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Der Mann, der das Point-and-Click-Adventure in Deutschland rettete

von Dominik Schönleben
Wer kann schon von sich behaupten, ein ganzes Genre wiederbelebt zu haben? Der Spieledesigner Jan Müller-Michaelis zum Beispiel, er hat die totgesagten Point-and-Click-Adventures zu neuer Größe geführt. Seine storygetriebenen Games sind nicht nur in Deutschland, sondern auch international Hits. Ein Gespräch mit einem der einflussreichsten Spieledesignern des Landes.

In den vergangenen Monaten sind WIRED-Reporter durch Deutschland gereist, um herauszufinden, wie digital und innovativ dieses Land wirklich ist. Wir waren in schwäbischen Kleinstädten, im Rheinland, in Berlin und München. Auch das Hamburger Spielestudio Daedalic haben wir besucht. Die Ergebnisse unserer Reise lest ihr in der neuen WIRED-Ausgabe.

„Poki, Poki, Poki!“, rufen die Fans. Teenager und Mittvierziger sind gekommen, und Letztere sind eindeutig nicht die Eltern von Ersteren. Alle Smartphones sind auf ihn gerichtet, Jan Müller-Michaelis, genannt Poki, der jetzt auf die Bühne tritt und nach seiner Gitarre greift. Hier in dieser schummrigen Berliner Kneipe ist er der Star, kein Rocker, sondern Deutschlands innovativster Gamedesigner, der neue Geschichtenerzähler der Nation.

Müller-Michaelis spielt gern die Titelmusik seiner eigenen Videospiele und die gab er auch während einer Konzert-Tour im Sommer live zum Besten. Ungewöhnlich, aber nicht das, was ihn heraushebt. Müller-Michaelis' eigentliche Heldentat ist es, das Point-and-Click-Adventure zurückgebracht zu haben: ein Genre, das seit der Jahrtausendwende als tot galt. Mittlerweile gehört das von ihm mitgegründete Entwicklerstudio Daedalic zu den größten Deutschlands. Müller-Michaelis exportiert in die ganze Welt.


Noch heute sprechen viele Gamer mit Ehrfurcht über die großen Meisterwerke des Point-and-Click-Genres: Monkey Island, Day of the Tentacle und Space Quest definierten Ende der 80er, Anfang der 90er eine Ära, die mit dem Aufkommen der 3D-Spiele abrupt endete. Die Branche hatte eine neue Technologie, doch es gelang ihr nicht, das Genre hinüberzuretten. Nach ein paar gescheiterten 3D-Fortsetzungen starb das Point-and-Click-Adventure.

Um einige Jahre später überraschend doch wiederaufzuerstehen: Adventure-Spiele im Stil der 90er sind wieder en vogue, neu belebt nicht nur durch Kickstarter-Kampagnen alternder US-Entwickler, die sich noch ein letztes Mal feiern lassen wollen, sondern auch in Deutschland. Die humorvollen, tiefgründigen Geschichten aus Müller-Michaelis' Werkstatt sind zu neuen Klassikern geworden. WIRED sprach mit ihm über seine Design-Philosophie.

WIRED: Adventure-Games galten in Deutschland lange Zeit als tot. Wie hast du es geschafft, ihnen neues Leben einzuhauchen?
Jan Müller-Michaelis: Das war ja nicht nur in Deutschland so, das galt international. Ich glaube, ich war nicht der Einzige, der sie, nachdem sie verschwunden sind, sehr vermisst hat. Als ich dann die Gelegenheit hatte, selbst ein Spiel zu machen, dachte ich: Mache halt ein Adventure. Das war damals Edna bricht aus.


WRIED: Wieso kam vorher keiner darauf?
Müller-Michaelis: Ich glaube, es hat mit einer gewissen Sturheit der Branche zu tun. Da gibt es technische Neuerungen und alle stürzen sich darauf. Und alles, das nicht mehr „in“ war, wurde nicht mehr weiterentwickelt. Das bricht jetzt zum Glück auf, weil es inzwischen sehr viele Indie-Entwickler gibt, die ihre Ergebnisse auch veröffentlichen können. Die Gefahr, dass ein Genre komplett untergeht und es niemanden mehr gibt, der noch darauf arbeitet, ist für den Moment erst mal gebannt. Dafür gibt es jetzt neue Gefahren: dass hunderte von Indies auf die Online-Marktplätze strömen, sich gegenseitig kannibalisieren – und es später nur vier oder fünf von ihnen schaffen, ein zweites Spiel zu machen.

WIRED: Dein erstes Spiel war doch auch so eine Indie-Veröffentlichung.
Müller-Michaelis: Es war damals noch eine andere Zeit. Es gab keine digitalen Marktplätze. Es gab kein Stream, man brauchte einen Publisher und einen Vertrieb, der einen bei Media Markt oder Saturn in die Regale stellte.


WIRED: Du warst also nur deshalb erfolgreich, weil der Markt noch nicht so überfüllt war wie heute?
Müller-Michaelis: Einer der ausschlaggebenden Faktoren für den Erfolg von Edna bricht aus war, dass die Presse das Spiel irgendwie sympathisch fand. Eine Indie-Kultur gab es noch nicht, wir zählten zu den ersten. Aber ich hatte in vielerlei Hinsicht Glück. Vor allem das Glück, an meinen Co-Founder Carsten Fichtelmann zu geraten. Der hat verstanden, was ich gemacht habe und seinen sicheren Arbeitsplatz aufgegeben, um mit mir als Himmelfahrtskommando eine eigene Firma zu gründen.

WIRED: Warum Himmelfahrtskommando?
Müller-Michaelis: Die Leute haben uns nicht direkt ausgelacht dafür, dass wir wieder 2D-Point-and-Click-Adventures gemacht haben, aber geschmunzelt und gesagt: „Naja, probiert das mal.“ Bei unseren Pressevorführungen habe ich den Journalisten gesagt: „Im Ernst, ihr vermisst diese Spiele doch auch! Das sind doch eure Lieblingsspiele gewesen.“ Und als das erste dann rauskam, hat die Presse ihre Bewertungskriterien über den Haufen geworfen und es gefeiert wie früher. Sie haben sich fast einen Spaß daraus gemacht. Das war irrsinnig. Ein Titel, der aussah wie eine spielgewordene Garagenband. Handgeklöppelt. Bei mir zu Hause mit viel zu viel Kaffee gezeichnet.

WIRED: Jetzt, da du Erfolg mit deinen ungewöhnlichen Spielen hast: Angst, einen Flop zu produzieren?
Müller-Michaelis: Wir fahren jetzt mehrschienig und haben nicht mehr nur ein Spiel im Portfolio. Das heißt, wir können einen Flop mittlerweile verkraften. In den ersten Jahren wäre das sicher nicht gegangen. Das ist ein Luxus, den wir uns über die letzten zehn Jahre hart erarbeitet haben.


WIRED: Dein ambitioniertestes Projekt war die Deponia-Reihe.Viele Fans waren vom Ende der Saga enttäuscht, weil es im vierten Teil kein Happy End gab. Hat dich das getroffen?
Müller-Michaelis: Nein, ich lese das anders, wenn jemand sagt: „Wie konntet ihr Rufus sterben lassen?“ Diese Menschen sind unglaublich empört, aber das ist gut, denn sie sind emotional berührt.


WIRED: Du würdest solche Reaktionen also als Zeichen des Erfolgs verbuchen?
Müller-Michaelis: Ja, absolut! Es ist schwierig, die Leute überhaupt noch auf den Punkt aufmerksam zu machen, den man macht. Viele Spieler sind zufrieden damit, etwas zu konsumieren, bei dem sie nicht emotional investieren müssen. Aber so läuft Deponia halt nicht, so laufen meine Spiele generell nicht. Ich mache sehr viel Spaß drumherum, aber meistens gibt es einen sehr ernsten, sehr dramatischen Kern in meinen Spielen. Ich habe ein Interesse daran, eine ernste Botschaft, einen Konflikt an den Spieler zu bringen, so direkt wie nur möglich. Eigentlich ist meine Botschaft über alle meine Spiele hinweg gesehen ganz ähnlich.

WIRED: Und zwar?
Müller-Michaelis: Bevor ihr euch aufregt, guckt mal in euch selbst. Das ist eine Art Mantra, das ich mir selbst vorbete – oder vorbeten muss, um entspannt zu bleiben.


WIRED: Woher rührt dieses Mantra?
Müller-Michaelis: Ich bin in einer relativ großen Familie aufgewachsen. Zwischen uns gab es immer Streit – in irgendeiner Konstellation flogen immer die Fetzen. Die meisten Probleme, die man hat, haben wenig mit der Außenwelt zu tun. Wenn du tiefenentspannt bist und jemand dein Auto anfährt, dann schnauzt du ihn nicht an. Dann sagst du: halb so schlimm. Wenn du in dir ruhst, nimmst du ihn sogar in den Arm. Aber wenn du selbst gerade ein Problem hast, flippst du in so einer Situation aus. Das heißt, die meisten Konflikte kommen aus uns selbst.

WIRED: Wie übersetzt sich das in deine Spiele?
Müller-Michaelis: Ich versuche, mit ihnen auf diesen Punkt zu kommen. Vor allem, weil es entlarvend lustig ist, wie die Menschen ihre Probleme finden. Wenn wir ein Problem haben, erkennen wir es in jedem Ding wieder. Das hilft mir beim Schreiben von Adventures, weil ich die Probleme in die Gegenstände projizieren kann, mit denen der Spieler interagiert.

WIRED: Und deshalb haben deine Spiele auch kein Happy End?
Müller-Michaelis: Sie haben deswegen kein Happy End, weil ich sage: Der Konflikt ist da und der bleibt auch. Ist nicht auflösbar. Ich bin mir gar nicht sicher, ob man grundsätzlich so streng sagen kann, dass es keine Happy Ends in meinen Spielen gibt. Ich tue nur nicht so, als könne man mit dem Finger schnipsen und alle Probleme sind gelöst. Meine Antagonisten haben meist genauso Recht wie meine Protagonisten. Meine Spiele sind wie eine Zwiebel, die man auspackt: Am Ende heult man.


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