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Über das Leben eines Profi-Dungeon-Masters

von Brian Raftery
Timm Woods arbeitet hauptberuflich mit Drachen, Zwergen und Skeletten. Der New Yorker ist einer der bekanntesten Dungeons-&-Dragons-Spielleiter. Zu seinen Kunden zählt neben Familien und Studenten auch ein Oscar-Preisträger.

Eines von Timm Woods wertvollsten Besitztümern sieht aus wie etwas, was man im Keller eines alten Schlosses oder vielleicht in der Spielzeugabteilung eines Kaufhauses unter Zauberartikel findet: Es ist ein in Leder gebundenes Notizbuch. Auf der Vorderseite ist ein auf dem Kopf stehendes goldenes Schlüsselloch zu sehen. Und gefüllt ist das Buch mit handgeschriebenen, immer wieder wegradierten und neugeschriebenen Notizen, die Überschriften wie „Ravenloft“ und „Attack on Myth Drannor“ tragen.

Vermutlich verbringt Woods vor seiner Arbeit erstmal eine Stunde damit, sich das Buch durchzuschauen, über die Tabellen und Kalkulationen nachzudenken, wenn er sich für eine Nacht als einer von New Yorks mietbaren Dungeons-&-Dragons-Spielleitern (auch Dungeon Master, kurz DM, genannt) vorbereitet. „Das Buch bringt mich in die richtige Stimmung“, sagt er. „Ich habe versucht, das Buch so aussehen zu lassen, dass man eine Ahnung davon bekommt, was in mir vorgeht. Und wenn ich es mal verliere, dann wird dem Finder schnell klar, was für einen Wert das Buch für mich hat.“

An einem kühlen Freitagabend im August liegt das Buch auf einem Tisch neben diversen Spielfiguren und einer geöffneten Oreo-Kekspackung. Wir sind in Woods’ Apartment in Brooklyn. Die fünf Spieler, die sich um den Spielleiter versammelt haben – darunter ein Lehrer, ein Werbetexter für ein Modeunternehmen, ein Fahrdienstleiter und ein Redaktionsassistent eines Verlagshauses – verbringen den Abend mit einer Runde Dungeons & Dragons. In dem Spiel geht es um Gefechte und Kreaturen, darunter Walküren und ein Pflanzenmonster, bekannt als Tree Blight. Als sich die dreistündige Spielsession dem Höhepunkt nähert, stehen die Teammitglieder vor einem fahrenden Turm, der voller hyänenartiger Geschöpfe ist, die Gnolls genannt werden.

Das ist genau der richtige Zeitpunkt, um einen riesigen Dinosaurier in das Spiel zu schicken. „Alles was du brauchst, um den Ankylosaurus die Räder des Turms treffen zu lassen, ist eine 12“, sagt Woods. Ein Knallen ertönt, als die Würfel auf dem Tisch aufkommen. Eine 12. Und der Dinosaurier greift mit seinem peitschenartigen Schwanz an. „Wha-chee!“, kreischt Woods. „Du vernichtest den Turm.“

Woods ist 30 Jahre alt, er hat dünnes Haar und trägt ein schwarzes Hemd und eine Jeans. Wenn er seine Dungeons & Dragons-Aufführung macht, dann erzählt er aufgeregt und legt eine Melodramatik an den Tag, die man sonst nur aus dem Theater kennt. In einer Szene des heutigen Spiels haut er sich seiner Faust in die andere Hand, um den Durchstoß eines Pfeils zu symbolisieren.

Beinahe drei Monate lang hat er sich auf dieses Spiel vorbeireitet. Dafür hat er sogar Modelltürme aus Holz gebaut. Es ist eines der aufwendigsten Abenteuer in seiner vierjährigen Karriere als professioneller Spielleiter. Noch eine Besonderheit heute: Normalerweise finden die Spiele an Schulen oder bei seinen Kunden zu Hause statt. Aber hin und wieder, so wie heute, führt er die Spiele in seiner Wohnung durch, in der die Bücherregale bis oben hin mit Comics und Brettspielen gefüllt sind und an den Wänden farbige Karten von Dungeons-&-Dragons-Klassikern wie Greyhawk und Isle of Dread hängen.

Die Welt der Rollenspiele entdeckte Woods im Alter von zehn Jahren, nachdem er sich online eine kostenlose Demoversion von Dungeons & Dragons besorgte. Später gab er sich selbst den Titel Dungeons-&-Dragons-Spielleiter, auch wenn er sich anfangs nicht ganz sicher war, was dieser Titel bedeutet. Im Laufe der Zeit erkannte er, dass der Dungeon Master eine Art Geschichtengott ist. Derjenige, der Abenteuer erfindet, die Spielhandlung moderiert und letztlich die gesamte Phantasiewelt überwacht, in der sich die Spieler bewegen und in der der Nervenkitzel und Schrecken allein durch die Macht des Würfels entstehen. Nach ein paar Runden als Spielleiter war für ihn klar: „Wahnsinn! In dieser Rolle kann man alles machen“, erzählt Woods.

Diese Erkenntnis hatten vor Woods auch andere. Das 1974 veröffentlichte Spiel Dungeons & Dragons (D&D) wurde schnell zur Standardausrüstung für Geeks weltweit. Das Spiel polarisierte: Entweder wurde man augenblicklich zu einem Fan oder man leugnete den Rest seines Lebens, es je gespielt zu haben.

Im Moment jedoch erlebt D&D ein Comeback. 1999 kaufte der Spielzeughersteller Hasbro die Firma Wizards of the Coast, die erst 1997 selbst die Rechte an dem Spiel erworben hatte. Daraufhin erhielten das Marketing und der Vertrieb von Dungeons & Dragons einen Schub. Das Pen & Paper-Rollenspiel ist heutzutage ein generationsübergreifendes Phänomen. In den vergangenen Jahren haben ältere Spieler damit begonnen, ihre Starter-Sets zu entstauben, während junge Leute durch die Nerd-Serie Stranger Things oder das Spiel Minecraft dazu inspiriert werden, sich damit zu beschäftigen. „Entweder entdecken die Leute wieder, wie großartig es ist, eine Geschichte an einem Tisch mit anderen Menschen zu erschaffen oder sie erfahren es zum ersten Mal“, erzählt Matthew Mercer, Synchronsprecher und D&D-Experte, der Spielleiter in einer Twitch-Serie ist. „Wir hatten uns aufgrund der digitalen Medien und Videospiele eigentlich davon entfernt. Aber nun gibt es ein Comeback dieser sehr persönlichen Spielerfahrung.“

Das ist auch der Hauptgrund, warum Timm Woods heutzutage so beschäftigt ist. Momentan betreut er neun Spiele pro Woche, die sich entweder auf Dungeons & Dragons oder das kinderfreundliche – von D&D beeinflusste – Dungeon World konzentrieren. Seine Kunden sind normale Erwachsene, Studenten und Familien und sogar ein mehrfacher Oskar-Preisträger, dessen Name Woods für sich behalten will. In den vergangenen Jahren hat Woods viel Zeit damit verbracht, Spiele zu betreuen und gleichzeitig daran zu arbeiten, einen RPG-bezogenen Doktortitel zu erhalten. Der Titel seiner Dissertation: Anything Can Be Attempted: Table-Top Role Playing Games as Learning and Pedagogy.

Für die Kinder der 70er und 80er Jahre, die mit Dungeons & Dragons aufgewachsen sind, war die Suche nach einem guten Spielleiter nicht einfach. Man hoffte immer, dass jemand davon erfuhr, wo es einen guten Dungeon Master gibt, der genug Fantasie hatte und halbwegs gut in Mathe ist. Jahrzehnte später haben die Bekanntheit der Rollenspiele und die große Online-Game-Community es den Spielern erleichtert, jemanden wie Woods zu finden, der mit seinem Notizbuch in der Hand Hausbesuche macht und bereit ist, ein Spiel zu leiten.

Der Job, den Woods macht, ist kein Hobby oder ein Nebenjob. Es ist sein Hauptberuf, ein lukrativer noch dazu. Für eine einmalige, dreistündige Sitzung verdient Woods zwischen 250 Dollar und 350 Dollar. Bei diesen Preisen plant Woods nicht nur das Spiel. Stammkunden beantwortet er auch jederzeit sämtliche Fragen zu Zaubersprüchen. „Er ist definitiv das Geld wert“, sagt Kevin Papa, ein New Yorker Lehrer und gelegentlicher Spielleiter, der mehrmals pro Jahr an den Freitagnacht-Spielen von Woods teilnimmt. „Ein Dungeon Master zu sein, erfordert eine Menge Vorwissen. Ich weiß nicht, wie Timm das alles gelernt hat.“

Die Attribute eines Charakters bei Dungeons & Dragons sind Stärke, Geschicklichkeit, Konstitution, Intelligenz, Weisheit und Charisma. Letzters ist auch nötig, um ein herausragender Spielleiter zu werden. Woods bezeichnet sich selbst als „100 Prozent introvertiert“, jedoch ist es die Art von Introvertiertheit, bei der es einem nichts ausmacht, unter bestimmten Umständen im Mittelpunkt zu stehen. Als Jugendlicher bevorzugte Woods es, alleine zu sein und sich in seiner imaginären Welt zu bewegen. Jetzt hat er einen Beruf, in dem er seine imaginäre Welt Nacht für Nacht mit anderen teilen kann. „Ein Spielleiter zu sein, ist etwas sehr intimes“, sagt er. „In vielerlei Hinsicht haben Leute, die mir dabei zusehen, wie ich ein Spiel durchführe, ein besseres Gespür dafür, was in meinem Kopf passiert, als andere Menschen in meinem alltäglichen Umfeld.“

Aufgewachsen ist Woods in New Hyde Park auf Long Island, einem Vorort etwa 15 Meilen östlich von Manhattan. Wie viele andere besonders kluge Kinder, zog es ihn in fiktive Welten, wie die von J.R.R. Tolkien, dem Autor des Herrn der Ringe. Eine Zeitlang spielte Woods mit dem Gedanken, selbst ein Fantasy-Schriftsteller zu werden. „Er hatte schon immer eine lebhafte Fantasie und ein Interesse für das Geschichtenerzählen“, sagt sein älterer Bruder Brendan. Das Spiel Dungeons & Dragons entdeckten die Woods-Brüder gemeinsam. Bis heute laufen noch einige Spiele zwischen ihnen weiter und schon in den ersten Spielrunden damals war Brendan klar, dass sein kleiner Bruder bestens dafür geeignet ist, ein Spielleiter zu sein. „Das Spiel gab ihm ein Gerüst, auf das er aufbauen konnte. Und es gefiel ihm, die Geschichte kontrollieren zu können.“

Doch wie es so oft der Fall ist mit außerordentlich klugen Menschen, bevorzugte Timm Woods es, alleine zu sein, stundenlang eigene D&D-Spiele zu entwerfen, berühmte Konflikte und Aktionen auswendig zu lernen, Artikel im D&D-Magazin zu lesen und hunderte Charakternamen und -kräfte zu lernen. All diese Arbeit war notwendig, damit er ein komplexes Spiel leiten konnte. Das sogenannte Bare-Bones-Setup von D&D war für ihn vorerst halbwegs einfach. Man erschafft einen Charakter mit einer Reihe von vorgegebenen Eigenschaften und Fertigkeiten und begibt sich dann auf ein vom Spielleiter geführtes und gestaltetes Abenteuer. Dabei wird der Ausgang jeder neuen Interaktion, von Kämpfen bis hin zu Gesprächen, durch mehrere Würfel bestimmt – es gibt sieben verschiedene Würfel, von vierseitig bis 20-seitig.

Die Spieler arbeiten dabei im Team zusammen – als Zwerg, Elf, Halbling oder Mensch – und der Spielleiter stellt eine Art Animateur und Unterstützer dar. Aber die Menge an Regelwissen, das gebraucht wird, um ein Spiel reibungslos laufen zu lassen, ist ziemlich umfangreich. Das zeigt etwa das Handbuch Basic Rules for Dungeons & Dragons mit über 80.000 Wörtern und Zwischenüberschriften wie „Gods of the Multiverse“ und „Ability Scores & Modifiers“. Darum ist es nicht ungewöhnlich, dass D&D-Neulinge ihre erste Spielnacht damit verbringen, erst einmal das Handbuch zu studieren.

Als Kind verbrachte Woods mehr Zeit damit, über Dungeons & Dragons nachzudenken, als mit anderen Kindern zu spielen. Zum Teil lag es daran, dass er sich nicht wohl dabei fühlte, mit seinen Schulkameraden über Dungeons & Dragons zu sprechen. „Ich machte all das D&D-Zeug und wurde dabei fast depressiv“, sagt Woods. „Ich fragte mich, wofür ich das alles machte. Es war nicht abzusehen, dass irgendwann in naher Zukunft jemand mit mir spielen würde.“

Als Teenager besuchte Woods eine High-School nur für Jungs, in der jeder Kursteilnehmer aufgefordert wurde, einmal im Semester eine Rede zu halten. Das mochte Woods nicht. Also dachte er sich lächerliche und auffällige Präsentationen aus. Einmal stellte er sich während seiner Rede auf den Tisch seines Lehrers, während er die legendäre Gollum-Sméagol-Rede von Der Herr der Ringe nachstellte. „Das war meine Art, mir einen Ruf als Klassenclown zu erschaffen“, erzählt er. „Ich habe das sehr selbstbewusst gemacht, um sicher zu gehen, dass die Leute mich mögen werden.“

All das war in den frühen 00er Jahren, als Peter Jacksons Der-Herr-der-Ringe-Filme dazu beitrugen, das Buch zu einem popkulturellen Werk werden zu lassen. Der Erfolg dieser Filme, aber auch eine neue Welle von Superheldenfilmen, Star-Wars-Geschichten und Kartenspielen wie Magic: The Gathering, haben eine neue Akzeptanz des Nerdseins erschaffen.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis Dungeons & Dragons eine Neubewertung erfahren sollte. Woods bemerkte das um das Jahr 2009, als er an der Loyola University in Maryland Literatur und Englisch studierte. Damals begann er wieder regelmäßig zu spielen und beobachtete, dass einige, die sich einst über D&D lustig gemacht hatten, nun neugierig waren. In einer Zeit, in der es möglich war, tagelang Videospiele zu spielen mit jemandem, der sich nicht einmal im selben Raum befindet, geschweige denn im selben Land lebt, waren Rollenspiele eine Art analoge Anomalie: Sie erforderten, dass man die elektronischen Geräte abstellt, den Würfel wirft und eine Art Gruppenmagie erschafft.

Nachdem der Mitbewohner eines Freundes Woods bei einer besonders intensiven Spielrunde beobachtete, kam er mit großen Augen auf ihn zu. „Er schaute sich das ganze Spiel an, kam danach zu mir und sagte: ‚Wie machst du das?’“, sagte Woods. „Da wurde mir klar, dass die Leute, die immer ein Problem damit hatten, es zu spielen, die Leute, die sagten, dass sie es nicht in eine Million Jahren spielen könnten, meine zukünftigen Kunden sein könnten.“

Woods’ D&D-Runden sind eine Mischung aus ungezwungenem Spieleabend und One-Man-Show. „Ich muss Witze reißen“, sagt Woods. „Ich muss so tun, als ob wir eine Gruppe von Freunden wären, die D&D spielen. Denn genau das Gefühl ist es, was jeder haben will.“ Es ist nicht ungewöhnlich, dass Woods während des Spiels aufsteht, um einige Figuren neu zu ordnen oder Wegstrecken auf der Karte zu erklären, nur um dann für mehrere Runden stehenzubleiben und die Spieler mit Details über die neueste groteske Kreatur oder mystische Waffe zu begeistern. Immer wenn jemand eine besonders originelle Idee hat, einen Frein zu besiegen, freut er sich mit. Seine Stimme erhebt sich und er kommentiert den Zug mit begeisterten „Ohhhhs!“ oder „Jaaaas!“ Als ein Zauberer namens Victor ein magisches Geschoss auf die dämonische Hyänen-Kreatur namens Shoosuva schießt, beginnt er zu kommentieren: „Der Shoosuva beginnt zu taumeln. Er schüttelt sich, steht kurz auf, bevor er endlich zusammenbricht. Und...BOOM! Er schlägt endgültig auf dem Boden auf und seine Augen schließen sich langsam.“ Victor ist begeistert und sagt: „Dämonentöter: Das schreibe ich mir in den Lebenslauf!“

Es ist höchst unterhaltsam, drei Stunden an einem Nachmittag so zu verbringen. Noch besser, wenn jemand Pizza mitbringt. An dieser Stelle sollte ich offenlegen, dass ich Woods schon letztes Jahr kennengelernt habe, als ich an einer seiner D&D-Runden teilnahm. Aus Zeitgründen musste ich leider ausscheiden. Die weiteren Abenteuer meines Gnoms Peterson müssen also vorerst ruhen.

Dungeon Master ist kein Ausbildungsberuf. Nicht heute und nicht vor vier Jahren als Woods seine Karriere begann. Damals arbeite er als Verkäufer von Rollenspiel-Zubehör im Forbidden Planet in New York, einem berühmten Geschäft für Comics, Bücher und Sammlerstücke. „Einmal am Tag kam jemand in den Laden und sagte: ,D&D? Das wollte ich schon immer mal spielen, habe aber keine Freunde, die es mir beibringen.‘“ Angeregt durch diese Anfragen druckte sich Woods Visitenkarten mit der Aufschrift Timm Woods: Professioneller Game Master. Innerhalb einer Woche kam ein verzweifelter Vater zu ihm und fragte, ob er jemanden kenne, der für seinen Sohn und dessen Freunde ein Spiel leiten könne. „Das war mein erster Auftrag: eine Dungeons-&-Dragons-Party für einen Elfjährigen“, sagt Woods.

Für eine ganze Weile sollte das erst einmal sein einziger Auftritt bleiben. „Mir fehlten einfach die Kunden“, sagt er. Was die Situation noch verschlimmerte: Woods fand heraus, dass er Konkurrenz hatte. Im Laden hörte er eines Tages von einem anderen Dungeon Master, der in New York lebte und so erfolgreich war, dass er sogar nach Kalifornien geflogen wurde, um dort ein Spiel für ein paar Anwälte zu leiten. „Ich dachte zähneknirchend: ‚wirklich? Das ist ja toll’“, sagt er. „Dabei war ich ziemlich neidisch.“

Aber es gab noch ein weiteres unerwartetes Hindernis: Immer wenn er über seinen neuen Job in Online-Foren schrieb, wurde er von anderen D&D-Spielern beschimpft, die vom Gedanken der Kommerzialisierung nicht begeistert waren. „Sie glaubten, das wäre so als würde ein Magic-Spieler behaupten, so gut zu sein, dass jeder 20 Dollar bezahlen muss, um mit ihm spielen zu dürfen. Ich argumentierte dann, dass meine Arbeit dabei hilft, die Community zu erweitern und das Spiel bekannter zu machen.“

Mercer von der Plattform Geek & Sundry ist der Meinung, dass es durchaus einen Platz für Leute wie Woods in der Szene gibt. „Es gibt da aber diese Mentalität unter den alteingesessenen Rollenspiel-Fans, den Status Quo zu beschützen. Sie sind der Meinung, dass es unfair ist, dass jemand Geld mit einer Sache verdient, für die sie selbst hart arbeiten aber kostenlos mit ihren Freunden teilen“, sagt er. „Aber Timm verdient seinen Lebensunterhalt mit etwas, das er liebt. Er bereitet Menschen damit eine Menge Freude. Und die sind im Gegenzug bereit, einen Teil ihres Einkommens für diese Erfahrung auszugeben.“

Woods versuchte, die Trolle zu ignorieren und verteilte weiterhin seine Visitenkarten. Irgendwann, nach einigen frustrierenden Monaten, kamen endlich weitere Kunden dazu. Die meisten davon wollten ihn für Kindergeburtstage buchen. Keine großen Veranstaltungen, um damit genug Geld zu verdienen, aber Woods konnte mit jedem weiteren Spiel immerhin seine Fähigkeiten verbessern. Ein achtstündiges Spiel in Connecticut lehrte ihn zum Beispiel, das Zeitlimit besser im Auge zu behalten. „Wenn du ein Spiel zu lange laufen lässt, verlierst du irgendwann den Überblick“, sagt er. Woods erkannte während dieser Zeit auch den Unterschied zwischen Spielen mit Kindern und Erwachsenen. „Kinder sind schonungslos ehrlich miteinander“, sagt er. „Sie sagen Sachen wie ‚Gut, wenn du das machst, dann werde ich deinen Charakter umbringen. Und ich weiß, dass es das Spiel kaputt macht, aber ich werde es trotzdem tun.‘ Bei einer erwachsenen Gruppe weiß jeder Teilnehmer, dass es nur um den gemeinsamen Spaß geht.“

Woods lernte im Laufe der Jahre, seine Aufgabe als Dungeon Master mit den Erwartungen der Spieler in Einklang zu bringen. Die Dynamik sei entscheidend. Die Leute bezahlen ihn, um Spaß zu haben. Wenn seine Kunden ständig Gefahr liefen, von Hyänen-Dämonen zerfleischt zu werden, würden sie den Spaß schnell verlieren. Also müsse er flexibel sein und Überraschungen einbauen. Keine einfache Aufgabe.

Papa erinnert sich an ein Spiel, in dem seine Figur gegen mehrere hungrige Monster antreten musste. Woods ließ die Monster verschwinden, bevor sie ihn erledigen konnten. „Das ergab in der Geschichte keinen Sinn. Ich dachte mir, dass er das nur macht, um mich nicht zu verärgern, weil ich ihm Geld zahle. Aber ich mag es realistisch und es ist mir egal, ob mein Charakter stirbt. Wenn etwas nicht funktioniert, kannst du Timm jederzeit eine E-Mail schreiben oder ihn anrufen und bitten, etwas zu ändern. Das ist das Tolle an ihm. So macht es uns Spielern mehr Spaß und ihm hilft es, erfahrener zu werden.“

„Ich treffe immer wieder Leute, die sagen, dass ich als Dungeon Master strenger sein soll. Aber ich gehe nicht immer auf diese Bitten ein“, sagt Woods. „Wenn ich zu streng bin, werden sie sich irgendwann fragen, wofür sie mich eigentlich bezahlen.“ Also versucht er, die Schwierigkeitsstufen des Spiels so gut wie möglich an die Wünsche und Fähigkeiten der Spieler anzupassen. Und obwohl es möglich sei, in D&D wiederbelebt zu werden, verlangsamt die ständige Wiederbelebung von Charakteren das gesamte Spiel ungemein. In Dungeons & Dragons, sagt Woods, seien „Tod und Bewusstlosigkeit relativ langweilige Spielelemente“.

Aber es gibt noch einen anderen Grund, warum Woods alle am Spieltisch bei Laune halten will. Als er jünger war, konnte er nicht genug Leute finden, die mit ihm spielen wollten. Er wusste anfangs nicht einmal, wo genau er suchen sollte. Mittlerweile hat er genug D&D-Freunde. „Kurz bevor ich ein Spiel beginne, denke ich oft, dass ich ja nicht ihr Freund, sondern ihr Spielleiter bin. Aber sobald mich jemand freundlich mit ,Hey, Timm!‘ begrüßt, ist das alles vergessen und ich kann nicht anders, als die Gruppe zu lieben.“

An einem Wochenende im letzten Monat stand Woods mitten in einem riesigen Kongress-Center in Manhattan. Er hatte sich noch in letzter Minute Eintrittskarte für die New York Comic-Con gesichert. „Ein Meer voller Introvertierter“, wie er die Veranstaltung nennt. Hier hoffte Woods, sich von ein paar Ständen inspirieren lassen zu können und, wenn er die Chance dazu bekäme, für sein Spielleiter-Geschäft zu werben. Während er durch die Hallen lief, kam er an einem großen Drachen vorbei, auf dem ein Sattel angebracht war. Vor ein paar Stunden konnten sich die Besucher noch auf dem Drachen fotografieren lassen. Als Woods daran vorbei ging, war der Bereich geschlossen.

„Und ich sagte laut: wollt ihr mich eigentlich verarschen? Ich will auf diesem verdammten Drachen reiten!“, erinnert sich Woods. „Und da stand plötzlich dieser Typ neben mir, der sich mit mir zusammen darüber aufregte. Und wir fingen an, uns auf eine Art und Weise zu unterhalten, die ich mir in der High School oder auf dem College nicht getraut hätte. Aber das, was mich damals noch zögern ließ, so zu sein und zu reden, gibt es mittlerweile nicht mehr. Ich habe diese Schüchternheit durch stundenlanges D&D abgelegt.“

Einige Wochen nach der Con beendete Woods endlich seine Doktorarbeit. Es war sein bisher größter – wenn auch erwachsenster – Endgegner nach einem jahrzehntelangen Abenteuer, das begann, als er kaum ein Teenager war. Er war zwar kurz davor, Dr. Woods zu werden, aber noch nicht bereit, D&D für die weitaus riskantere Welt der Wissenschaft zu verlassen. „Alles fing damit an herauszufinden, wie ich mir mit den Spielen meinen Lebensunterhalt verdienen könnte,“ sagt er. Der nächste Schritt sei es, mehr Kunden zu finden und vielleicht sogar größere, kommerzielle Gigs an Land zu ziehen. Sein Ziel: Seinen Kunden dabei zu helfen, ihre nächsten aufregenden Kämpfe und Abenteuer zu bestreiten, auch wenn einige Charaktere dabei sterben werden. Und das alles, um den verdammten Drachen so weit und so hoch zu reiten, wie nur irgendwie möglich.

Dieser Artikel erschien zuerst auf WIRED.com.

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