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Der Podcast „Limetown“ ist eine „Serial“-Kopie, die gar keine sein will

von Timo Brücken
Eine sektenhafte Kleinstadtgemeinde, mysteriöse Experimente, ein schrecklicher Unfall und eine Reporterin, die die Wahrheit herausfinden will. Das sind die Zutaten für den neuen Podcast „Limetown“. Das nächste Audio-Projekt, das versucht, die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen zu lassen — diesmal jedoch unter umgekehrten Vorzeichen.

Serial“ war der beliebteste Podcast des vergangenen Jahres – wenn nicht sogar aller Zeiten. Die aufeinander aufbauenden Episoden erzählten die wahre Geschichte über Adnan Syed, der 1999 seine damalige Freundin Hae Min Lee ermordet haben soll. Und „Serial“ begeisterte damit sogar Menschen, die sich vorher nie für Podcasts interessiert hatten. Mit den Mitteln der Krimiserie wurde hier ein echter Kriminalfall neu aufgerollt. Die Frage, ob das ethisch in Ordnung war (und ob der Versuch überhaupt gelang), war dabei fast noch spannender als die Story selbst.

Nun will der nächste Podcast die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen lassen, nur diesmal unter umgekehrten Vorzeichen: Wo „Serial“ versuchte, die Wirklichkeit mit den Mitteln der Fiktion nachzuerzählen, will „Limetown“ einer fiktiven Geschichte den Anstrich von Realität verleihen.

Das Vorbild ist unverkennbar.

Lia Haddock, Investigativreporterin beim American Public Radio, will herausfinden, was vor zehn Jahren in der Kleinstadt Limetown in Tennessee passiert ist. Mehr als 300 Männer, Frauen und Kinder verschwanden damals unter mysteriösen Umständen von einem Tag auf den anderen. Wir erfahren, dass Limetown keine gewöhnliche Stadt war, sondern eine Forschungseinrichtung mit mehreren hundert Bewohnern, die eher isoliert von der Außenwelt lebten, beinahe wie eine Sekte. Nachrichtenschnipsel und Notrufaufnahmen erzählen von Rauchschwaden über dem Gelände, Sicherheitskräften, die alles abriegeln und schließlich der Gewissheit: 327 Menschen sind wie vom Erdboden verschluckt.

Zehn Jahre später zieht Haddock los, um ans Licht zu bringen, was wirklich geschehen ist. Sie sei „ein ziemlicher Limetown-News-Junkie“ geworden und auch persönlich betroffen, sagt sie, ihr Onkel gehöre zu den Vermissten. Die Reporterin rekapituliert die Geschehnisse, befragt Zeugen, spürt ehemalige Bewohner auf. Im Laufe der Zeit melden sich deswegen auch von selbst Informanten bei ihr — und eines Nachts muss Haddock in ihrem Hotelzimmer sogar um ihr Leben fürchten.

Story und Podcast entwickeln sich parallel, jede Folge ist eine direkte Reaktion auf Ereignisse bei der Recherche, auch wenn von Anfang an klar war, dass das Ganze nur auf sieben Folgen angelegt ist (von denen bislang drei erschienen sind).

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Klingt nach „Serial“? Natürlich, das Vorbild ist unverkennbar. Mit zwei Unterschieden: Statt einer Prise „Law & Order“ hat man „Limetown“ eher eine gehörige Portion „Akte X“ verpasst. Und: Das Ganze ist nicht echt. Auch wenn es im Podcast mit keiner Silbe erwähnt wird, die Geschichte über Haddock, den mysteriösen Dr. Totem und die „völlige Vermessung des menschlichen Gehirns“ ist frei erfunden. Nur auf der Website unter „About“ findet sich der Hinweis, der Pocdast sei „fictional“.

Ein Kommentar auf das ganze True-Crime-Genre

Mehr als das ist aber auch gar nicht nötig. Beim Hören von „Limetown“ merkt man schnell, dass man keine echte Sarah Koenig von NPR (die Macherin von „Serial“) vor sich hat, sondern jemanden, der bloß eine Journalistin spielt. Die News-Einspieler und Telefonmitschnitte sind mit viel Liebe gemacht, aber Annie Sage Whitehurst spielt die Rolle der Lia Haddock leider ein bisschen zu bemüht, um wirklich authentisch zu sein. Sie wirkt wie jemand, der am Lagerfeuer mit Taschenlampe unter dem Kinn eine Gruselgeschichte erzählt, nicht wie eine echte Reporterin. Und wenn in Folge drei ein Limetown-Überlebender von seiner Freundschaft zum hyperintelligenten Schwein Napoleon schwärmt, dann ist das zwar der mit Abstand lustigste Moment des Podcasts, aber keine große True-Crime-Simulations-Kunst.

Doch das will „Limetown“ wahrscheinlich auch gar nicht sein. Statt die Erzähltechniken von „Serial“ und Co. bloß ins Fiktionale zu kopieren und den Hörer rätseln zu lassen „Ist das jetzt echt oder nicht?“, treibt „Limetown“ sie einfach auf die Spitze. Der Versuch, journalistische Wahrhaftigkeit und Krimi-Dramaturgie zusammenzubringen, wird bis ins Groteske übersteigert und damit persifliert. „Limetown“ ist nicht nur „Serial“ mit umgedrehten Verhältnissen, sondern auch ein Kommentar auf das ganze True-Crime-Genre an sich. Für Podcast-Liebhaber reicht das allemal als Grund, sich „Limetown“ anzuhören. Der Rest lässt sich einfach von der Mystery-Story unterhalten.

Womit sich die zweite Staffel von „Serial“ beschäftigen könnte, lest ihr hier. 

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