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Liebes Internet, wir müssen über dein Fake-Ads-Problem reden

von GQ
Automatische Artikelempfehlungen auf vielen der renommiertesten Websites der Welt werden missbraucht, um Fake News zu verbreiten. Ein Problem, über das spätestens nach der US-Wahl endlich gesprochen werden muss.

Die Wahrheit ist im Internet zur Ware geworden. „Ich habe Hillary Clinton unterstützt, bis ich das hier sah“ lautete die Überschrift eines gesponserten Artikels von UpVibes.com, der im September 2016 auf der Website der New York Post beworben wurde. „Diese Fakten über Bill Clinton werden deine Meinung über die Clintons ändern“ stand über einem anderen von LifeDaily. Beide Artikel wurden von Outbrain auf die Seite der Post gesetzt, einem der führenden Content-Marketing-Netzwerke (das auch WIRED Germany nutzt, allerdings nur für die Empfehlung eigener Artikel, Anm. d. Red.). Viele Medienhäuser setzen vermehrt auf solche „Promoted Stories“ von Firmen wie Taboola, Outbrain, Revcontent und Adblade, um ihre Werbeeinnahmen zu steigern.

Outbrain und Taboola, beide 2006 in Israel gegründet, sind die größten Anbieter der Branche und erreichen gemeinsam monatlich mehr als 1,5 Millionen Menschen weltweit. Neben Artikeln, die die Kampagne von Hillary Clinton in Frage stellen, sind sie bekannt für Headlines wie „Die süßesten Katzenbilder der Welt, alle auf einer Website“, „Jeff Bridges' prachtvolles Haus ist mehr als umwerfend“ oder „15 Promis, von denen ihr nicht wusstet, dass sie schwarz sind“.

Das ursprüngliche Versprechen dieser Netzwerke war simpel: Für eine geringe Gebühr kann jeder auf hochrangigen Websites ein riesiges Publikum erreichen. Im Gegenzug verdienen diese Websites ordentlich daran, ihren Lesern Links zu nützlichem Content überall im Netz anzubieten. Doch mit wachsender Größe brach dieses Versprechen in sich zusammen. Relevante Nachrichten wurden zunehmend durch Fake Ads ersetzt.

Clickbait ist nichts Neues, zwielichtige Werbung ebenfalls nicht. Aber früher musste sich der Journalismus auch noch nicht mit Donald Trump herumschlagen. Auf einer Pressekonferenz am 11. Januar zeigte der damalige President Elect auf einen CNN-Reporter und sagte: „Sie sind Fake News!“ Und die Attacken gingen weiter. So wie Fake-News-Unternehmer aus Mazedonien die Algorithmen von Facebook und Google ausspielten, um mit aufsehenerregenden Lügen Klicks zu machen (mehr dazu in der kommenden Ausgabe des WIRED Magazins, ab 31.03.2017 am Kiosk), haben auch andere versucht, im Internet das schnelle Geld zu machen – im Schutze eines fehlerhaften Systems. In der ganzen Verlagsindustrie, vom Guardian über den Telegraph und die Los Angeles Times bis hin zu USA Today, setzen Medien weiterhin auf Einnahmen aus Promoted Stories, die die Wahrheit zum Teil bis aufs Äußerste dehnen. Wenn „Fake News“ das neue Buzzword in Politik und Medien sind, stellen Promoted Stories ein Problem dar, das seit zehn Jahren unausgesprochen im Raum steht.

Die Chance ist größer, dass du einen Flugzeugabsturz überlebst, als dass du absichtlich ein Banner anklickst

Gilad de Vries, Outbrain

Outbrain, das angeblich mehr als 500 Millionen Dollar im Jahr einnimmt, ist optimistisch, was den Erfolg seines Geschäftsmodells angeht. „Die durchschnittliche Click-Through-Rate einer Bannerwerbung liegt bei 0,01 Prozent“, sagt Gilad de Vries, Senior Vice President of Strategy des Unternehmens. Das bedeutet, dass von 10.000 Menschen, die ein Werbebanner auf einer Website sehen, nur einer ihn auch anklickt. „Die Chance ist größer, dass du einen Flugzeugabsturz überlebst, als dass du absichtlich ein Banner anklickst“, sagt de Vries. Die Anzeigen seiner Firma – oder ihr Content Marketing, wie es in der Branche heißt – haben eine Click-Through-Rate von fünf Prozent.

Laut de Vries gehört Outbrain bei den meisten Publishern, mit denen es zusammenarbeitet, mittlerweile zu den Top-3-Einnahmequellen, wobei es keine soliden Zahlen gibt, die diese Behauptung stützen. Die Firma spielt 250 Milliarden Empfehlungen pro Monat aus. Früher nur unter Artikeln zu finden, tauchen Outbrain und seinesgleichen mittlerweile überall auf Websites auf. „Wir sehen zunehmend Empfehlungen in den Seitenspalten, in Texten oder im Feed auf der Homepage“, sagt de Vries. Taboola lehnte eine Interviewanfrage von WIRED ab.

Analysen von ChangeAdvertising im September 2016 ergaben, dass 26 Prozent der von Netzwerken wie Outbrain und Taboola verbreiteten Links zu Seiten führten, die die Forscher als „Clickbait“ einstufen. Die Studie, die 312 Links bei 41 der größten englischsprachigen Publisher untersuchte, ergab außerdem, dass 89 Prozent der gefundenen Clickbait-Websites anonym registriert wurden. Auf die unsichtbaren Firmen hinter diesen Seiten wartet das große Geld.

So funktioniert das Modell: Kaufe einen Platz für deine Seite in einem Content-Netzwerk („Wie Annalise aus Neighbours heute aussieht, wird dich schockieren“), stelle sicher, dass es sich bei dem Artikel um eine mehrseitige Galerie handelt, pflastere sie mit Werbung und, wenn alles gutgeht, mache Profit. Der dahinterliegende Prozess der Traffic-Arbitrage, bei dem man einen Klick für sechs Cent kauft und dafür sieben Cent einnimmt, wird durch ein riesiges Werbenetzwerk ermöglicht, in dem so gut wie keine Qualitätskontrolle stattfindet.

Die Leser sind nicht glücklich. „Ich frage mich, ob Publisher, die sich um Fake News sorgen, zum Beispiel der Guardian, jemals die Richtigkeit von dem checken, was von Outbrain empfohlen wird“, twitterte ein Guardian-Leser. „Es wird Zeit, dass seriöse Medienseiten wie der Guardian den abstoßenden Pseudo-Content von Outbrain und Co. loswerden“, schrieb ein anderer. In einem Statement der Zeitung heißt es, Outbrain zeige den Lesern „relevanten Guardian-Journalismus sowie klar gekennzeichnete externe Inhalte“. Der Deal mit dem Content-Marketing-Netzwerk verschaffe dem Guardian eine „Einnahmequelle“ in einem „sich schnell verschlechternden kommerziellen Umfeld“.

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Im vergangenen US-Wahlkampf wurde das Spiel mit den Promoted Stories politisch. Während die Medien der Welt mit Fake News zu kämpfen hatten, machte die Werbung im Umfeld ihrer Berichterstattung das Problem nur noch schlimmer. Die folgenden Promoted Stories wurden alle im August 2016 von Content-Marketing-Netzwerken verbreitet: „20 Fotos von Donald Trump, die deine Meinung ändern werden“ (San Francisco Examiner, Adblade); „Dieses Leak wird Donald Trumps Kampagne beenden“ (Bleacher Report, Outbrain); „Trumps IQ wird dich schockieren“ (TIME, Outbrain); „Schon mal drüber nachgedacht, warum Donald Trump nicht über seine Tochter spricht...“ (TIME, Outbrain); „Roseanne Barr denkt, die Welt hätte ‚Glück‘, wenn Trump gewinnt“ (Huffington Post, ZergNet); „Ungesehene Fotos von Hillary Clinton, die sie euch vorenthalten wollen“ (Mashable, Outbrain); „Die schreckliche Geschichte der Trump-Familie, die ihr nicht erfahren sollt“ (MSN, Taboola); „Donald Trumps Tipps zum Abzahlen von Hypotheken (genial!)“ (Forbes, Revcontent); „Das ist das 1 Video, von dem Hillary wollte, dass es niemand jemals sieht – wird sie das Weiße Haus jetzt aufgeben?“ (HistoryThings, Adblade).

Der Verlockung eines stetigen Einahmenstroms können Medienunternehmen oft nur schwer widerstehen. Facebook und Google sind für drei Viertel des 21-Milliarden-Euro-Marktes mit digitaler Bildschirmwerbung in den USA verantwortlich und für 53 Prozent des 4,6-Milliarden-Geschäfts in Großbritannien. Die Dominanz auf dem britischen Markt wird laut OC&C Strategy Consultants bis zum Jahr 2020 auf 71 Prozent anwachsen. Online-Werbung bleibt für die Lieferanten enorm profitabel, aber unheilbar ineffektiv für die Nachrichtenorganisation, die kaum genug Traffic generieren, um angesichts der niedrigen Click-Through-Raten Geld zu verdienen. Die erste Bannerwerbung der Welt, die im Oktober 1994 auf HotWired.com erschien, einem Ableger der US-Ausgabe von WIRED, hatte noch eine Click-Through-Rate von 78 Prozent. Seitdem sind die Zahlen im freien Fall.

Bezahlschranken wurden errichtet, abgerissen und wieder aufgebaut. Die Sun, die zwei Jahre lang eine Paywall hatte, bevor sie sie im November 2015 wieder abschaffte, verzeichnete 2016 Verluste von mehr als 69 Millionen Euro. Bei der Times, die als einzige landesweite britische Zeitung weiter an einer Bezahlschranke festhält, wurden aus zehn Millionen Euro Gewinn im Jahr 2015 fast sechs Millionen Verlust nach Steuern zum Juli 2016. Im gleichen Monat vermeldet der Guardian Verluste von 79 Millionen Euro, kurz nach einer Kampagne, die mehr Menschen dazu bewegen sollte, für seinen Journalismus zu bezahlen. Sogar die Daily Mail, viel gelobt als Bastion des digitalen Erfolgs, kündigte vor kurzem 400 Entlassungen an, obwohl die Werbeeinnahmen gestiegen sind. Die Schlussfolgerung ist klar: Digitale Bildschirmwerbung ist kein tragfähiges Geschäftsmodell für den Journalismus. Und doch überlebt sie.

Bei einigen Publishern ändern sich die Dinge jedoch. Seit Oktober 2016 gibt es keine Outbrain-Links mehr auf der US-Nachrichtenseite Slate. „Es ist nicht der richtige Look, wenn du versuchst zu sagen, du bist eine hochrangige Qualitäts-Website, und dann solche Dinge machst – und ich glaube, wir müssen endlich ehrlich damit umgehen“, sagte Keith Hernandez, damaliger Präsident von Slate, der New York Times.

„Jeder Publisher kann eine Strategie wählen und entscheiden, wie aggressiv er im Bezug auf die Balance zwischen Monetarisierung und Leservertrauen vorgehen will“, sagt Gilda de Vries von Outbrain dazu. Ende November 2016 verließ Hernandez Slate – zum Zeitpunkt dieses Artikels nutzt die Seite weder Outbrain noch ein anderes Content-Marketing-Netzwerk. „Bedauerlich für die Branche, aber so sind die Dinge eben“, sagt de Vries. „Aber weil viele Publisher händeringend nach Profitquellen suchen, sind sie manchmal bereit, die Qualität bei den Empfehlungen zu opfern.“

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Promoted Stories zu hinterfragen ist nicht schwer. Beispiel Chandler Riggs: Laut einer Promoted Story, die Revcontent im September und Oktober 2016 für 20 Tage auf 42 unterschiedlichen Websites ausspielte, war der Walking-Dead-Darsteller „leise dahingeschieden“. Als Antwort auf die Nachricht seines angeblichen Todes, scherzte Riggs auf Twitter: „i wish LOL“. Also scheint es doch möglich zu sein, die Milliarden von Links zu überprüfen, die auf einigen der meistgelesenen Websites der Welt auftauchen, oder nicht?

„Das ist eine schwierige Frage“, sagt de Vries. Die meisten Outbrain-Empfehlungen sind interne Links („Du mochtest Guardian-Artikel X? Dann könnte dir auch Guardian-Artikel Y gefallen“), aber für die, die es nicht sind, gibt es eine Art Moderation. Zum einen werden Anzeigen automatisch gescannt, um Schadcode oder Betrugsversuche zu erkennen. Der Algorithmus kann auch erkennen, ob das Vorschaubild etwa eine Frau im Bikini zeigt, Publisher können so bestimmen, welche Arten von Bildern sie nicht auf ihrer Website haben wollen. „Und dann ist da noch eine tatsächliche redaktionelle Überprüfung, das Team umfasst mittlerweile um die 20 oder 30 Leute, glaube ich“, sagt de Vries. Outbrain verwaltet jeden Tag rund 600.000 neue Links.

Es ist unmöglich, dass wir alles fact-checken, was empfohlen wird

Gilad de Vries, Outbrain

Angesichts solch riesiger Datenmengen hat nicht nur die Firma aus Israel ein Verifikationsproblem. Es ist das gleiche Scheitern am großen Maßstab, dass Googles Algorithmen behaupten lässt, Barack Obama plane einen Staatsstreich, oder dafür sorgt, dass in Facebooks Trending News das Video eines Mannes auftaucht, der mit einem Hühnchen-Sandwich von McDonald's masturbiert. „Es ist unmöglich, dass Facebook jeden Inhalt abnickt, den man teilt. Das gleiche gilt für Outbrain“, sagt de Vries: „Es ist unmöglich, dass wir alles fact-checken, was empfohlen wird.“ Aber ist das nicht ein Armutszeugnis für ein Netzwerk, das den Menschen relevanten Content zeigen will, wenn es nicht mit irreführenden oder falschen Stories fertig wird? „Wir haben Null Toleranz für Fake News in unserem Netzwerk und entfernen sofort alles, was wir für unangemessen halten, egal ob es von unseren Mitarbeitern entdeckt wurde oder von Usern, die uns schreiben können“, sagt de Vries.

Das Problem ist also bekannt. Genau wie Facebook und Google werden Content-Marketing-Netzwerke dazu genutzt, Falschinformationen zu verbreiten und die Bedeutung von Fakten im Netz zu untergraben. Die Tech-Unternehmen haben gezeigt, dass sie Werbung bemerkenswert präzise auf einzelne User zuschneiden können – aber bei Fake News erweisen sie sich plötzlich als unfähig. Das Problem wird weiter wachsen und eine schnelle Lösung bleibt unwahrscheinlich. „Gibt es Risse? Absolut. Ist das System undurchdringlich? Wahrscheinlich nicht“, sagt de Vries. „Aber das ist nicht nur Outbrains Problem. Es ist ein Problem des Internets, ein Problem der Industrie, ein Problem der Plattformen.“

WIRED.uk

Dieser Artikel erschien zuerst bei WIRED.uk
Das Original lest ihr hier.

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