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Diese Altmetall-Roboter-Band soll mithilfe von Kickstarter einen Sänger bekommen

von Dominik Schönleben
Die Roboter-Band Compressorhead hat ein Problem: Ihr fehlt ein Frontmann und Sänger. Den wollen sich die Musiker jetzt per Crowdfunding selbst bauen — und auf dem Wacken-Festival ihr erstes eigenes Album präsentieren.

Der süße Duft von Marihuana liegt in der Luft, wenn man die zum Studio umfunktionierte Autowerkstatt von Frank Barnes betritt. Er vermischt sich mit dem Geruch von brennenden Holzscheiten in einem verrosteten Kaminofen und altem Motoröl. Hier im Westen Berlins, eingeklemmt zwischen zwielichtigen Gebrauchtwagenhändlern und heruntergekommenen Lagerhallen, liegt das Headquarter der berühmtesten Roboter-Band der Welt.

Wenn Barnes seine Vision von per MIDI-Plugin gesteuerten Musik-Robotern beschreibt, dann spielt er zwischen den Fingerkuppen mit einem erloschenen Zigarettenstummel, den er später wieder anzünden und weiterrauchen will. Früher war Barnes Hausbesetzer — gleich im Nebengebäude der WIRED-Redaktion in der Berliner Linienstraße — heute ist er Manager und Ziehvater seiner eigenen Punkrock-Band: Compressorhead.

Und Barnes lässt seine Kinder rocken. „Wir haben schon neben den Red Hot Chili Peppers und The Killers gespielt“, erzählt er stolz. Per Hydraulikbühne wurden Comressorhead als Überraschung emporgehoben und sorgten weiter für Stimmung, während die Bühne für die menschlichen Bands umgebaut wurde. Vor 30.000 Menschen spielten die Roboter Stickboy, Fingers und Bones damals im Januar 2013 in Australien. Und es war nur eines von vielen Highlights.

Doch ein Problem haben die zum Teil aus Altmetall gebauten Blech- und Hydraulikmusiker: Ihnen fehlt der kreative Input: „Bis jetzt waren wir eine Coverband“, sagt Barnes. „Wahrscheinlich die am besten bezahlte Coverband der Welt.“ Sie spielten Motörhead, AC/DC und Songs von den Ramones. Aber damit soll jetzt Schluss sein. Compressorhead wollen selbst zu Superstars werden und endlich ihr eigenes Album aufnehmen. Was dafür noch fehlt? Der passende Leadsinger und Frontmann.

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Wenn man eine Band ist, deren Drummer mit drei Armen aus Stahl die Trommeln schlägt und deren Gitarrist 78 Hydraulik-Finger hat, dann castet man seinen Leadsinger nicht einfach wie eine aus Fleischsäcken bestehende Boyband — sondern bastelt ihn sich selbst. Doch dafür brauchen Barnes und seine Kollegen jetzt die Hilfe ihrer Fans und 290.000 Euro. Der Frontmann sollen per Kickstarter finanziert werden.

„Ich kann ihm keine Stimmbänder geben“, sagt Barnes. „Aber er wird einen Lautsprecher im Kopf besitzen — mit dem er dann ins Mikrofon singt.“ So könne die selbstgebastelte Punkrock-Legende dann wie ein echter Frontmann ins Publikum schreien oder mit den anderen Bandmitgliedern sprechen. Wenn der Neue hingegen direkt mit dem Verstärker verbunden wäre, sei das „scheiße“, sagt Barnes, denn dann wäre er kein echter Sänger, sondern nur noch eine Stereoanlage.

Natürlich muss ein Punkrocker nicht nur singen, sondern auch Gitarre spielen können. Allein für die Bauteile der Hydraulikfinger braucht die Band 5000 Euro. Am Ende soll er wie ein echter Frontman eine ganze Bühnenshow inszenieren. Inklusive automatischer „Fuck Off“-Routine, bei der er dem Establishment den Mittelfinger gibt. Es soll Barnes komplexester Roboter bisher werden.

Seine Maschinen-Musiker sind quasi MIDI-Instrumente. Jeder Note ist dabei einer Bewegung zugeordnet, die etwa der Drummer macht. Gitarrist Fingers, gebaut von Markus Kolb, erkennt sogar selbst, wo er auf seinem Instrument eine Note greifen soll, abhängig davon, welche er zuvor gespielt hat. „Wir sind das anspruchsvollste MIDI-Plugin auf dem Markt“, wird Barnes nicht müde zu betonen.

Für den Sound hat sich Compressorhead den Altrocker John Wright von The Hanson Brothers an Bord geholt. Die 14 Songs für das erste Album stammen aus seiner Feder: „Wir wollen die erste Roboter-Band sein, die ein gutes Album aufnimmt“, sagt Barnes, der zum Beispiel wenig von der japanischen Konkurrenz Z-Machines hält. Das Wettrennen um den Roboter-Rock-Superstar hat begonnen — das wissen auch die großen Studios.

Anstatt in den Konferenzräumen von Plattenfirmen entsteht die Revolution des mechanischen Rocks als gemeinsames Experimentieren im Bastel-Kollektiv des ehemaligen Hausbesetzers. „Warum sollten wir etwas weggeben, damit jemand anderes damit Geld machen kann — Fuck Off!“, ist Barnes Antwort an die Plattenfirmen (und die GEMA). Angebote bekamen Compressorhead schon mehrfach, doch wie echte Punks haben sie ihren eigenen Kopf: „Sie wollten sogar unseren Songwriter austauschen — aber wir haben schon John Wright.“

Das machte Barnes wütend und ließ ihn sogar seinen ursprünglichen Plan über den Haufen werfen: „Der Frontmann sollte ein Badass-German-Steampunk-Roboter mit einem Kaiserhelm werden — mit zwei Köpfen“, beschreibt Barnes seine ursprüngliche Vision von der auf der Werkbank erschaffenen Bühnenlegende. Nun aber solle John Wright nicht nur die Musik schreiben, sondern auch optisches Vorbild werden, um ihn unwiderruflich mit der Band verschmelzen zu lassen.

Compressorhead begannen entgegen aller Stereotypen mit dem Drummer. Den guten Schlagzeuger muss man sich eben selbst bauen — schließlich ist es ein Lob für jeden Drummer, wenn er als Maschine bezeichnet wird. Für das Robodock-Festival in Amsterdam hatte Barnes zuvor andere Roboter gebaut, darunter ein Robo-Hai. Als dann das Thema „Rhythmus“ anstand, kam ihm die Idee für den Drummer. Seit seinem ersten Auftritt 2007 in Amsterdam hat Stickboy schon mehr als 50 Gigs hinter sich.

Einen guten Roboter zu bauen, braucht Zeit. „Wir wollen den Prozess beschleunigen, deshalb versuchen wir es jetzt mit Kickstarter, damit wir nächsten Sommer fertig sind“, sagt Barnes. Er und seine Kollegen Markus Kolb und Stock Plum hoffen, dass ihr neuer Frontmann zum Fusion Festival 2016 fertig wird und die Band dort ihr Debüt in voller Besetzung geben kann.

Das Album soll dann bis Wacken 2016 fertig sein. Eigentlich hätte Compressorhead schon dieses Jahr auf dem Metal-Festival auftreten können, doch Barnes will sich lieber erst mit der kompletten Band präsentieren. Ohne erfolgreiches Crowdfunding würde das zeitlich extrem knapp.

Egal ob sie die 290.000 Euro zusammenbekommen oder nicht, Compressorhead wird nicht aufgeben. „Einige der Jungs werden langsam alt und wir müssen uns beeilen“, scherzt Barnes. Sollten sie aber das Geld erst durch weitere Auftritte ansparen müssen, könnte es ein wirklich langer Weg werden.

Bis zum 5. Dezember kann Compressorhead noch auf Kickstarter unterstützt werden. 

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