Hinweis zu Affiliate-Links: Alle Produkte werden von der Redaktion unabhängig ausgewählt. Im Falle eines Kaufs des Produkts nach Klick auf den Link erhalten wir ggf. eine Provision.

Binaural Bits / Der Podcast „Another dead man walking“ will das neue „Serial“ werden

von Dörte Fiedler
Diese Woche stellt euch unsere Kolumnistin Dörte Fiedler einen Podcast vor, der trotz Susan Sarandon und einem bekannten Titel nicht funktioniert. Ein brisantes Thema allein macht eben noch keinen guten Podcast.

Die Todesstrafe in den Vereinigten Staaten ist immer wieder Grund für die Gemüter erhitzende Debatten. Debatten, die, wie ich finde, umfassend und oft geführt werden muss. Daran gibt es nichts zu rütteln. Es gibt einige große Initiativen, die sich gegen die Todesstrafe engagieren, etwa The National Coalition to Abolish the Death Penalty (NCADP), und es gibt Initiativen, die sich mit dem amerikanischen Justizsystem und seinen Irrtümern und Schwachstellen befassen, zum Beispiel das Innocence Project.

Der Podcast „Serial“, der Millionen Hörer gefunden hat, hat einen solchen Fall von uneindeutiger Rechtsprechung in zwölf Folgen untersucht. Dabei ging es um den Fall von Adnan Syed. Der damals noch 17-Jährige wurde 1999 für schuldig befunden, seine High-School-Ex-Freundin ermordet zu haben und sitzt seitdem seine lebenslange Strafe in einem Gefängnis in Maryland ab.

„Serial“ war der erste Podcast, der in dieser Weise eine Geschichte seriell erzählte und sein Erscheinen im Herbst 2014 schlug große Wellen in der Radio- und Podcastszene. Der Echtzeit-Faktor war ein Grund seiner enormen Hörerbindung und seines Erfolges. Die Macher des Podcasts arbeiteten zwar bereits lange an der Geschichte und strengten riesige Recherchen an, wussten aber bei Veröffentlichung der ersten Folgen selber noch nicht, wie die Podcast-Reihe enden würde.

Auch die Macher von „Another dead man walking“ wissen nicht, wie die letzte Folge aussieht.

Mitte August diesen Jahres erschien eine neue Podcast-Serie, die sich ebenfalls in Echtzeit eines Falles mit zweifelhafter Rechtslage annimmt: „Another dead man walking“. Sie wird von Sky News Radio veröffentlicht, einer News-Service-Plattform, die kommerzielle britische Radiostationen und andere englischsprachige Sender beliefert. Als Podcast-Plattform ist Sky News Radio quasi bisher unbekannt.

„Another dead man walking“ ist die Geschichte des zum Tode verurteilten Richard Glossip. Seit 18 Jahren ist er in Oklahoma in Haft und wartet auf seine für den 16. September 2015 angesetzte Exekution. Verurteilt wurde er für die Anstiftung zum Mord seines damaligen Chefs Barry Van Treese. Der eigentliche, damals 19-jährige Mörder des Mannes konnte durch die Beschuldigung Glossips der eigenen Verurteilung zum Tode entgehen und verbüßt jetzt eine lebenslange Strafe. (Details zum Fall finden sich hier.)

Ohne Frage gibt es, wie im Fall Adnan Syed, enorme Widersprüche und Lücken im Verfahren um den Mord. Und auch die Sinnhaftigkeit der Todesstrafe muss diskutiert werden. Mir geht es hier allerdings um die Gestaltung des Podcasts und den offensichtlichen aber nicht überzeugenden Versuch einer Anlehnung an „Serial“.

„Another dead man walking“ hört sich wie eine Kopfentscheidung an.

„Another dead man walking“ beginnt mit einer episch angehauchten Gitarrenlinie, die allerdings das einzige musikalische Element bleibt und eher wie ein Fremdkörper wirkt als wie eine gestalterische Entscheidung. Überhaupt wirkt der Podcast wie ein News-Format, das auf narrativen Podcast gebürstet wurde. Der irischstämmige Autor Ian Woods ist ein gestandener News-Reporter und hauptsächlich im Fernsehbereich tätig. „Another dead man walking“ hört sich insgesamt wie eine Kopfentscheidung aus der Redaktionsetage an. Als hätte man beschlossen, dass Podcast das neue Ding sei und man da unbedingt mitmachen müsse. Das Thema würde sich ja anbieten.

Diese Rechung geht aber überhaupt nicht auf. Der Podcast klingt wie eine klassische Fernseh-Reportage, bei der die Bilder fehlen, gepaart mit dem Versuch eine persönliche Note unterzubringen, bei der der Reporter sich offensichtlich unwohl fühlt. Die Brisanz und Wichtigkeit des Themas allein macht eben noch keine Geschichte. Und Bilder fürs Hören zu erzählen, bedarf einer anderen Gestaltung als die eines Fernseh-News-Formats.

In „Serial“ steckte glühende Leidenschaft und Erbitterung.

Sarah Koenig, die Autorin und Produzentin von „Serial“, hat eine entscheidende Rolle in ihrem Podcast: Sie ist nicht nur Reporterin, sondern auch Protagonistin. Das bedeutet, sie führt mit erklärter Subjektivität durch den Podcast und zwar als gewähltes erzählerisches Modell. Diese autorzentrierte Erzählweise hat im Umfeld von This American Life, aus dem Koenig stammt, eine gewisse Tradition und ist genau das, was amerikanisches Storytelling oft ausmacht.

Ich folge nicht allein der Journalistin Sarah Koenig, auf der Suche nach Beweisen, die die Wahrheit ans Tageslicht bringen, sondern auch der Protagonistin Sarah Koenig, die von einem tiefsitzenden Zweifel getrieben scheint. Das Magnetische an „Serial“ ist ihre Hingabe — im Englischen gibt es das schöne Wort 'fierce' dafür. Eine Mischung aus leidenschaftlich glühend, aber auch Erbitterung steckt darin. Diesem Getriebensein folge ich beim Hören, also nicht allein der Faktenlage. Es ist diese extrem clevere Erzählweise, die „Another dead man walking“ komplett fehlt.

Natürlich muss nicht jede Geschichte so erzählt werden. Das wäre unglaublich langweilig! Aber das Problem des britischen Podcasts ist, dass er es halbherzig versucht. Ian Woods fühlt sich offenbar in der journalistischen Vorstellung, man könne Objektivität erlangen, indem man Fakten zusammenträgt, noch sehr zu Hause. Wurde dann aber dazu angehalten, eine subjektive Perspektive mit einzubringen. Und dass ihm dabei unbehaglich ist, wird immer wieder spür- und auch hörbar.

Was Koenig gelingt, nämlich Bilder im Kopf zu schaffen, die Geschichte zu zeigen, misslingt Woods. Er trägt aus der Ich-Perspektive zusammen, berichtet, erklärt, aber das Ganze bleibt hölzern und eintönig. Die aurale Erzählung ist Woods offensichtlich fremd, seine Expertise liegt im Bereich Fernsehreportage und der Versuch persönlich zu berichten wirkt unglaubwürdig und fremdbestimmt. Und auch, dass er die Schauspielerin Susan Sarandon mit einbaut, die sich gemeinsam mit Sister Helen Prejean für den Fall Richard Glossips einsetzt und entsprechend ihres VIP-Status' Aufmerksamkeit erregt, hilft dem Podcast insgesamt nicht. Man hätte es besser als Fortsetzungsreportage gelesen, als es in Podcastform zu hören.

Die Uhr tickt sprichwörtlich. Am Ende steht Richard Glossips Tod oder Leben.

Seit acht Monaten arbeitet Woods an der Geschichte und wie bei Serial ist das Ende ungewiss. Die letzte der fünf Folgen steht noch aus. Der dramaturgische Bogen, den es benötigt, um die Spannung über den Zeitraum der Folgen zu halten, ergibt sich bei „Another dead man walking“ weniger aus der erzählerischen Linie als aus der Tatsache, dass Richard Glossips Tod oder Leben am Ende steht. Die Uhr tickt sprichwörtlich.

Auch Serial hat man Voyeurismus und ausbeuterisches Verhalten vorgeworfen und man kann immer über die ethische Gradwanderung journalistischer Erzählung diskutieren, aber das mulmige Gefühl, das mich bei dem Gedanken an Folge 5 von „Another dead man walking“ befällt, hat einen anderen Charakter. Der Spannungsmoment, der hier über die ablaufende Zeit aufgebaut wird, hat einen zynischen Beigeschmack. Bei seiner hölzernen Erzählweise fürchte ich mich vor der boulevardesken Falle, die in der letzten Folge liegen könnte. 

In der letzten Folge von Binaural Bits testete Markus Sulzbacher, wie interaktiv Audio-Formate sein müssen.  

GQ Empfiehlt