealen, mal poetischen und mal verstörenden Momente, die mir in diesen Spielen begegnen, losgelöst von ihrem Kontext zu präsentieren“, sagt er. „Dadurch werden sie auch Betrachtern zugänglich, die keinen Bezug zu diesen Games haben und somit auch keine Nostalgie verspüren.“

Die Werkzeuge, mit denen er Augenblicke aus dem Spielezusammenhang herauslöst, sind ein acht Jahre altes MacBook und eine ebenso alte Version von Photoshop. Videoaufzeichnungen von Gameplay-Sessions entnimmt er Einzelbilder und fügt sie anschließend zu animierten Gifs zusammen. Meist entstehen dabei kurze Loops aus sich wiederholenden Animationsphasen. Hin und wieder richtet FMtownsmarty den Blick aber auch auf ein bestimmtes Detail, oder setzt mehre Bildschirmausschnitte zu einem großen Ganzen zusammen. Und manchmal erschafft er sogar kleine GIF-Epen wie die zwölfminütige Sequenz aus dem Horrorgame „Ugetsu Kitan“ oder den aus 1500 Einzelbildern bestehenden Sonnenuntergang aus dem Adventure „Marusa no Onna“.

„Ich denke, mein Blog zeigt, dass viele dieser Titel Beispiele gelungenen Gamedesigns darstellen, die es wert sind, dass man sie studiert und sich mit ihnen auseinandersetzt, obwohl ihr Inhalt oft fragwürdig ist“, sagt FMtownsmarty. „Ich versuche deshalb, das Interessante an ihnen zu betonen, ohne das Problematische zu ignorieren.“ Verpixelte Stillleben, die nach den Regeln japanischer Tuschezeichnungen komponiert sind, treffen dabei auf urbane Zukunftsvisionen, Studien der menschlichen Anatomie auf niedliche Cartoons. Genres werden auf respektlose Weise miteinander verquirlt, die Grenzen zwischen Ekel und Eleganz ein ums andere Mal genussvoll überschritten.

Die Grenze zwischen Ekel und Eleganz wird genussvoll überschritten.

Das alles mag Grund genug dafür gewesen sein, warum die meisten dieser Games es nie bis nach Europa oder in die USA geschafft haben. Massentauglichkeit sieht anders aus. Doch FMtownsmarty vermutet noch eine simplere Ursache: „Viele der Spiele waren einfach sehr textlastig. Das dürfte die Kosten für eine Übersetzung entsprechend hoch getrieben und viele der kleineren Studios abgeschreckt haben“, sagt er. Was bleibt, sind Impressionen aus einem fremden Videospieluniversum, denen FMtownsmarty täglich neue Fundstücke hinzufügt. Einblicke in eine Parallelwelt, in der Super Mario sich zitternd in eine Ecke verkriechen würde und Pac-Man sich längst eine Überdosis verabreicht hätte. Eine schöne Welt. 

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