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„Der Schamane und die Schlange“ - Ein bildgewaltiger Trip durch Raum und Zeit

von Cindy Michel
„Der Schamane und die Schlange“ ist ein bildgewaltiger Dschungel-Trip durch Raum und Zeit. Nicht nur ein magisches Kinoerlebnis, sondern auch ein Aufruf, die Macht der Natur zu respektieren. Den Ruf hat wohl auch L.A. vernommen: Ein Oscar als „Best Foreign Film“ könnte klappen. WIRED sprach mit der Produzentin Cristina Gallego über Schamanen, Geister und Versicherungen.

Flächiges Schwarz. Nichts. Ein weicher Schnitt, eine Überblendung – die samtene Dunkelheit beginnt zu vibrieren, ihre Totenstarre zu häuten. Wabernde Flecken, wie schwarze, graue und weiße Schuppen fallen auf, lösen sich aus der puren Interpretationsebene und werden zu einem monochromen Spiel aus Licht und Schatten auf einer Wasseroberfläche. Ruhig und ohne Hektik schlängelt sich das scharfe Auge der Kamera, dicht über dem Fluss bleibend, durch die wässrigen Spiegelbilder des Dickichts. Bis hin zu der klaren Reflexion eines Mannes in Lendenschurz. Seine Haut ist dunkel, an den Armen trägt er Federschmuck und um den Hals eine Art Fetischkette. Die Kamera kommt näher, verlässt den Fluss, im Fokus der Schamane. Sie ist ihm ganz nahe, blickt ihm ins Gesicht –  er füllt den Bildschirm aus. Sie Schlägt zu: Keine Bewegung. Für wenige Frames, fast unmerklich für das menschliche Auge, friert die Kamera den Mann ein. Bannt sein Abbild für immer auf 35mm Film. Plötzlich, wie aufgeschreckt, hebt der Mann namens Karamakate den Kopf und blickt mit weit aufgerissenen großen, dunklen Augen gen Zuschauer. 

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Mit ähnlich großen Augen schaut mich Cristina Gallego an, als sie mir von Kamerafahrten, Geistern und Tonexperimenten im Dschungel erzählt. Die Bilder, die sie von den Produktionsbedingungen des Filmes „Der Schamane und die Schlange“ schildert, sind so lebendig, dass es mich nicht wundern würde, wenn Karamakate durch die Tür käme. Tut er natürlich nicht. Denn die Welt ist in Farbe und wir irren nicht monochromatisch schwitzend durch den Regenwald, achtsam, die Spirits nicht zu verärgern. Das hier ist die Realität: ein kalter Berliner Februar am Potsdamer Platz, statt Heilpflanzen gibt es Kaffee.

Die kolumbianische Filmproduzentin Cristina Gallego wärmt sich die Hände an einer Tasse Cappuccino. Sie sei nur kurz in Berlin, morgen gehe es schon wieder zurück nach Kolumbien und dann in die USA. Aber zur Berlinale wollte sie doch kommen, immerhin wurde „Der Schamane und die Schlange“ in der Sonderreihe NATIVe gezeigt. Seit seiner Premiere im vergangenen Jahr in Cannes sei sie viel unterwegs gewesen. Am Sonntag zum Beispiel ist sie in Hollywood, denn der Film wurde in der Kategorie „Best Foreign Film“ für einen Oscar nominiert. 

In „Der Schamane und die Schlange“ geht es ebenfalls ums Reisen. Es geht um die Trips von Karamakate (gespielt von Nilbio Torres und Antonio Bolivar) und die Heilpflanze Yakruna. Zwei Forscher treffen im Abstand von rund 30 Jahren auf den Schamanen und bitten ihn, sie durch den Dschungel zu einer Heilpflanze namens Yakruna zu führen. Den einen, den schwerkranken Theo (Jan Bijvoet), aus Deutschland, lernt der junge Einheimische im Jahr 1909 kennen, Evan (Brionne Davis) aus Nordamerika erst 1940. In einer Parallelmontage, begibt sich der Zuschauer auf einen bildgewaltigen Trip, jeder Schritt getragen von dem vollen Klangteppich aus Musik und Urwaldgeräuschen, gewoben von dem Komponisten Nascuy Lineare, durch Zeit und Raum. So erforscht der Zuschauer Kolonialisten und deren brutale Misshandlungen, indigene Völker und deren Geisterwelten sowie die Mythen des Dschungels aus längst vergessenen Zeiten. Die Geschichten der beiden Forscher beruhen auf wahren Begebenheiten. Das Drehbuch basiert auf den Tagebüchern des deutschen Anthropologen und Forschungsreisenden Theodor Koch-Grünberg und des amerikanischen Biologen Richard Evans Schultes

„Ich dachte, wir würden am Drehbuch scheitern“, sagt Cristina. „Ungefähr drei Jahre hat Ciro an dem Script gearbeitet. Immer wieder und wieder umgeschrieben – aber nie hat es gepasst.“ Viel zu viel Kopfmensch sei Ciro Guerra. Sie dürfe das sagen, meint Cristina, denn sie ist ja schließlich mit dem Filmemacher verheiratet. „Er hat es einfach nicht geschafft, die beiden Zeiten ineinander verlaufen zulassen,  diese Parallelmontage in den Script zu schreiben.“ Als seine Produzentin habe sie ihm den Script als chronologische Erzählung nicht abgenommen, habe ihn zurück an den Schreibtisch geschickt. „Erst ein alter Freund, Ignacio Prieto, habe Ciro auf den „richtigen Weg“ gebracht.

Jammerschade wäre es gewesen, wenn das nicht geschehen wäre, denn dieses Ineinander-Schneiden der Zeiten und der Geschehnisse trägt zu der Dualität bei, die den Film von Anfang bis Ende und auf jeder Ebene trägt: Indigene Völker stehen Kolonialisten gegenüber, die Wissenschaft der Naturmedizin, der Glaube an die Geisterwelt der Gier nach Materialität, der christliche Priester dem Schamanen und das Leben dem Tod. Auf stilistischer Ebene sind es vor allem die Farben schwarz und weiß, die diese Intention erfahrbar machen. Jede Bildsequenz erinnert an alte Fotografien aus dem Anthropologie-Museum. „Das war auch unser Plan“, bestätigt Cristina Gallego, deren Bruder, David Gallego, für die Kamera verantwortlich war. „David hat sich an altem Fotomaterial orientiert, dann aber den Kontrast der monochromatischen Bilder hochgedreht, um die Dualität auch auf der Bildebene anzudeuten.“

Wir haben eine Spiritversicheurng abgeschlossen.

Cristina Gallego

Unsichtbar bleiben hingegen die Geister oder Spirits – wie Cristina sie nennt – , die aus jedem Dialog und jeder Sequenz heraus zu dringen scheinen. Karamakate lebt streng nach den Vorschriften der Geisterwelt, zwingt die Forscher, sie ebenfalls zu befolgen.

Auch die Filmcrew beugte sich während des achtwöchigen Drehs im Amazonasgebiet den Regeln der dort heimischen Völker und respektierte die Geisterwelt. „Wir haben uns auch an die Regeln des Urwalds gehalten und eine Spiritversicherung abgeschlossen“, sagt Cristina und lacht laut los. „Das ist kein Scherz. So wie wir unser Equipment bei einer Firma versichert haben, haben wir unsere Gesundheit bei den Spirits versichert.“ Ein Ritual bei einem Schamanen und das tägliche Gebet waren Vertrag genug. 

Glaubst du an Geister, frage ich sie. Überrascht blickt sie mich an und wird das erste Mal während des Gesprächs ernst: „Sicher. Du etwa nicht?“ Schon seit frühester Kindheit interessiere sie sich für Übersinnliches. Nur während des Filmstudiums sei sie kurz vom Weg abgekommen, „da war so viel anderes spannender“. Aber mittlerweile habe sie zurückgefunden. 

Das Ayahuasca-Ritual ist doch kein Coffee to go.

Cristina Gallego

„Heilpflanzen gibt es bestimmt noch unendlich viele auf der Welt, Heilmittel, die die Wissenschaft noch gar nicht entdeckt hat“, sagt Cristina. „Die sind noch irgendwo da draußen – sei es im Dschungel oder der Arktis.“ Sonst hätte sie ja keinen Film darüber gemacht, meint sie. „Die Yakruna, die Pflanze nach der im Film alle suchen, die absolute Heilpflanze, gibt es so nicht. Wir wollten keine echten Namen verwenden.“  Was allerdings tatsächlich existiert ist das so genannte Caapi, ein Pulver, das Karamakate dem kranken Forscher Theo in die Nase schießt, um seine Lebensgeister zu wecken. Banisteriopsisi Caapi ist eine Lianenart, die zur Herstellung von Ayahuasca verwendet wird. Das ist eine ursprünglich im religiösen Kontext eingesetzte Droge, die mittlerweile auch als Lifestyle-Droge nachgefragt ist.

Ayahuasca werde in Europa missbraucht, aber auch in Kolumbien, wo die Menschen den usprünglichen Sinn eigentlich kennen sollten, sagt Cristina. „Ich finde das traurig. Ayahuasca nimmst du als Teil eines Rituals, das dir die Tür zur Geisterwelt öffnet. Es ist gefährlich, das ohne Anleitung und Aufsicht eines ausgebildeten Schamanen zu machen.“ Auch der Ort müsse passen. Man könne doch nicht einfach irgendwo so ein heiliges Ritual abhalten: „Das Ayahuasca-Ritual ist doch kein Coffee to go.“  

Ihre Filme drehen sich nicht immer um Geister, sagt sie. Das sei nur manchmal so. In dem neuen Film „Birds of Passage“, der 2017 gedreht werden soll, geht es um Drogenhandel in Kolumbien – ein ganz anderes Thema, meint Cristina: „Das hat nichts mit Geistern zu tun. Die Hauptdarstellerin ist übrigens eine Frau. Eine Hexe.“ Sie blickt auf, ihre großen schwarzen Augen fixieren mich und sie lacht wieder laut los: „Eine Hexe! Stimmt, dann sind wir doch wieder beim Thema.“ 

Am Sonntag werden die 88. Academy Awards verliehen, Cristina Gallego und ihr Team, die Produktionsfirma Ciudad Luna, werden dabei sein. Sie sind in der Kategorie „Best Foreign Film “ nominiert.  

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