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Sehen wir bald nur noch, was wir sehen wollen? Augmented-Reality-Brille verbannt Werbung aus unserem Alltag

von Max Biederbeck
Nie wieder das McDonald's-M sehen müssen, nie wieder das Starbucks-Logo auf dem Kaffeebecher und vor allem: keine leuchtenden Äpfel mehr im Café. Brand Killer, ein Projekt von vier US-Studenten, verbannt Werbung und Marken aus unserem Leben — und stellt dabei eine fundamentale Frage: Können wir unsere Wahrnehmung in Zukunft nach Belieben tunen?

In nur 36 Stunden hat sich Jonathan Dubin die Realität zurecht gebastelt. Der 20-jährige Student aus Pennsylvania brauchte dazu nur die Hilfe von drei Kommilitonen, eine Plastik-Schutzbrille, einen 7-Zoll-Bildschirm und eine Heißklebepistole. Damit trat sein Team vergangene Woche beim größten Studenten-Hackathon der USA PennApps in Philadelphia an. Einer von Dubins Freunden kümmerte sich um die Hardware, ein anderer programmierte mit der Computer-Vision-Software OpenCV ein Betriebssystem. Irgendwo auf der Veranstaltung liehen sie sich dann noch eine Webcam. Ein wenig kleben, biegen und stecken, dann war der Brand Killer fertig und nahm sich die ersten Markenzeichen vor.

Es handelt sich dabei um eine Augmented-Reality-Brille, die Werbung aus unserem Leben löschen soll. „Wir sind Fans der britischen Serie‚ Black Mirror“, erklärt Dubin. „Darin blenden die Protagonisten unliebsame Personen einfach per Augenchip aus.“  Dieser Gedanke faszinierte die Studenten. Aber Menschen verschwinden zu lassen, das war ihnen dann doch zu makaber. Stattdessen wollten Dubin und seine Teamkollegen einen echten sozialen Mehrwert schaffen. „Werbung und Marken sind ein Schandfleck, der in unserer Gesellschaft viel zu oft vorkommt“, schreibt Mitentwickler Alex Crits-Christoph in einem Blogbeitrag. Die Symbole von Franchise-Unternehmen wie Starbucks oder McDonalds seien mittlerweile ein dermaßen normaler Teil des Lebens vieler Menschen, dass es ihm Angst mache, sagt Dubin. Das McDonald's-M müsse aus unserem Alltag verschwinden.

Das geht mit dem Brand Killer im Grunde ganz einfach: Die Webcam nimmt auf, was sich der Träger gerade anschaut. Dann überträgt sie die Bilder auf den Bildschirm im Inneren der Brille. Mithilfe von OpenCV werden Markenzeichen automatisch erkannt und herausgefiltert. Der Träger sieht sie nur noch verschwommen oder verpixelt.  „Für den Hackathon haben wir nur einen Prototypen gebaut, der sieht natürlich noch nicht so toll aus“, sagt Dubin. Auch die Liste der ausblendbaren Marken sei noch sehr begrenzt. In Zukunft stellt er sich aber eine ausgefeiltere Technik auf Grundlage von Oculus Rift oder Microsoft Hololens vor. Statt der Werbung könnten dann Inhaltsinformationen zu Produkten gezeigt werden oder einfach nur Bilder, die der User lieber sehen möchte als etwa das Apple-Logo. „Unser Gerät funktioniert wie der Adblocker im Browser, nur für das echte Leben“, erklärt Dubin.

Der Brand Killer ist ein kleines Studentenprojekt mit viel Potenzial. Es zeigt, wie einfach unsere Realität heutzutage getuned werden kann. Schon Google Glass wollte seine Träger in einen halbdigitalen Raum versetzen. Doch die Brille hielt nicht ansatzweise, was ihre Promo versprach. Mit der Hololens, die Microsoft vergangene Woche präsentierte, drängt aber schon der nächste Kopf-Adapter auf den Markt. Das Ziel dieser Hightech-Geräte lautet immer: Die schnöde Wirklichkeit soll sich in ein interaktives Wunderland verwandeln.

Blenden wir vielleicht wirklich bald alles aus, was uns nicht gefällt? Färben wir Sportwagen blau, weil uns das klischeehafte Rot nervt, oder programmieren wir uns strahlenden Sonnenschein in den Alltag, weil das Wetter wieder zu schlecht ist?

In der Kunst gibt es schon einige Ansätze, die in diese Richtung führen. Meistens soll mit ihnen die Wahrnehmung des eigenen Körpers verändert werden. Mark Farid  etwa schlüpfte in einem Experiment „Seeing I“ für Stunden in den Körper eines anderen. Er sah, aß und hörte, was die andere Person sah, aß und hörte — und löste sich selbst im Grunde völlig auf. Andere Projekte wie das „Body Transfer Project“ ließen Männer per modifizierten Oculus-Rift-Brillen in den Körper einer Frau schlüpfen. Sie lassen einen die Hautfarbe ändern, machen einen dicker, dünner, größer und kleiner. Zumindest in der eigenen Wahrnehmung.

Experimente wie diese versetzen einen nicht einfach nur in eine virtuelle Realität. Sie verändern die eigene Wirklichkeit. So wie es auch der Brand Killer macht. „Es bleibt die Frage, wer entscheidet, was eine nervige Marke ist und was nicht“, sagt Entwickler Dubin. Viele würden sich zum Beispiel mit „Nike“ schmücken und diese Brand vielleicht gar nicht aus ihrem Leben verbannen wollen. Der Student ist sicher: „Wir sehen am Ende eben nur noch das, was wir sehen wollen.“

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