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Facebook verrät, wie viele Hasskommentare es wirklich löscht

von Chris Köver
Vor einem Jahr traf sich zum ersten Mal die sogenannte Task Force zu illegalen Hassbotschaften im Internet, zusammengerufen von Justizminister Heiko Maas. Nun wurde im Justizministerium eine erste Zwischenbilanz gezogen – und Facebook verriet zum ersten Mal, wie viele Inhalte es tatsächlich löscht.

Es klang dynamisch und ein bisschen nach Raumschiff Enterprise: Gemeinsam mit Google, Facebook, Twitter und zivilgesellschaftlichen Organisationen wie der Amadeu Antonio Stiftung sollte eine Task Force nach Lösungen suchen, wie die großen Social-Media-Konzerne besser mit Hassbotschaften im Netz umgehen können. Oder deutlicher: wie sie jene Postings, Tweets oder Videos, die gegen deutsches Recht verstoßen, weil sie gegen bestimmte Menschengruppen hetzen oder die Verfassung angreifen, schnell wieder von ihren Seiten und aus dem Netz tilgen.

Im Dezember hatte man sich nach einigen Sitzungen darauf geeinigt, dass Facebook, Twitter und Google ihren Nutzerinnen und Nutzern bessere Möglichkeiten bieten würden, um Hassbotschaften zu melden. Außerdem versprachen die Unternehmen, dass die „Mehrzahl der gemeldeten Inhalte innerhalb von 24 Stunden geprüft und falls erforderlich gelöscht“ würden. Eine Formulierung, die damals schon viel Hohn und Kritik nach sich zog, ebenso wie der Umstand, dass es sich bei den Zugeständnissen um rein freiwillige Versprechen der Unternehmen handelte, die sich derzeit wohlweislich darum bemühen, einer tatsächlichen gesetzlichen Regulierung zu entgehen.

Das Ziel, mehr als 50 Prozent der gemeldeten Postings binnen eines Tages zu löschen, erreichte keines der Task-Force-Mitglieder

Heiko Maas hatte angekündigt, dass er Forschritte von einer externen Organisation würde prüfen lassen. Wie es um die freundlichen Versprechungen bestellt ist, hat jetzt also die gemeinnützige Organisation jugendschutz.net überprüft. Sie wählte 622 Postings aus, die eindeutig gegen deutsches Recht verstoßen, und meldete sie bei den Plattformen: erst als ganz normaler User, dann als so genannter „trusted flagger“ (YouTube und Twitter bieten diese Option) und in einem letzten Schritt per Mail direkt an die Support-Abteilung. Bilanz: Die Unternehmen machen Fortschritte, was die Menge und das Tempo angeht, aber das Ziel, die „Mehrzahl“ der gemeldeten Postings binnen eines Tages zu löschen, also mehr als 50 Prozent, erreichte keines der Task-Force-Mitglieder.

Am nächsten an die selbstgelegte Latte kam Facebook, das 46 Prozent der Inhalte, die Tester als normale User meldeten, im Testdurchlauf tatsächlich gelöscht hat – wenn auch nicht ganz klar wurde, wie schnell. Bei YouTube waren es nur noch zehn Prozent und bei Twitter gerade einmal ein Prozent. Erst als Mitarbeiter von jugendschutz.net die Inhalte später noch mal als sogenannte „trusted flagger“ meldeten oder eine Mail direkt an die Support-Abteilungen der Unternehmen schickten, kamen auch YouTube und Twitter auf gute Löschwerte: 98 beziehungsweise 82 Prozent.

Ein schlechter Eindruck, vor allem bei YouTube und Twitter, bleibt trotzdem. Denn anders als die Tester haben die meisten Nutzer, die eine Nachricht als illegale Hassbotschaft melden, wohl nicht die Muße, um mehrere Tage zu warten und sich am Ende noch per Mail an den Support zu wenden.

Da hilft es auch wenig, wenn Juniper Downs, bei YouTube für die politischen Beziehungen zuständig und eigens für den Termin aus Kalifornien eingeflogen, sich rechtfertigt, man erhalte schließlich mehr als 200.000 geflaggte Inhalte pro Tag, die bearbeitet werden müssten. Richard Allan von Facebook beteuert: „Wir machen es supereinfach, solche Inhalte zu melden.“ Mehr als 100.000 einzelne Posts wurden in Deutschland im vergangenen Monat als Hassbotschaften gelöscht, sagt Allen, „mehrere hundert Menschen“ arbeiteten von Berlin aus daran.

Die Task Force ist in Wahrheit eine Arbeitsgruppe von Gegenspielern mit völlig unterschiedlichen Interessen

Diese Zahlen sind vage. Dass sie dennoch aufhorchen lassen, liegt daran, dass sie konkreter sind als alles, was man bislang von Facebook zu diesem Thema hörte. Denn die von Justizminister Maas geforderte und in der Vereinbarung von Dezember so freundlich zugesagte Transparenz im Umgang der Unternehmen mit Hassbotschaften bleibt bislang aus. Wie viele Botschaften werden überhaupt gemeldet? Wie viele davon tatsächlich gelöscht? Wie viele Menschen arbeiten daran und wie werden sie geschult? Informationen dazu liefert bislang keines der Unternehmen, am allerwenigsten Facebook, dessen deutsches Löschzentrum unter der Leitung des Dienstleisters Arvato bislang kein Journalist betreten durfte.

Wie schön, dass man sich zumindest in Ausmaß und Relevanz der Problematik schon mal so einig sei, sagte Maas am Ende der Diskussion. Jetzt müsse man sich nur noch über das Wie verständigen. Bei so viel gemeinsamer Basis könnte man fast vergessen, dass es sich bei der so genannten Task Force in Wahrheit um eine Arbeitsgruppe von Gegenspielern handelt, die jeweils völlig unterschiedlichen Interessen vertreten.

Einzig der gequälte Kommentar von Facebooks Richard Allan kurz vor Schluss ruft das wieder in Erinnerung: „Ich bin ganz ehrlich: Es ist sehr schwierig, transparent mit jemandem zu sein, der kurz davor ist, dich zu verklagen oder zu regulieren.“

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