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Darknet-Deals, Verschwörungstheorien, Mordaufträge: Darum ging es im Silk-Road-Prozess

von Sonja Peteranderl
Es war einer der wichtigsten Cybercrime-Prozesse der letzten Jahre. Ross Ulbricht ist schuldig gesprochen worden, „Dread Pirate Roberts“ zu sein, Gründer und Betreiber der bekanntesten und berüchtigtsten Drogenhandelsplattform des Darknets: Silk Road. WIRED Germany gibt einen Überblick über das spektakuläre Gerichtsverfahren.

Nur 13 Tage dauerte das Verfahren. Und nur dreieinhalb Stunden Besprechungszeit brauchte die Jury in New York am am 4. Februar, um Ross Ulbricht für schuldig zu befinden. Der 30-Jährige war 2013 in einer Bibliothek in San Francisco festgenommen worden. Mit seiner schmalen Statur und dem jungenhaften Auftreten wirkt er nicht nicht gerade wie ein klassischer Drogenbaron — doch die Anklagepunkte gegen Ulbricht wiegen schwer. Er wurde ganzer sieben Vergehen schuldig gesprochen, darunter Drogenvertrieb im Internet, Verschwörung zum Betäubungsmittelhandel, Betrieb eines kriminellen Unternehmens, Hacking und Geldwäsche.

Die Urteilsverkündung wird am 15. Mai stattfinden, dem Silk-Road-Mastermind droht eine lebenslange Haftstrafe. Ulbrichts Verteidiger haben angekündigt, das Urteil anzufechten, allerdings mit wenig Aussicht auf Erfolg. Doch ganz abgesehen von der Frage nach Ulbrichts Schuld oder Unschuld erlaubt das Silk-Road-Verfahren auf jeden Fall eines: den Blick hinter die Kulissen des digitalen Drogenhandels. Wir haben die wichtigsten Aspekte des Prozesses zusammengefasst:

#1 Das Startup
Es ist absurd, dass gerade der Chef einer Drogenhandelsplattform, deren Erfolgsrezept ihre Verschwiegenheit ist, ein digitales Tagebuch über seine Fortschritte führt. In dem Tagebuch, das Ermittler auf dem Laptop Ulbrichts entdeckt haben, beschreibt er, wie sich Silk Road von einem Experiment zur boomenden Plattform entwickelte. 2010 entstand demnach die Idee, eine Online-Plattform für Drogen und andere illegale Güter zu schaffen, die zuerst „Underground Brokers“ heißen sollte.

Ich war kurz davor, in den Knast zu wandern, bevor Silk Road überhaupt gelauncht wurde.

Ross Ulbricht in seinem Tagebuch

Um den Handel auf der Plattform anzukurbeln, züchtete Ulbricht anfangs sogar selbst „mehrere Kilo von hochqualitativen Pilzen“. Fast hätte sein Drogenlabor aber die Erfolgsstory von Silk Road verhindert: „Ich war nur um Haaresbreite davon entfernt, wegen der Pilze in den Knast zu wandern, bevor die Website überhaupt gelauncht wurde“, schreibt Ulbricht. Der Erfolg von Silk Road überraschte ihn selbst. Die Plattform wuchs rasant: Er musste eigene Serverstrukturen schaffen, das System überarbeiten, automatische Zahlungsmöglichkeiten einrichten, Mitarbeiter anheuern. Zwischen 2011 und 2013 wurden auf Silk Road den Anklägern zufolge 213 Millionen US-Dolllar umgesetzt, Ulbricht wurde durch Provisionen zum Multimillionär.

#2 Die Schattenmänner
Wie überführt man einen Kriminellen, der nur online in Erscheinung tritt und seine Kommunikation verschlüsselt? Lange bestritt Ulbricht, „Dread Pirate Roberts“ zu sein, doch viele Spuren führten zu ihm: Offene Chat-Fenster und als Silk-Road-Admin geöffnete Seiten auf dem sichergestellten Laptop, das Tagebuch und Finanztabellen, sowie Bitcoin-Zahlungen, die Ermittler zu Ulbrichts Rechner zurückverfolgt werden konnten. Und ganz profane Fehler: Ulbricht kommentierte etwa in anderen Foren mit seiner privaten E-Mail-Adresse und einem Nutzernamen, den er auch im Silk Road-Zusammenhang nutzte.

Ich bin nicht der erste Administrator von Silk Road.

„Dread Pirate Roberts“ im Forbes-Interview

Seine Verteidiger argumentierten, dass er er Silk Road zwar gegründet, aber die Geschäftsführung später abgegeben habe. In einem Forbes-Interview hatte „Dread Pirate Roberts“ 2013 erklärt: „Das einzige, was ich sagen kann, ist, dass ich nicht der erste Administrator von Silk Road bin.“ Die Verteidigung versuchten den Verdacht stattdessen auf einen Mann zu lenken, den auch ein US-Ermittler schon 2012 im Visier gehabt hatte: Mark Karpeles, den CEO der inzwischen pleite gegangenen Bitcoin-Handelsbörse Mt. Gox. Ulbricht stellte sich als Unschuldiger dar, der für die Sünden anderer büßen müsse: „Der echte ‚Dread Pirate Roberts‘ ist dort draußen“, sagte sein Anwalt Joshua Dratel. Doch die Ankläger glauben: alles Verschwörungstheorie.

#3 Die Mordaufträge 
Der Chef von Silk Road schreckte auch nicht vor Mordaufträgen zurück, um sein Geschäft zu schützen. Ende Januar 2013 beauftragte er einen angeblichen Auftragsmörder per Silk-Road-Chat damit, einen Mitarbeiter umzubringen, der ihn betrogen hatte. Statt Kunden-Support zu leisten, hatte der Mitarbeiter sich Bitcoins im Wert von 350.000 Dollar abgezweigt. Doch hinter dem vermeintlichen Killer verbarg sich ein verdeckter Ermittler: Er inszenierte den Mord und schickte dem Silk Road-Chef als Beweis Fake-Fotos des Verbrechens. „Es kotzt mich an, dass ich ihn töten musste“, schrieb der zurück. „Aber was getan ist, ist getan.“

Es kotzt mich an, dass ich ihn töten musste. Aber was getan ist, ist getan.

Chatprotoll eines angeblichen Mordauftrags

Auch bei einem angeblichen Mitglied der Rockergruppe Hells Angels gab „Dread Pirate Roberts“ in einem Chat einen Mehrfachmord in Auftrag. Im Hauptverfahren wurden die Mordvorwürfe nicht mitverhandelt, bei einem Gericht in Baltimore, ist aber ein Verfahren wegen Anstiftung zum Mord anhängig.

#4 Die Zeugen
Eine illustre Runde von Zeugen erklärte der Jury die Funktionsweise des Online-Drogenhandels, darunter ein ehemaliger Silk-Road-Drogendealer und ein Undercover-Agent. Als erster vorgeladener Zeuge im Verfahren erklärte der US-Heimatschutz-Agent Jared Deryeghiayan, wie er Silk Road unterwandert hatte. Zuletzt kontrollierte der Ermittler demnach mehr als ein Dutzend Käufer- und Verkäuferkonten auf Silk Road, er zählte zu den Mitarbeitern der Seite und chattete mehrfach mit „Dread Pirate Roberts“. Als Undercover-Kunde kaufte er mehr als 50 Mal Drogen von mehr als 40 internationalen Dealern. Ulbricht-Anwalt Dratel kritisierte wiederum, dass Zeugen der Verteidigung, etwa ein Bitcoin-Experte, nicht zugelassen worden seien.

Die Verhaftung und Verurteilung sollten eine klare Botschaft senden.

Staatsanwalt im Prozess gegen Ulbricht


#5 Der Anti-Drogen-Feldzug 
Der Prozess offenbart, wieviel Aufwand amerikanische Behörden wie das FBI und das US-Heimatschutzministerium betrieben haben, um Silk Road zu schließen und den Betreiber der Plattform festzunehmen — unter anderem mit verdeckten Ermittlern und Testkäufen, einem Fake-Mord und Hackerattacken. Die Ermittler sagen auch ganz offen, dass das Silk-Road-Verfahren ein Präzedenzfall sein soll, um andere Dealer und Broker abzuschrecken: „Ulbrichts Verhaftung und seine Verurteilung — und unsere Beschlagnahmung von Silk-Road-Bitcoins im Wert von Millionen von Dollars — sollten eine klare Botschaft an jeden senden, der versucht, ein kriminelles Online-Geschäft aufzubauen“, warnte der Staatsanwalt Preet Bharara in einem offiziellen Statement. „Die vermeintliche Anonymität des Darknets ist kein Schutzschild gegen Verhaftung und Strafverfolgung.“

Währenddessen sind zahlreiche Copycats von Silk Road entstanden, zum Teil aber auch wieder geschlossen worden. Die nächste Generation der Online-Drogenbarone wird die Fehler von „Dread Pirate Roberts“ aufmerksam studieren — und ganz bestimmt kein digitales Tagebuch über ihre Drogenkarriere mehr führen. 

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