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Die Macher von „Black Mirror“ zeichnen eine düstere Zukunft – aber lieben Technologie

von GQ
Die Serie „Black Mirror“ versucht, unsere Obsession mit neuen Technologien zu ihrem logischen Ende zu führen. Im WIRED-Interview erzählen Autor Charlie Brooker und Executive Producer Annabel Jones, warum sie die Schattenseiten unserer Zukunft erforschen.

Black Mirror hat ein beunruhigend gutes Händchen für Vorahnungen: In einer Episode der Serie geht es um eine App, mit der Menschen sich gegenseitig bewerten, in einer anderen um ein soziales Netzwerk, das tote Freunde wieder zum Leben erweckt. Und dann war da noch diese Folge, in der der britische Premierminister gezwungen wurde, in einem Livestream Sex mit einem Schwein zu haben – vor allem letzteres ließ die Serie wie eine überzeichnete Comic-Version der Wirklichkeit erscheinen.

Black Mirror hatte in Großbritannien zwar schon durch die Ausstrahlung auf Channel 4 Kultstatus erlangt, doch 2014 wurde sie über die Streaming-Plattform Netflix endgültig Teil des globalen Zeitgeists. Am 21. Oktober soll die dritte Staffel mit sechs neuen Episoden veröffentlicht werden. Dieses Mal exklusiv auf Netflix.

Obwohl Charlie Brooker, Guardian-Kolumnist und Autor der Serie, in jeder Folge nach den dystopischen Ängsten seines Publikums gräbt, ist er selbst eigentlich ein Technikfreund: „Letztens war ich mit meinen Kindern im Garten schaukeln, als ich gleichzeitig versucht habe, auf mein Telefon zu schauen“, sagt er. „Mein Sohn ist zwei. Er will, dass ich ihn anschubse und ich sage zu ihm: Halt, ich muss mir erst dieses GIF ansehen.“ WIRED traf Brooker und Black Mirrors Executive Producer Annabel Jones zum Gespräch über das Silicon Valley, Maschinenstürmer und Twitter.

WIRED: Black Mirror zeigt, wie Technologie unser Leben verändert – egal ob zum besseren oder schlechteren. Ist es da nicht ironisch, dass ihr jetzt für Netflix arbeitet?
Charlie Brooker: Es passt auf jeden Fall zusammen. Es gäbe echt ziemlich abgedrehte, verquere Dinge, die man dabei machen könnte. Jemand, der gerade Black Mirror sieht, aber vorher House of Cards gesehen hat, dem könnte etwa eine alternative Szene gezeigt werden.

In der Zukunft wird es 13-Jährige geben, die brutale Kriegsverbrechen begehen, während ihnen jemand in VR einen bläst

Charlie Brooker

WIRED: Was ist anders, jetzt da ihr für Netflix und nicht mehr fürs Fernsehen arbeitet?
Brooker: Es ist eigentlich gar nicht so unterschiedlich. In der Praxis hat man einige zusätzliche Freiheiten. Eine davon ist, dass die Quote nicht drohend über einem steht. Im Fernsehen macht man sich oft Sorgen, dass vielleicht auf einem anderen Kanal ein wichtiges Fußballspiel gezeigt wird. Man hat das Gefühl, es gibt nur eine Chance sich zu bewähren.
Anabel Jones: Obwohl TV-Sender in Amerika Black Mirror beeindruckend fanden, hätte keiner von ihnen die Serie in Auftrag gegeben, weil sie so ungewöhnlich ist. Als Netflix die Show 2014 ins Programm nahm, durchliefen wir einen Reifeprozess: Die Sendung wurde durch Mund-zu-Mund-Propaganda bekannt – die Menschen wollten einfach über uns sprechen.

WIRED: Durch Netflix bekommt ihr ein internationales Publikum. Wie kam eure Serie dort an?
Brooker: Die alten Staffeln liefen gut in Spanien. In China werden wir wohl oft raubkopiert.
Jones: Die Themen hinterlassen einen Eindruck bei den Menschen. Wir dachten, dass unsere Show ziemlich britisch wäre, aber eigentlich hatte die gesamte Welt die gleichen Erfahrungen mit der rasanten Entwicklung von Technologie gemacht. Wir zeigten Geschichten, die sonst keine Serie zu dieser Zeit erzählte.
Brooker: Und wenn der Premierminister Sex mit einem Schwein hat, dann finden das alle Nationalitäten lustig.

WIRED: Wie kam diese Episode in den USA an?
Brooker: Die Reaktionen waren ziemlich gespalten. Es hat sie nicht abgestoßen, einige dachten nur, es sei ziemlich lächerlich – was es ja auch ist. Andere waren da nicht so skeptisch. Auf der anderen Seite des großen Teichs gibt es Menschen, die glauben, ich würde ähnlich wie der Unabomber denken – ich sei ein technologiefeindlicher, wütender Mann, der seine Faust gegen das Internet erhebt. Aber das bin ich nicht.

WIRED: In der dritten Staffel spielen zwei Episoden an der amerikanischen Westküste. Habt ihr eure Charaktere absichtlich in die Nähe des Silicon Valley gebracht?
Brooker: Wir haben keinen Gedanken daran verschwendet, unsere Charaktere mit der Welt des Silicon Valleys verschmelzen zu lassen. Wir schauen uns nicht die Tech-Websites an und sagen dann: „VR ist im Trend, was fällt euch dazu ein?“ In der Episode Be Right Back, in der Domhnall Gleeson stirbt und von Hayley Atwell mit Hilfe seiner Social-Media-Profile wiederbelebt wird, sollte es eigentlich diesen Moment geben, in dem auffällt, was für eine Abzocke das Ganze eigentlich ist. Es gab eine Szene, in der ihr das Guthaben ausgeht und sie es wieder aufladen muss. Wir hatten sie sogar gedreht, aber irgendwie fühlte es sich falsch an. Wir versuchen eigentlich, diese Perspektive zu meiden.
Jones: Die Show soll unsere Ängste über die moderne Welt hervorlocken. Und Technologie ist eben eine der treibenden Kräfte dahinter. Wenn wir die Episode National Anthem als Beispiel nehmen: Sie erzählt, was passiert, wenn sich das Machtgefüge großer Organisationen verändert und sich die Polizei und die Regierung machtlos fühlen. Die sozialen Medien geben dann den Ton an. Das ist ein globales Thema, nicht nur auf die Tech-Szene begrenzt.

Seit ich diese Show mache, fällt es mir schwerer und schwerer, auf sozialen Medien zu interagieren

Anabel Jones

WIRED: Was ist eurer Ziel, wenn ihr eine neue Episode schreibt?
Brooker: Mein Ansatz unterscheidet sich wohl stark vom durchschnittlichen Zuschauer. Ich stelle es mir wie Popcorn-Kino vor, das seine Inspirationen bei Serien wie Alfred Hitchcock Hour oder Die unglaublichen Geschichten von Roald Dahl sucht. Ich versuche es wie Mainstream-Schund zu schreiben.
Jones: Wir wollen, das es Spaß macht, spannend und gruselig ist. Wenn das Skript fertig ist, dann versuchen wir es so bodenständig wie möglich zu machen.
Brooker: In Wirklichkeit ist Be Right Back eine Geistergeschichte.
Jones: Dazu kommt das Thema, dass es einen Unterschied zwischen der eigenen Online- und Offline-Persönlichkeit gibt.
Brooker: Ja, und das ist ihr Glück. Seine Online-Persönlichkeit ist ziemlich fade und das wird zum Problem. Aber sie hätte auch einen kranken Irren bekommen können. Oder jemanden, der sich ständig nur aufregt. Das wäre unerträglich. Dann hätte sie ihn wohl zu Tode geprügelt.

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WIRED: Eine der neuen Folgen ist ziemlich herzzerreißend. Werdet ihr langsam weich?
Brooker: Es war die erste neue Episode, also dachte ich mir: Was erwarten die Leute? Und ich bin etwas selbstsicherer mit den Skripten geworden. Viele Menschen mochten die Show, aber fanden sie ein bisschen depressiv. Jede Woche gibt es eine neue App, die jemanden umbringt. Also fragte ich mich: Gibt es auch etwas hoffnungsvolles?

WIRED: Die Show führt Technologie zu ihrem logischen Ende. Was passiert also, wenn Virtual Reality besser als die Realität wird?
Brooker: Zehn Jahre in der Zukunft wird es lauter 13-Jährige geben, die in der virtuellen Realität brutale Kriegsverbrechen begehen, während ihnen jemand ein bläst. Das wird Normalität werden. Blowjobs und Shooter. Und wir werden sagen: „Was verdammt ist eigentlich mit dieser Generation passiert?“

WIRED: Dir wird oft vorgeworfen, du wärst ein Maschinenstürmer. Wie ist dein Verhältnis zu Technologie wirklich?
Brooker: Ich bin ein bischen auf Social Media, aber benutze Facebook nur noch selten. Ich habe mich von Twitter zurückgezogen aus demselben Grund, weshalb ich auch keine Kolumnen mehr schreibe: Dort wird einfach zu viel geplappert. Im Moment spiele ich No Man’s Sky und habe schon eine Idee für die nächste Staffel, die etwas mit prozedural generierten Welten zu tun hat. Ich finde es einfach affig, dass die Leute sich so über das Spiel aufregen: „Oh, dieses unendliche Universum ist schon ein wenig langweilig.“ Für 50 Dollar können sie in einem verdammten, unendlichen Universum herumfliegen. Und das ist ihnen nicht gut genug?
Jones: Seit ich diese Show mache, fällt es mir schwerer und schwerer, auf sozialen Medien zu interagieren. Wenn ich mitmache, dann zieht es mich rein. Ich fühle mich dann, als würde ich ein bischen zu viel meines Lebens opfern. Sagt in Be Right Back nicht jemand etwas Ähnliches?
Brooker: Sie sagt, dass soziale Medien ein Dieb sind.
Jones: So fühlt es sich mit meiner Zeit an. Wir beide lieben Technologie und geben uns dem auch hin. Die Technologien in der Serie versuchen so verführerisch und simpel wie möglich zu sein. Wir haben Technologie in unser Leben gelassen, weil es dadurch einfacher wird. Es ist wie eine Droge.
Brooker: Bei Be Right Back dachte ich darüber nach, wie authentisch Menschen auf sozialen Medien sind. Ich ertappte mich dabei, dass ich selbst nicht authentisch bin und es erinnerte mich daran, wie ich Kolumnen schrieb. Es ist zum Spiel geworden: Du wirst dafür belohnt unterhaltsam zu sein, auf einem ziemlich oberflächlichen Level. Jeder ist davon betroffen. Und wer das Gegenteil behauptet, lügt. Alles bekommt stärkere Kontraste, es ist wie in einer Kneipe, kurz bevor sie schließt, wenn alle emotional werden.
Jones: Alles muss dort emphatisch sein: „Das ist einer der besten Artikel, den ich je gelesen habe!“ Und du denkst dir: „Wirklich? Ist er wirklich so gut?“
Brooker: Dann hast du das Internet gewonnen.

WIRED: Hatte dieser erhöhte Kontrast auch Auswirkungen auf den politischen Diskurs?
Brooker: Wenn man sich Jeremy Corbyn oder Donald Trump ansieht, dann fühlt es sich so an, als wären sie eine Nebenwirkung unserer eigenen überhöhten Meinungen. Zu keinem Moment der Geschichte gab es so viele politische Meinungen, die öffentlich kundgetan wurden. Das ist wie bei meinen Kolumnen: Wenn du etwas schreibst, dann musst zu dazu stehen. Wen du deine Meinung änderst, dann ist das eine öffentliche Blamage. Weil alle ihre Meinung aufschreiben, wird es schwieriger etwas zurückzunehmen. Niemand kann den Rückzug antreten.

Dieses Interview erschien zuerst auf WIRED UK.

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