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Eine Künstlerin zieht als humane KI-Assistentin bei dir ein

von Sonja Peteranderl
Privat-Performance: Lauren McCarthy verwandelt sich in eine Sprachassistentin — und erforscht die Welt, wie sie smarte Lautsprecher wie Amazons Alexa erleben.

Wer will, kann sich Lauren McCarthy nach Hause bestellen: Drei Tage lang verwandelt die Künstlerin aus Los Angeles sich dann in eine menschliche KI-Butlerin. „Ich will zeigen, was eigentlich passiert, wenn du eine Persönlichkeit in deinem Haus haben möchtest“, sagt sie. „Und was die Rolle von Menschen in einer Gesellschaft ist, in der KI eine immer größere Rolle spielt.“

Die 30-jährige Künstlerin aus Los Angeles erlebt so von innen, was sich verändert, wenn digitale Assistenten wie Amazon Echo oder Google Home zu Familienmitgliedern werden, Zugriff auf den Alltag haben, tief in die Privatsphäre eindringen. Gerade in den USA werden Assistenten für das Smartphone oder das smarte Zuhause immer populärer. Die Sprachoberflächen, die auch eine Armee von anderen Geräten koordinieren, verändern die Art, wie Menschen mit der vernetzen Umwelt interagieren. „Die Betonung liegt immer auf der Bequemlichkeit – aber es geht um viel mehr, denn du lädst jemanden in dein Haus ein“, sagt Lauren McCarthy.

Vor ihren Privat-Performances installiert sie Kameras und Lautsprecher in den Wohnungen und sichert sich den Fernzugriff auf smarte Geräte, damit sie etwa das Licht dimmen, Musik spielen, Türen öffnen oder Kaffee kochen kann. Für ihre Performance hat sie eine Computerstimme entwickelt, die auf ihrer eigenen Stimme basiert, und per Lautsprecher in die fremden Häuser übertragen wird. Ihre Kommandozentrale befindet sich zwar in ihrer eigenen Wohnung, doch ihre Stimme leitet die Bewohner durch den Alltag, sie googelt Restaurantadressen oder unterhält sich, spielt Musik und bestellt mitunter auch ein Putzkommando. „Ich bin wie eine Fliege an der Wand”, sagt sie. „Es ist wahnsinnig intim, Menschen so zu beobachten.” Nur Schlafzimmer und Toilette sind vor dem Big Brother-Projekt geschützt.

McCarthy hatte erst befürchtet, dass sich kaum jemand auf das Experiment im Eigenheim einlassen will. Doch Singles, WGs und Familien aus Los Angeles, San Francisco und Amsterdam haben die Fake-KI schon ausprobiert – und mehr als 50 Interessierte aus den USA, aber auch Europa haben sich auf McCarthys Webseite Get-Lauren.com beworben, um Teil des Projekts zu werden.

Die Künstlerin hat vorher mit echten Assistenten experimentiert, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie diese funktionieren – überzeugt hat sie das nicht. „Was wir machen können, ist immer noch so limitiert: Du musst Schritt für Schritt fragen“, so McCarthy. „Technisch können die Produkte mehr, aber vielleicht dehnen die Firmen das nach und nach aus, damit die Leute nicht sofort überfordert sind oder Abwehrreaktionen zeigen.” Mit ihrem Projekt will sie auch beweisen, dass sie als Mensch immer noch die bessere KI ist: Indem sie die Menschen genau beobachtet, versucht sie ihre Routinen, Wünsche und zukünftigen Bedürfnisse zu erahnen und darauf zu reagieren. „Ich beobachte sie 24/7“, sagt McCarthy. „Ich begreife mich als einen lernenden Algorithmus: Die ersten Erfahrungen waren schwieriger, aber ich lerne dazu.“

Beeindruckend fand sie, wie schnell eine Verbindung zu den Fremden entsteht: „Du siehst, wie jemand mit anderen interagiert, guckst Menschen beim Schlafen zu, siehst all die kleinen Gewohnheiten, ob sie etwa schläfrig sind – es sind viele Dinge, die nicht mal Freunde wissen.“ Die seltsamste Situation: Unsichtbare Dritte bei einem Date zu sein. Sie hörte dem Gespräch zu, dimmte das Licht und beeinflusste die Atmosphäre mit Musik. Als Freunde aus einer WG überlegten, essen zu gehen, suchte sie online schnell nach Restaurants und deren Öffnungszeiten und klinkte sich mit einem Vorschlag in das Gespräch ein. Immer wieder stieß sie als digitale Assistentin aber auch an ihre Grenzen: „Eine Person kochte, und dann ging sie ins Bett“, so McCarthy. „Ich schrie dann mit der Computerstimme ,Der Herd ist noch an‘“. Den Staubsauger konnte sie zwar ferngesteuert anschalten, aber die Bewohner mussten dann doch noch selbst saugen. Bei ihrer letzten Performance löste sie das Problem, indem sie vorher um eine Kopie des Hausschlüssels bat – und schickte ein Putzteam vorbei, das sie online beauftragt hatte.

Die kritische Betrachtung der Digitalisierung ist ein Leitmotiv bei McCarthys Projekten – aber ohne erhobenen Zeigefinger. „Ich will nicht warnen: Pass auf, dass du nicht überwacht wirst, ich frage eher: Wie fühlt es sich an?“, beschreibt sie ihre Vorgehensweise.

Bei ihrem letzten Kunstprojekt hat sie soziales Netzwerk gespielt und Personen bei ihren Performances als „Follower“ einen Tag lang real verfolgt. Interessierte konnten sich per App einen Follower wie ein Uber bestellen – sie wussten aber nicht, wann der Follower in Erscheinung tritt. „Einerseits haben wir keine Kontrolle mehr über unsere Daten, spüren den Kontrollverlust“, sagt McCarthy. „Andererseits wollen wir gesehen werden, wollen Likes auf Facebook und Instagram und wollen, dass Menschen verfolgen was wir tun.“ Sie wollte herausfinden, wie Menschen mit dem Spannungsverhältnis umgehen – eine universale Antwort gibt es nicht.

„Manche dachten an nichts mehr als an mich, andere gingen einfach weiter ihrem Alltag nach“, so McCarthy. Das vermenschlichte Follower-Verhältnis entwickelte aber eine ganz andere Dynamik als Social Media: „Es war sehr intensiv, denn es fühlt sich speziell an, seine Aufmerksamkeit ganz auf eine einzige Person zu richten – normalerweise sind wir ständig abgelenkt.“

Auch bei ihren aktuellen KI-Performances hängt die Erfahrung immer von den Teilnehmern ab: „In manchen Fällen war ich eher Beobachter, kontrollierte eher – andere redeten sehr viel mit mir, so dass ich zum Begleiter wurde“, sagt McCarthy. Bevor die Künstlerin als Stimme bei Fremden einzieht, trifft sie sich einmal mit ihnen, um deren Erwartungen an die Voice-KI zu besprechen. Überrascht hat sie, dass auch die Bewohner befürchteten, ihre Assistentin zu enttäuschen: „Wir wollten alle etwas für die andere Person darstellen“, sagt McCarthy. „Sie haben gehofft, dass ich bekam, was ich wollte, und mich nicht gelangweilt habe.“

Während einige ihre humane KI die ganze Zeit wie einen Gast wahrnahmen und darüber nachdachten, was ihr gefallen würde, vergaßen andere McCarthys Anwesenheit, waren einfach sie selbst – bis zur nächsten Intervention. „Viele Menschen sagen: Zuhause ist der Platz, an dem ich ich bin – aber dort erlebt man Menschen meistens nicht“, sagt McCarthy. „Ich habe Dinge gesehen, die nicht mal Freunde sehen.“

Mit ihrer Performance will die Künstlerin Menschen dazu anregen, mehr über die ständige Beobachtung und Kontrolle nachzudenken, die der Einsatz von Sprachassistenten bedeutet. „Wir denken bei Siri und Co, dass es eine neutrale Stimme ist, aber jemand hat Werte in sie hineinprogrammiert“, so McCarthy. „Ich hoffe, dass Leute über Kontrolle und Werte reflektieren, die in so ein System eingebacken sind – du holst ein bestimmtes System in dein Haus, das bestimmte Werte hat, denen du implizit zustimmst.“ Am liebsten würde sie die dreitägige Performance jetzt auf ein ganzes Jahr ausdehnen – als eine ethnografische Langzeitbeobachtung, die das Verhältnis von Mensch und Maschine von innen beschreibt.

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