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„Democracy“ ist ein beeindruckender, aber auch enttäuschender Blick hinter die Kulissen der Politik

von Timo Brücken
Der Filmemacher David Bernet hat eine Dokumentation über das neue Datenschutzgesetz gedreht, das die EU bald verabschieden soll. „Democracy — Im Rausch der Daten“ ist ein beeindruckend tiefer Einblick in die Maschinerie von Brüssel — dem es leider an Drive fehlt.

Puh, Datenschutz. Kaum ein Thema ist so wichtig und unsexy gleichzeitig. Klar, irgendwie würden alle gern wissen und mitbestimmen, wer wann was mit ihren Daten anstellt. Aber dafür 30 Seiten AGBs durchlesen oder Artikel über die Vorratsdatenspeicherung? Nein, danke. Ziemlich doof ist das, vor allem für Politiker, Aktivisten oder auch Journalisten: Wie verpackt man ein Thema, das keinen interessiert, zumindest nicht so sehr, dass daraus konkrete Handlungen folgen?

Der jüngste Versuch: „Democracy — Im Rausch der Daten“ von David Bernet. 105 Minuten Dokumentarfilm über (ja, wirklich) den Weg der EU-Datenschutz-Grundverordnung durchs Europäische Parlament (EP). Dem Gesetz, das vier Jahre nach dem ersten Vorschlag immer noch nicht verabschiedet ist, weil Europäischer Rat und EU-Kommission auch noch mitzureden haben. Ein Film, der sich damit auseinandersetzen will, hat im Grunde zwei Aufgaben: Erstens muss er den politischen Prozess und seine Funktionsweise beleuchten und zweitens sollte er Menschen für die Materie begeistern (oder ihnen zumindest eine Haltung abnötigen). Ohne zuviel vorwegzunehmen: Das eine schafft „Democracy“, das andere nicht.

Auftritt Jan Philipp Albrecht. Der Grünen-Europaabgeordnete ist der Held des Films. Als offizieller EP-Berichterstatter hat er die Aufgabe, den Vorschlag für die neue Datenschutzverordnung in eine Form zu bringen, über die das Parlament am Ende abstimmen kann. Sprich: er muss sich mit Lobbyisten und Parlamentariern herumschlagen und Kompromisse finden, ohne die eigenen Ideale oder die eigene Partei allzu sehr zu verraten. Das darzustellen, ist die Aufgabe, die „Democracy“ hinkriegt.

Der Film liefert das, was der Titel verspricht — eine Beschreibung von Demokratie, wie sie ist: zäh, kompromissbeladen, frustrierend und oft einfach langweilig. Es geht um den Alltag, darum, was es bedeutet, schöne Sätze wie „Datensicherheit ist ein Grundrecht“ (Albrecht) oder „Ohne Vertrauen gibt es keine digitale Wirtschaft“ (EU-Justizkommissarin Viviane Reding) in die Realität umsetzen zu müssen. Da fragen sich Europaabgeordnete in einer Ausschusssitzung, was genau denn nun eigentlich diese „persönlichen Daten“ sein sollen, über die sie die ganze Zeit reden. Jan Philipp Albrecht legt sein schönstes Fake-Lächeln auf, während ein Lobbyist ihn vollmonologisiert. Und in kleiner Runde mit der Justizkommissarin muss sich ein Parlamentarier im letzten Moment auf die Zunge beißen, bevor er „die üblichen Verdächtigen“ benennt, die die Datenschutzreform im Parlament blockieren könnten. Bloß vor der Kamera niemanden brüskieren.

Von all dem erzählt der Film in farbentsättigten Bildern und mit extrem zurückgenommenem Tempo. Anfangs riechen der Schwarz-Weiß-Look und die Musikauswahl noch nach Theatralik, aber dann lässt Bernet so viele peinliche Pausen einfach stehen. So oft laufen Menschen über Korridore oder sitzen auf Autorückbänken, ohne das etwas passiert oder gesagt wird. Schon nach einer halben Stunde denkt man: Raffen hätte gut getan. Und merkt dann: Aha, Stilmittel. Verständlich, dass die Deutsche Film- und Medienbewertung das als „dokumentarisches Meisterstück“ bezeichnet und das „Prädikat besonders wertvoll“ vergibt. „Democracy — Im Rausch der Daten“ ist ungewöhnlich nah an der Europapolitik und ihren Protagonisten, der Einblick geht beeindruckend tief. Man sieht, dass hier auch nur Menschen am Werk sind, die eben nichts Übermenschliches leisten können. Die oft genauso ratlos vor der komplexen Materie stehen, wie die Bürger, die sie repräsentieren. Und die Weg finden müssen, diese Ratlosigkeit zu überwinden — oder mindestens zu überspielen.

Aber irgendwie reicht das nicht. Von einem Film, der die Botschaft „Der Datenschutz ist wichtig und in Gefahr“ vermitteln will, hätte man irgendwie erwartet, dass er diese Haltung offensiver artikuliert. „Democracy“ bleibt zurückhaltend. Und wenn mal große Worte fallen, dann sind es die gleichen leeren Hülsen, die die ganze netzpolitische Debatte schon immer so mühsam gemacht haben. „Daten sind das neue Öl“, „Datenschutz ist der neue Umweltschutz“, „Daten sind eine Währung“, „Die Antwort liegt in den Daten“ — was soll das bitte heißen? Solche Sätze werden in der Absicht gesagt, etwas anschaulicher machen, aber sie tun das Gegenteil. Weil sie Abstraktionen sind — bei einem Thema das ohnehin schon wahnsinnig abstrakt ist.

So tief der Film beim politischen Prozess des EP ins Konkrete geht, so sehr kratzt er nur an der Oberfläche der Frage: Um was zum Teufel geht es eigentlich genau — ganz konkret und auf den Alltag der Menschen heruntergebrochen? Erklärungsversuche werden hier und da angerissen, von der Menschenrechtlerin Katarzyna Szymielewicz etwa oder Albrechts Berater Ralf Bendrath, aber dann geht es meistens schnell weiter zum nächsten Ausschuss oder Lobbyistentreffen. Das ist schade.

Nicht falsch verstehen: „Democracy“ ist ein Monster von einer Polit-Dokumentation. Aber irgendetwas fehlt einfach. Alle, die sich auch nur halbwegs für (Europa-) Politik interessieren, sollten ihn trotzdem sehen. Und dann hoffen, dass die EU-Datenschutzverordnung nicht noch weiter verwässert wird, als man es in den 105 Minuten zuvor gesehen hat.

„Democracy — im Rausch der Daten“ feiert am Freitag, den 6. November, in Berlin Premiere und kommt am 12. November in die Kinos. 

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