Ungefähr 2000 Menschen, schätzt er, teilen hierzulande sein Hobby. 450 sind Mitglieder bei den Coasterfriends, Korbs Verein, den er 2005 gegründet hat. Sie besuchen Freizeitparks und diskutieren wichtige Fragen (Mit Jogginghose in den Freizeitpark? Wohin mit dem Smartphone? Kreischen, ja oder nein?). Sie alle eint: kindsgemütiger Spaß an Ratterbahnen, kombiniert mit ernsthafter Sammeldisziplin.
Die eingebaute Tragik: Bei anderen Hobbys gewinnt man mit wachsender Kennerschaft auch immer größere Freude daran. Beim Coaster-Counten schrumpelt der Adrenalinkick, der den Zähler überhaupt erst auf die Bahn getrieben hatte, mit jedem Ritt ein bisschen mehr zusammen. Die Gewöhnung! Eine Leidenschaft, die sich selbst auffrisst – Systemtheoretiker werden vor Freude in die Hände patschen.
„Auf besondere Bahnen freue ich mich immer noch“, so Korb. „Etwa auf den Intimidator 305, der in Doswell, Virginia steht.“ Intimidator – sofort möchte man sich den Namen tätowieren lassen. Oder Bad Trip, California Screamin’, Mind Eraser. Topnamen, Topbahnen.
Manche sind so extrem, dass sie versuchen, nach Nordkorea reinzukommen – um die fünf Bahnen zu counten, die es da gibt.
Demnächst fährt ein Trupp Coasterfriends nach China: 20 Parks, 120 Bahnen. Potenziell 120 neue Punkte für die Rangliste. Bei den Achterbahnzählern macht es – rührend egalitär – keinen Unterschied, ob man in der höchsten, schnellsten, steilsten Bahn der Welt am Rande der Bewusstlosigkeit entlangschrappt – oder in einem rollenden Marienkäfer durch den abgenudelten Kinderbespaßungspark gondelt: eine Bahn, ein Punkt. Außer man wird vor Ende der Fahrt evakuiert, dann ist sie ungültig. Die weltbesten Achterbahnzähler – die besten haben über 2000 Bahnen hinter sich – entwickelten dabei leicht manische Züge. „Manche sind so extrem, dass sie versuchen, nach Nordkorea reinzukommen – um die fünf Bahnen zu counten, die es da gibt“, sagt Andi Korb. Eine Beweispflicht gibt es nicht – die Counter folgen ihrem Ehrenkodex. „An der Spitze beobachtet man sich sowieso.“ Vor zwei Jahren kam er einem Franzosen auf die Schliche, der behauptet hatte, er habe eine Bahn im japanischen Osaka gecountet. Zwei Wochen später war Korb dort: Die Bahn war seit Jahren stillgelegt.
Drei Typen von Coaster-Countern unterscheidet Korb: Adrenalinjunkies, Sammelfexe – und Theoretiker. „Die studieren jedes Baustellenfoto, wenn irgendwo eine Bahn gebaut wird, und spekulieren anhand von Fundament und Stahlträgern über das wahrscheinlichste Modell – oder konstruieren selbst die perfekte Bahn.“
Eine, die nicht so viele Schmerzen bereitet wie die vermaledeite Vekoma SLC, zum Beispiel. Coasterfriend Volker Bönisch erläutert die Gräuel dieser Hängeachterbahn: „Das Schulterbügelsystem, mit dem man in den Sitz gepresst wird, sitzt sehr nah am Kopf – und weil die Bahn sehr unruhig fährt, bekommt man permanent einen Satz heiße Ohren verpasst, wenn der Kopf dauernd hin- und herschlackert.“ Erfahrene Coaster-Counter haben zwei Strategien dagegen entwickelt: „Manche pressen ihren Kopf die ganze Fahrt fest an eine Seite. Andere strecken ihn wie eine Schildkröte nach vorne – aber dann setzt es eventuell Schläge ins Genick.“
„Die G-Kräfte bei einer Fahrt können das 4,5-Fache der Erdbeschleunigung erreichen, mit der man in den Sitz gepresst wird“, sagt Korb. Selten schafft eine Bahn 6 g, Garant für den unangenehmen Greyout-Effekt, eine Vorstufe des Blackouts, der gemeinen Ohnmacht. „Es können auch negative G-Kräfte von bis zu minus 1 erreicht werden – die ,Airtime‘, wenn es die Fahrer kurz aus dem Sitz hebt.“ Eben noch gedrückter Stimmung, dann schon wieder schwerelos flatternd – eine Bahn, ganz wie das Leben.