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Die deutsche Netflix-Serie Dark ist ein trostloser Albtraum

von Michael Förtsch
Mit "Dark" ist die erste Netflix-Serie aus Deutschland gestartet. Sie ist düster, wunderschön und spielt mit Rätseln und Ängsten. Leider ist sie aber auch zaghaft und inkonsistent.

Der Zeitpunkt könnte kaum besser sein. Passend zu den kalten und nebeltrüben Monaten hat Netflix mit Dark seine erste deutsche Serienproduktion gestartet. Hinter der stehen die Drehbuchautorin Jantje Friese und der Regisseur Baran bo Odar, die zuletzt den Hacker-Thriller Who Am I produziert hatten. Mit Dark geht das Duo nun in eine andere Richtung. Hier handelt es sich um eine düster-kühle Mystery-Serie, die durchaus hohe Erwartungen weckt. Denn Netflix hat mit Produktionen wie The OA, Lilyhammer oder Stranger Things demonstriert, dass es seinen Serienmachern viel freie Hand lässt. Aber vor allem, dass dabei so mutige, eigenwillige wie mitreißende Serien herumkommen. Es sind Produktionen, die bei traditionellen TV-Sendern wenig Chancen gehabt hätten.

Angesiedelt ist Dark primär im Herbst des Jahres 2019 im fiktiven Winden. Die Kleinstadt ist von einem tiefen Wald mit unheimlichen Höhlen umschlossen und wird von einem wuchtigen Atomkraftwerk überragt, das seiner baldigen Abschaltung entgegensieht. Vor gut zwei Wochen ist dort der junge Erik Obendorf verschwunden. Eine Spur gibt es bislang nicht, was seine Eltern in Wut und Verzweiflung stürzt. Ebenso hat auch der 17jährige Jonas Kahnwald mit Problemen zu kämpfen. Sein Vater hat sich vor zwei Monaten erhängt, er wird von Albträumen geplagt und seine Mutter geht einer Affäre mit dem verheirateten Polizisten Ulrich Nielsen nach. Der erste Schultag nach seiner Trauerphase ist für den Teenager daher eine dankbare Ablenkung.

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Als Jonas jedoch am Abend mit Freunden in den Wald geht, um den Drogenvorrat des verschwundenen Erik zu suchen, passiert Merkwürdiges. Ein Brummen dringt aus einer Höhle. Taschenlampen flackern. Panik bricht aus. Dann ist plötzlich der kleine Mikkel verschwunden, der Bruder von Jonas' bestem Freund. Das erinnert alles an Stranger Things. Wesen aus anderen Dimensionen gibt es hier aber nicht. Dafür hingegen Risse in der Zeit, die ausgerechnet in die 80er-Jahre führen. Eben dort – oder dann – wird Erik in einem blauen Raum festgehalten und läuft Mikkel seinem zukünftigen Vater in die Arme. Nena, Raider-Schokoriegel – Raider heißt jetzt Twix... sonst ändert sich nix – und Tschernobyl werden als überdeutliche Referenzen der Ära ausgeworfen.

Zu diesen Merkwürdigkeiten kommen noch bizarre Experimente, eine Kinderleiche mit zerschmolzenen Augen, radioaktive Altlasten und ein Brief, der erst am Abend des Verschwindens von Mikkel geöffnet werden darf. Die älteren Einwohner von Winden haben all das schon einmal durchlebt. „Alles ist genauso wie vor 33 Jahren“, heißt es. „Alles wiederholt sich.“ Es ist ein verworrenes und symbolisch aufgeladenes Bedrohungsgespinst, das aufgezogen wird. Dadurch entfaltet Dark einen eigenen aber zeitweise auch allzu deutschen Charakter. Der Ton der Serie ist frostig und distanziert. Heitere Momente wie in Stranger Things, die durch dröhnende Horror-Klänge unterstrichene Grundspannung auflösen, gibt es nicht.

Die vier Familien, auf die sich die Handlung aufspannt, sind derart dysfunktional, dass es für ein ARD-Sozialdrama reichen würde. Der Pessimismus, den sie ausstrahlen, schmerzt in einigen Szenen geradezu. Die Richtung, in die sich manch zentraler Charakter entwickelt, lässt regelrecht Unwohlsein aufsteigen. Auch sonst wird Winden offenbar von Menschen bewohnt, die kein Gemeinschaftsgefühl besitzen, lediglich ausgeleierte Strickpullis tragen und seit Jahren keinen Friseur mehr gesehen haben. Das provinzielle Deutschland, das die Serienmacher zeichnen, ist trist, trostlos und rückständig. Jedes Aufeinandertreffen von Charakteren umgibt eine Aura der Paranoia und des Unheils – und das ist gewollt und erfüllt einen Zweck.

Dabei beweist Dark mal beispielhaft, wie Situationen und Charakterkonstellationen nach dem Prinzip des Show, don't tell mit Bildern und Stimmungen statt Gesprächen gesetzt werden. Dann wieder stolpern die Figuren durch plumpe Dialoge, um ihre Beziehung zueinander klarzustellen: „Sollten sie mir das nicht sagen, als mein Therapeut?“ Damit wird leider das Potenzial der jungen und fähigen Schauspielerriege untergraben. Louis Hofmann als Jonas, Lisa Vicari als die Jugendliebe Martha, Oliver Masucci als Polizist Ulrich, Jördis Triebel als Schuldirektorin und andere leisten grandiose Arbeit, aber könnten noch mehr.

Die zehn Episoden starke Serie versucht mit Raum, Zeit und dem Verständnis von Realität zu spielen und den Zuschauer dadurch zum Rätseln und Analysieren aufzufordern. Twin Peaks, Lost und Westworld waren da wohl die großen Vorbilder. Die Handlung springt dafür mal in die Vergangenheit und dann wieder zurück. Das soll den bekannten Sehgewohnheiten entgegenlaufen und sichtbar intelligenter daherkommen, als die Serienkost, die im deutschen TV läuft. Diese Ansätze sind jedoch zu schüchtern und spärlich eingesetzt, um eine nachhaltige Wirkung zu entfalten.

Diese Stolpersteine machen Dark allerdings keineswegs weniger sehenswert. Auch da das Kaff und seine melancholietrunkenen Bewohner mit kunstvoll komponierten Bildern eingefangen werden. Einsame Straßen, Wälder mit Hochspannungsmasten, die im morgendlichen Nebel versinken, nächtliche Kreuzungen oder tote Schafe, die eine ganze Weide pflastern. Dazu kommen bombastische Totalen und aufwendige Luftaufnahmen – Serienliebhaber werden die stilistischen Vorbilder der Macher erkennen. In Dark erscheint die deutsche Kulisse als irreale Märchenwelt. In diesem Feld braucht die heimische Produktion den Vergleich mit Hannibal, True Detective oder Fargo nicht zu scheuen.

Nein, Dark ist sicherlich nicht der kreative Befreiungsschlag, den sich manche erhofft hatten. Die Serie ist unbestreitbar deutsch. Sie hadert mit Inkonsistenzen und losen Nähten. Kein Wunder, haben Jantje Friese und Baran bo Odar hier doch zwei unrealisierte Projekte zusammengeworfen, die an einigen Enden offenkundig einfach nicht zueinander passen. Aber das ist nicht schlimm oder verwerflich. Denn Dark ist letztlich eine gelungene, wenn auch nicht außergewöhnliche Mystery-Serie. Sie übertrifft dennoch locker das deutsche Fernsehmittelmaß und beweist, dass deutsche Serien- und Fernsehmacher mehr können, als wir sonst zu sehen bekommen.

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