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„Wir wollen inspirieren“: Einer der Macher des Fairphone 2 im Interview

von Karsten Lemm
Doch, es geht anders. Das ist der Anspruch des gemeinnützigen Projekts Fairphone aus Amsterdam. Viele Handys enthalten Rohstoffe aus Kriegsgebieten und landen vorschnell auf dem Müll. Das neue Fairphone 2, das im Herbst ausgeliefert werden soll, ist als Alternative und Vorbild gedacht: „Wir wollen nicht Konkurrenz machen, sondern Inspiration sein, um einfallsreich das System zu verändern“, sagt Fairphone-Innovationschef Miquel Ballester im WIRED-Interview.

WIRED: Was ist am Fairphone 2 besser als am Vorgänger?
Miquel Ballester: Der vielleicht größte Schritt nach vorn ist das Design: Für das erste Fairphone haben wir ein bestehendes Modell lizensiert, bei dem uns wichtig war, dass es sich relativ leicht reparieren lässt. Das Fairphone 2 konnten wir ganz nach eigenen Vorstellungen gestalten, von den Chipsets bis zur Software-Plattform. Da nutzen wir derzeit Android, aber auch Alternativen sind denkbar. Ein großer Unterschied zum Fairphone 1 ist das modulare Design. Alle Komponenten, die mit der Außenwelt in Kontakt kommen — zum Beispiel Kamera, Kopfhörerbuchse oder Lautsprecher —, sitzen in Untermodulen. Dadurch lassen sie sich problemlos auswechseln, wenn mal etwas kaputt geht. So wollen wir die Lebensdauer der Geräte deutlich erhöhen.

WIRED: Wie gut muss man basteln können, um das Fairphone selbst zu reparieren?
Ballester: Man braucht praktisch keine Werkzeuge. Manche Module, etwa Display und Batteriefach, lassen sich direkt per Hand auseinandernehmen. Das hat große Vorteile: Angenommen, das Fairphone fällt hin, und das Display zerspringt — dann kann ich einfach ein neues bestellen, und sobald es geliefert wird, tausche ich es zu Hause aus. Mit einem Schraubenzieher lassen sich auch andere Dinge wie das Lautsprechermodul oder der Vibrationsmechanismus leicht auswechseln.

Ein künftiges Fairphone könnte lediglich aus Upgrades für einzelne Komponenten bestehen.

WIRED: Kann man das Fairphone auch speziell an eigene Wünsche anpassen?
Ballester: Es geht uns vor allem darum, das Telefon langlebiger zu machen und die Zukunftssicherheit zu verbessern. Denkbar wäre zum Beispiel, dass ein künftiges Fairphone lediglich aus Upgrades für einzelne Komponenten besteht. Bisher werden weniger als fünf Prozent aller Smartphones zum Recycling verwendet — der Rest landet in der untersten Schublade oder direkt auf dem Müll. Eine ungeheure Verschwendung. Allerdings: Wenn man modulares Design dazu nutzt, den Menschen mehr Wahlmöglichkeiten zu geben, hat das leider schnell zur Folge, dass sie einfach mehr konsumieren. Plötzlich ist es ja ganz einfach, eine neue Kamera mit mehr Megapixeln einzubauen. Das macht vielleicht Spaß, aber es hat mit Nachhaltigkeit wenig zu tun.

WIRED: In welcher Hinsicht sind gängige Smartphones weniger fair als das Fairphone?
Ballester: Uns geht es nicht darum, andere anzuprangern, wir wollen inspirieren. Wir suchen nach innovativen Wegen, die Art zu ändern, wie Smartphones hergestellt, genutzt und entsorgt werden. Der Name soll signalisieren, dass wir herausfinden möchten, wie Smartphones in dieser Hinsicht fairer werden können — und was das im Einzelnen bedeutet. Für die einen mag ein offenes Betriebssystem das Wichtigste sein, das Nutzern keine Beschränkungen auferlegt; für andere mag die Herkunft seltener Mineralien, die für die Elektronik gebraucht werden, im Vordergrund stehen. Wir haben zum Beispiel von Anfang an darauf geachtet, sogenannre Konfliktmineralien zu vermeiden — etwa Zinn und Tantal aus Kriegsgebieten im Ostkongo —, damit sich Warlords nicht an uns bereichern können. Beim Fairphone 2 arbeiten wir mit Hochdruck daran, auch Wolfram und Gold aus verantwortlichen Quellen zu beziehen.

WIRED: Was ändert sich dadurch?
Ballester: Wir wollen aktiv dazu beitragen, die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern, die an der Herstellung des Fairphone beteiligt sind. Wir wollen zeigen, dass es möglich ist, weiterhin Mineralien aus dem Kongo oder Ruanda zu beziehen und die friedliche Wirtschaft dort zu unterstützen. Bergarbeiter haben ein sehr schweres Leben — aber das hätten sie auch ohne Smartphone. Was wir versuchen können, ist, ihnen zumindest ein Leben in Freiheit zu ermöglichen, unabhängig von Warlords, die sie ausbeuten. So sagen wir nicht einfach: „Lasst uns diese Materialen woanders kaufen“, sondern wir nutzen unseren Einfluss als Social Enterprise, um das System zu verändern. Es ist nicht leicht, und man braucht viele Partner, wie zum Beispiel das Solutions Network, mit dem wir eng zusammenarbeiten. Aber es ist möglich.

WIRED: Wie steht es um die Arbeiter am Fließband, die im Akkord Geräte zusammensetzen müssen?
Ballester: Schon beim Fairphone 1 haben wir versucht, diesen Arbeitern zu helfen, so gut es ging. Als kleiner Hersteller sind unsere Möglichkeiten da naturgemäß beschränkt. Aber wir haben mit unserem chinesischen Produktionspartner Guohong den Worker Welfare Fund ins Leben gerufen: Fünf Dollar pro Fairphone flossen in diesen Fonds, der unter anderem für verbessertes Einkommen und soziale Initiativen genutzt wurde. Jetzt, beim Fairphone 2, profitieren wir davon, dass wir das Design selbst entwickelt haben und weit tiefer in die Lieferkette integriert sind. Wir können also nicht nur die Arbeitsbedingungen bei der Endmontage beeinflussen, sondern sind in direktem Kontakt mit den Herstellern der einzelnen Komponenten. Damit sind unsere Möglichkeiten, Wandel zu bewirken, um ein Vielfaches gestiegen, und wo immer wir können, versuchen wir, Dinge wie den Worker Welfare Fund anzustoßen.

Wir sind mitten im Geschehen und können Veränderungen bewirken.

WIRED: Sie haben bisher 60.000 Fairphones verkauft. Wie groß kann Ihr Einfluss, etwas zu ändern, wirklich sein?
Ballester: Natürlich ist unser Einfluss relativ gering, wenn man auf die reinen Verkaufszahlen schaut. Aber es macht schon mal einen großen Unterschied, ob man aktiv etwas tut oder lediglich Missstände beklagt. Wir belassen es nicht dabei zu sagen: „Das ließe sich besser machen.“ Wir sind mitten im Geschehen und können Veränderungen bewirken. Der Effekt kann am Ende weit über Verkaufszahlen hinausgehen, indem wir Vorbild sind und erklären, warum wir Dinge anders machen. Das löst schon in anderen Branchen Umdenken aus. Wir sprechen auf vielen Konferenzen in sehr unterschiedlichen Industriebereichen, und es hat etwas Ermutigendes, wenn andere Menschen zu uns kommen und sagen: „Ihr gebt mir so viele Ideen, was ich in meinem Unternehmen verbessern kann. Euer Beispiel hilft mir, daran zu glauben, dass es möglich ist, das System zu ändern.“

Miquel Ballester, 32, leitet das Innovations-Team der Fairphone-Entwickler in Amsterdam. Der gebürtige Spanier hat Industriedesign mit Schwerpunkt Nachhaltigkeit studiert. 

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