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Diskriminierung statt Anti-Terror-Kampf? Kuwaits umstrittenes DNA-Gesetz

von Anna Schughart
Es wäre die umfassendste Gendatenbank der Welt, selbst Touristen müssten bei der Einreise eine DNA-Probe abgeben. Kritiker fürchten, dass das geplante DNA-Gesetz in Kuwait nicht zur Terrorismusbekämpfung genutzt werden könnte, sondern zur Diskriminierung. Doch jetzt gibt es Hoffnung.

Was kann die DNA eines Menschen über ihn verraten? Ziemlich viel: welche Haarfarbe er hat, wer seine Eltern sind und ob er ein Risiko für eine bestimmte Art von Krebs hat. Was die DNA aber nicht zeigen kann, sind Gedanken, Pläne oder Absichten eines Menschen. Ein genetischer Fingerabdruck gibt nicht preis, ob die Person, zu der er gehört, bald in Urlaub fahren will, von einem neuen Auto träumt oder einen Terroranschlag plant.

Am 26. Juni 2015 starben bei einer Attacke des sogenannten Islamischen Staates auf eine Moschee in Kuwait fast 30 Menschen. Danach beschloss das kuwaitische Parlament ein neues Gesetz gegen den Terror. Dieses würde – sollte es nicht noch einmal überarbeitet werden – die umfangreichste DNA-Datenbank der Welt schaffen.

So wie das Gesetz momentan noch lautet, soll die Datenbank alle Staatsbürger und Bewohner Kuwaits erfassen. Auch wer als Tourist oder Dienstreisender ins Land kommen will, soll zukünftig am Flughafen eine Speichelprobe abgeben. Menschenrechtsaktivisten, Wissenschaftler und Bürger haben deshalb in den vergangenen Wochen Alarm geschlagen. Denn während das Gesetz in ihren Augen eher schlecht Terroranschläge verhindern kann, haben sie Angst davor, wie die kuwaitische Regierung eine derart umfangreiche DNA-Datenbank anderweitig nutzen könnte.

Das Gesetz verletzt internationale Menschenrechtsstandards

Kristine Beckerle, Human Rights Watch

Kristine Beckerle arbeitet bei Human Rights Watch. Vor Kurzem war sie in Kuwait und hat dort mit Regierungsvertretern, Aktivisten und Wissenschaftlern über das DNA-Gesetz gesprochen. Beckerle sagt: „Die Gesetzgebung verletzt internationale Menschenrechtsstandards.“ Das geplante DNA-Gesetz missachte die Privatsphäre und niemand habe die Möglichkeit, ihm zu widersprechen. Wer sich doch weigert, dem drohen hohen bis zu 33.000 Dollar Strafe und ein Jahr Gefängnis.

Viele Länder haben forensische DNA-Datenbanken. Sie sollen helfen, Verbrechen aufzuklären. Dass aber die gesamte Bevölkerung eines Landes und darüber hinaus noch alle Einreisenden ohne jeden Verdacht in eine solche Datenbank aufgenommen würden, das wäre weltweit einzigartig.

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„Das stellt jede Person unter den Generalverdacht, ein Terrorist zu sein“, sagt Olaf Rieß, Humangenetiker an der Universität Tübingen und Präsident der Euopean Society of Human Genetics, die sich in einem offenen Brief an die Regierung Kuwaits gewandt hat. Für Rieß ist das Gesetz ein Angriff auf die genetische Privatsphäre. Er hält es auch für ungeeignet, um tatsächlich Terroranschläge zu verhindern: „Die meisten Terroristen reisen nicht in ein Land, um dort einen Terrorakt auszuführen, sondern werden im Land angeworben.“

Auch die Möglichkeit, nach einem Attentat identifiziert zu werden, dürfte kaum einen Selbstmordattentäter abschrecken. Zumal das Argument Kuwaits, mithilfe einer DNA-Datenbank Terroristen nach Anschlägen besser identifizieren zu können, vorgeschoben wirkt: Nach einem Selbstmordanschlags lasse sich die DNA von Opfern und Tätern kaum unterscheiden, erklärt Rieß.

Viele vermuten deshalb hinter dem Gesetz andere Absichten: „Länder können eine DNA-Datenbank haben, aber sie muss sehr eng gefasst, stark reguliert und dem Ziel, das man damit verfolgt, angemessen sein“, sagt Beckerle. „Das Problem mit diesem Gesetz ist, dass es diese unspezifische Formulierung enthält, dass die DNA für alles, was dem obersten Interesse des Landes dient, verwendet werden kann.“ Das ist eine so weite Formulierung, das man sie im Prinzip auslegen kann, wie man will. Und genau das scheint in Kuwait der Fall zu sein. „In den kuwaitischen Medien wurden all diese verschiedenen Beamte zitiert, die unterschiedliche Intentionen darüber äußerten, wie sie das Gesetz verwenden wollen“, sagt Beckerle. Es gibt zwar auch Aussagen von leitenden Regierungsmitarbeitern, die versichern, die DNA-Datenbank werde nicht zur Genealogiebestimmung genutzt. Doch genau das befürchten viele.

Dazu muss man wissen: Kuwait hat drei Millionen Einwohner, davon besitzen aber nur 33 Prozent die kuwaitische Staatsangehörigkeit. „Diese Staatsbürgerschaft ist mit Privilegien verbunden, die nur den Kuwaitis zur Verfügung stehen“, erklärt Rieß. Und ob man Kuwaiti ist, wird nur über die väterliche Abstammungslinie bestimmt. „Heiratet eine Kuwaiterin einen nicht kuwaitischen Mann, verlieren sie und ihre Kinder alle Ansprüche“, sagt Rieß. Mit einer umfassenden DNA-Datenbank ließe sich schnell klären, wer die kuwaitische Staatsbürgerschaft „zu Recht“ besitzt und wer nicht. Kuwaitische Medien berichten von Menschen, die ihre Häuser verkaufen und das Land verlassen, aus Angst, als unrechtmäßige Staatsbürger aufzufliegen.

Wenn ein gesamtes Land typisiert wird, können die Mächtigen damit sehr schnell Widersacher außer Kraft setzen

Olaf Rieß, Präsident der Euopean Society of Human Genetics

Eine DNA-Analyse kann auch zum Vaterschaftstest genutzt werden, das Ergebnis wiederum, um Menschen unter Druck zu setzen: „Wenn man bedenkt, dass ein gesamtes Land typisiert wird, dann können damit die Leute, die die Macht im Land haben, sehr schnell Widersacher außer Kraft setzen,“ sagt Rieß. Denn Ehebruch ist in Kuwait strafbar. Besonders bedroht sieht Rieß die Gruppe der Bidun, die den Staat Kuwait nicht anerkennen. „Mit einem DNA-Abstammungstest kann man bestimmen, wer zu den Bidun gehört, um so Regierungsgegner aus dem Land zu vertreiben“, sagt Rieß. „Diese Gefahr ist groß.“

In Kuwait gibt es deswegen Widerstand gegen das Gesetz: Zur Zeit läuft zum Beispiel eine Verfassungsklage. Nach ihrem Besuch in Kuwait, glaubte auch Beckerle, dass es noch Spielraum für eine Gesetzesänderung gibt. Sie habe etwa mit Regierungsvertretern gesprochen, die durchaus ihre Bereitschaft zu Gesetzesanpassungen signalisiert hätten, erzählt sie.

Wir wollen verhindern, dass dieses Gesetz zu einem Beispiel für Länder wird

Kristine Beckerle, Human Rights Watch

Und tatsächlich scheint die kuwaitische Regierung jetzt einzulenken. am Mittwoch berichtete die Nachrichtenagentur KUNA, der Emir des Landes, Sabah al-Ahmad al-Dschabir as-Sabah, habe den Premierminister dazu aufgefordert, das Gesetz noch einmal zu prüfen, sodass es in Einklang mit dem kuwaitischen Recht stehe und die Privatsphäre der Menschen gewährleiste. Auch Parlament und Premierminister seien sich darüber einig, dass nur genetische Fingerabdrücke von Verdächtigen genommen werden sollten, heißt es in einer weiteren Mitteilung.

Was sowohl Beckerle als auch Rieß aber beunruhigt: Kuwait ist auch ein Präzedenzfall. Die allumfassende DNA-Datenbank ist eine Form des modernen Überwachungsstaates, die – wenn man sich nicht entschieden gegen sie wehrt – vielleicht kein Einzelfall bleiben wird. „Das war mit der wichtigste Anlass, warum wir an die kuwaitische Regierung geschrieben haben. Es gibt durchaus auch in anderen Ländern große Datenbanken und Erwägungen, bestimmte Bevölkerungsgruppen zu typisieren,“ sagt Rieß. „Wir wollen verhindern, dass dieses Gesetz zu einem Beispiel für Länder wird, die über etwas Ähnliches nachdenken“, sagt Beckerle.

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