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Wie sehen die deutschen Spitzenkandidaten auf Instagram aus?

von Dirk Peitz
​Erstaunlich spät haben die deutschen Parteien Instagram als Darstellungsplattform für ihr Spitzenpersonal entdeckt. Dabei lässt es sich als Politiker auf Fotos doch so gut menscheln! Während SPD, Grüne und AfD passend zu ihren schwächelnden Umfragewerten eher dahindümpeln, führen zwei Leute im Foto-Feed zumindest ihre Kompetenz bei der Bilderproduktion vor: Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr womöglich zukünftiger Wunschkoalitionspartner. 

Das Bild, das FDP-Chef Christian Lindner am 26. April postete, erfüllte nicht ganz die üblichen Schöner-als-die-Wirklichkeit-Fotostandards von Instagram. Doch immerhin war es ordentlich verhashtagt: #foodporn und #instafood standen unter dem Foto einer Lieferpizza, die dem Anschein nach mit irgendwas ähnlichem wie spinachi belegt war.

Richtig appetitlich sah die Pizza also nicht aus, doch was in der Politik mitunter mehr zählt, ist ja die Geste – die Liberalen hatten an jenem Tag nordrhein-westfälischen Startup-Gründern was zu essen geschickt, um sie daran zu erinnern, wo sie bei der Landtagswahl am 14. Mai ihr Kreuzchen machen sollten. 12,6 Prozent gewann die FDP am Ende, ihr historisch bestes Ergebnis in dem Bundesland.

Die fast 2600 Likes unter der Lieferpizza (Stand 23. Mai) sind zahlenmäßig zwar nicht so außerordentlich viel, dass man behaupten könnte, die NRW-FDP habe die Wahl auf Instagram gewonnen. Doch auch die anderen Fotos auf Lindners Account zeigen: Da versucht sich ein Parteichef auf zeitgenössische Weise sozialmedial zu über Bilder inszenieren, und es funktioniert nicht nur deshalb ganz gut, weil der 38-Jährige fotogen ist.

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Fast alle deutschen Spitzenpolitiker sind mittlerweile auf Instagram zu finden, einer Plattform, die sich nicht gerade zur Präsentation oder gar Diskussion von Politikinhalten anbietet. Aber darum geht es im Wahlkampf ja nicht nur, der vier Monate vor der Bundestagswahl gerade erst anläuft. Politik hat sich schon immer auch über symbolisch aufgeladene Bilder vermittelt, und unsere digitale Zeit produziert mehr denn je. Interessant ist, wie sie heute benutzt werden – auf einem Medium, in dem sich insbesondere junge, digitalaffine Wählerschichten tummeln.

Amtsträger sind auf geradezu natürliche Weise bevorteilt dabei, sich bildlich in Szene setzen zu lassen. Ihr Arbeitsalltag wirft ständig Fotos und Videos ab, die allein schon wegen ihres Settings und der anderen Menschen bedeutsam erscheinen, die mitabgebildet sind. Das zeigt sich im Fotostream der @bundeskanzlerin beispielhaft: Angela Merkel mit Emmanuel Macron auf der Terrasse des Kanzleramts; Angela Merkel mit dem ukrainischen Staatspräsidenten Poroschenko im Garten von Schloss Meseberg, dem Gästehaus der Bundesregierung; Angela Merkel aber auch mit Leuten wie Elyas M’Barek und Philipp Lahm, die nichts mit Politik zu tun haben, aber unter anderem einen Haufen zumeist junger Instagram-Follower mitbringen.

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M’Barek folgen rund zwei Millionen Abonnenten, der Kanzlerin nur knapp 264.000. Die Machtverhältnisse auf Instagram sind eindeutig, da verlinkt man als Social-Media-Team eines Politikers doch gern mal ein Foto mit dem Account eines populären Schauspielers. Macht fast zehntausend Likes.

Im Vergleich zur politischen Konkurrenz liegt Merkel mit ihrer Viertelmillion Follower schier uneinholbar vorn auf Instagram. Martin Schulz, der Kanzlerkandidat der SPD, kommt gerade mal auf etwas mehr als elftausend Abonnenten, da ist FDP-Chef Lindner schon weiter mit fast 20.000 Fans. Die Grünen, die eigentlich traditionell Jungwähler ansprechen, sind mit ihren Spitzenkandidaten Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt auf Instagram quasi unsichtbar: 1534 respektive 941 Follower, das ist so miserabel, dafür braucht man nicht mal eine sozialmediale Wahlkampfstrategie.

Erstaunlicherweise meidet das Personal der sonst so sozialmedial aufgestellten AfD Instagram völlig: Frauke Petry und Beatrix von Storch, die auf Twitter und Facebook regelmäßig mittlere Stürme entfachen, haben beide zwar einen Account, bisher aber nicht ein einziges Bild gepostet (ihnen folgen auch nur 121 beziehungsweise 55 User). Spitzenkandidatin Alice Weidel besitzt nicht mal eine Instagram-Präsenz. Die troll- und brüllaffinen AfD-Leute scheinen sich von der Alles-so-nice-hier-Plattform nicht genug Rabbatz zu versprechen.

Das ist insofern erstaunlich, als dass es eine Grundgewissheit aller Wahlkampfstrategen ignoriert: Politiker sollen menschlich erscheinen, und Bilder sind dafür das einfachste Mittel. Das scheint insbesondere Christian Lindner zu beherzigen, der seinen Mangel an jeglichem Regierungsamt und entsprechend repräsentativer Photo Ops dadurch kompensiert, dass er seinen Instagram-Abonnenten eine Art Hinterbühnenblick auf sein Tun bietet: immer unterwegs, immer gerade auf dem Weg zu den Leuten. Zumeist in klassisch-schickem Schwarzweiß sieht man Lindner im Auto oder gar Hotelzimmer vor und nach Auftritten, manchmal sogar nicht mal ordentlich angezogen im weißen T-Shirt.

Ein vermeintlich intimer Blick auf einen Mann, der bald was werden will in Berlin und derzeit fast nebenbei für seine Partei die schwarz-gelben Koalitionsverhandlungen führt in NRW, wird hier inszeniert. Auch in einem gebürtigen Wuppertaler wie Lindner steckt ein bisschen JFK, suggerieren diese Fotos. Denn sie erinnern stilistisch an alte Aufnahmen des einstigen US-Präsidenten, der sich im Weißen Haus auch mal betont locker abbilden ließ.

 

Der Instagram-Account des FDP-Chefs erzählt so eher ein Gefühl als irgendwelche politischen Fakten, und genau darum kann es auf einer Bilderplattform ja auch nur gehen. Smart, irgendwie ein bisschen sexy, aber auf jeden Fall zukunftsoptimistisch und digital voll im Bilde, so stellt sich Lindner dar.

Seine mutmaßliche Wunschkandidatin für eine zukünftige Koalition auch im Bund, Angela Merkel, gibt sich hingegen ganz staatsfräuisch und doch zugleich vorsichtig nahbar: Die Kanzlerin ist eigentlich nie allein zu sehen in einer Pose der Einsamkeit der Entscheiderin, sondern immer unter Menschen, ihnen stets lächelnd zugewandt, mal mächtigen, mal ganz normalen Leuten. Merkel biedert sich nicht an, man sieht sie keine volkstümlichen Dinge tun, so was wie Currywurst essen oder Bier trinken (Bilder davon gehörten ja zum Repertoire ihres etwas in Vergessenheit geratenen Vorgängers Gerhard Schröder). Doch diese ganz leichte Distanz wird bei Instagram ja schon allein dadurch aufgehoben, dass man sich die Kanzlerin auf seinem Smartphone anschaut – man lässt sie in den eigenen Feed rein. So entsteht der Anschein von digitaler Privatheit, eine irgendwie gute Stimmung.

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Martin Schulz kann auch in Sachen Bilderproduktion und Stimmung noch viel von Merkel lernen. Ein paar Tage vor der dann für die SPD verheerend ausgegangenen Landtagswahl in Schleswig-Holstein postete sein Social-Media-Team eine Rückenansicht ihres Kanzlerkandidaten vorm Wasser des Flensburger Hafens. In der Bildunterschrift steht merkwürdigerweise etwas über Kinderbetreuung, was mindestens eine unglückliche Bild-Text-Schere ergibt. Noch mehr fragt man sich als Betrachter angesichts des Motivs, das womöglich eine Art Jever-Mann zeigen sollte, tatsächlich Schulz aber empfindlich einsam dastehen lässt: Ist es schon so schlimm, dass er gleich springt?

Ein Kommentar unter dem mehr als 1200 mal geliketen Bild lautet dann passenderweise auch: „Jetzt müsste man übers Wasser gehen können …“ Das kann Martin Schulz nicht nur auf Instagram nicht.

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