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Beschert uns die SPD doch noch einen spannenden Wahlkampf?

von Johnny Haeusler
Unser Kolumnist beobachtet im Netz neue Begeisterung für eine alte Partei. Schulz-Memes auf Reddit und der SPD-Hackathon vom Wochenende lassen Johnny Haeusler hoffen, dass der Wahlkampf 2017 doch noch spannend werden könnte.

Und dann geht es plötzlich doch. Nach jahrelangem Gerangel um netzpolitische Meinungshoheiten im Netz, nach dem quasi per Livestream übertragenen Aufstieg und Fall der Piratenpartei, nach der gefühlten Übernahme der Kommentarfelder durch AfD-Anhänger*innen spüre ich plötzlich in meinen Online-Filterblasen (ja, ich betreibe als Hobby mehrere davon) eine noch vor wenigen Wochen undenkbare neue Begeisterung für eine alte Partei. Noch dazu für die älteste im Lande. Für die SPD.

Warum ausgerechnet die SPD? Warum die Partei, die noch 2009 Netzsperren befürwortete und sich nur sehr, sehr langsam davon überzeugen ließ, dass Löschen statt Sperren die bessere Lösung ist? Warum die Partei, die einen Justizminister stellt, der die Vorratsdatenspeicherung 2014 auf Eis gelegt hatte, um sich ein Jahr später für ihre Wiedereinführung stark zu machen?

Warum gehören der aktuelle Applaus, die Begeisterung, die witzigen Memes nicht beispielsweise den Grünen, die mit Leuten wie Jan Philipp Albrecht oder Malte Spitz personell in Sachen aktiver Netzpolitik gut und glaubwürdig aufgestellt sind? Warum schaffen es die Piraten nicht, junge und engagierte Politikerinnen wie Julia Reda in den Vordergrund zu stellen?

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz und sein Team sind schuld, so scheint es. Auf ein Reddit-Forum als Hort vieler „The_Schulz”- und „Schulzzug”-Memes inklusive dem grottenschlechten Gottkanzler-Song mit einer Danksagung per Videobotschaft zu reagieren. Das zeugt zumindest von einem Minimum an Humor und Verständnis für Online-Kultur. Vielleicht genügte aber auch schon die Tatsache, dass ein deutscher Spitzenpolitiker überhaupt das Wort „Reddit” fehlerfrei ausspricht, um für Begeisterungsausbrüche zu sorgen.

Immerhin beließ es die SPD nicht bei Memes und anderen Internet-Gags, sondern legte am vergangenen Wochenende mit einem echten, zufällig oder absichtlich auch nicht ganz ironiefrei mit dem Hashtag #spdhack versehenen, Hackathon nach.

180 Bewerberinnen und Bewerber hatten sich laut Initiator und D64-Vorstand Henning Tillmann gemeldet, 40 davon konnten einen Platz finden, um gegen Reisekosten und Verpflegung für die SPD zu coden. Die Aktion war ein Novum für die Partei, erzählt Tillmann, und hätte nicht ohne die volle Unterstützung von SPD-Generalsekretärin Katarina Barley stattfinden können. Schließlich bedeutet ein Hackathon auch einen gewissen Kontrollverlust, um den sich Barley jedoch nicht eine Sekunde lang gesorgt habe.

Ein „Schulzzug-Game” ist entstanden bei diesem Hackathon, außerdem eine KI, die auf der analytischen Basis von Wikipedia-Artikeln, Amazon-Kundenreviews und anderen öffentlichen Quellen Online-Kommentare in Fakten und Meinungen einordnen können soll. Auch ein Portal für die rechtssichere Nutzung von (SPD-)Fotos und eine für alle SPD-Online-Systeme funktionierende Single-Sign-On-Lösung waren unter den Ergebnissen des Wochenendes. Und das klingt wirklich und ironiefrei toll.

Aber genügen Memes, Dankesvideos und Hackathons, um signifikante Teile der (Netz-)Bevölkerung zurückzugewinnen? Was ist mit den Inhalten in Sachen Datenschutz, Netzneutralität, Vorratsdatenspeicherung? Welche sinnvollen und wirksamen Vorschläge gibt es aus den SPD-Reihen hinsichtlich der Buzzwords „Fake News” und „Hate Speech”? Was ist mit Snowden? Der aktuelle, überraschende Hype um die Online-SPD kann und wird ohne Antworten auf diese Fragen nicht bestehen bleiben.

Bei vielen Netz-Peoples schlummerte anscheinend der Wunsch, sich wenigstens ein bisschen zu einer Partei der demokratischen Mitte bekennen zu können.

Johnny Haeusler

Bei vielen Netz-Peoples schlummerte anscheinend der Wunsch, sich jetzt, gerade in diesen Zeiten, besonders nach dem Sieg von Trump, politisch engagieren und wenigstens ein bisschen zu einer Partei der demokratischen Mitte bekennen zu können. Obwohl die netzpolitische, inhaltliche Glaubwürdigkeitshoheit in den letzten Jahren nicht gerade bei der SPD lag, schafft sie es im Moment, mit einem Funken Humor und noch vorsichtiger Offenheit, Netz-Menschen für sich zu gewinnen, eine Beobachtung, aus der die anderen demokratischen Parteien schnellstens lernen sollten.

Dann könnte es nämlich doch noch ein spannender Wahlkampf 2017 werden. Einer, bei dem die letztendlich doch sehr beschränkte Strategie von Kommentar- und Facebook-Share-Übernahmen durch pöbelnde Halb- oder Ganz-Bots nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Ein Wahlkampf, bei dem es um echte Teilhabe an politischen Prozessen und um Inhalte geht. Wäre das erreicht, wäre es fast egal, ob Martin Schulz gewinnt. Weil wir dann alle gewonnen hätten.

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