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Der Iran hat jetzt ein eigenes „nationales Internet“ – ohne Facebook und Co.

von Benedikt Plass-Fleßenkämper
Grenzenlose Freiheit ist für Internetnutzer im Iran ab sofort endgültig Vergangenheit: Die Islamische Republik ersetzt das World Wide Web im eigenen Land durch ein nationales Datennetzwerk – und beschneidet damit den Zugang zu sozialen Netzwerken und Nachrichtendiensten noch stärker als zuvor. 

Das Internet ist für viele Menschen das Tor zur Welt. Insbesondere in abgelegenen oder politisch brisanten Regionen bedeutet der Draht ins Netz für die Bevölkerung oft die einzige Verbindung nach außen. Im Iran ist die freie Nutzung des Internets schon lange nicht mehr möglich: Seit 2006 filtert die Regierung das Online-Angebot massiv und sperrt westlich geprägte Dienste wie Facebook, Amazon und YouTube kategorisch aus. Bislang konnte die iranische Bevölkerung die Blockaden unter anderem durch VPN-Zugänge umgehen, doch auch das ist bald vorbei. Wie die Nachrichtenagentur Mehr berichtet, hat die iranische Regierung am vergangenen Wochenende den ersten Schritt zur Einführung eines „nationalen Internets“ umgesetzt.

Dabei handelt es sich um ein vom Rest der Welt isoliertes, auf den Iran beschränktes Datennetzwerk. Laut der Nachrichtenagentur Fars News leitete Mahmud Vaezi, iranischer Minister für Information und Kommunikationstechnologie, am Sonntag mit einer großen Feier die erste Phase des der BBC zufolge seit 2010 geplanten Projekts ein. Diese beinhaltet zunächst ausschließlich Dienste und Websites lokaler Behörden und Regierungsstellen. In zwei weiteren Phasen, die für Februar und März 2017 angesetzt sind, sollen zusätzliche Dienste wie Videostreaming in das Angebot aufgenommen werden. Die finale Version sieht ein Komplettangebot aller nationalen Online-Inhalte vor. In der Zwischenzeit konzentriert sich die Regierung auf den Ausbau von Rechenzentren und Kabelnetzen.

Vaezi begründet den Schritt zum isolierten Netzwerk vor allem mit einem deutlichen Zugewinn an Sicherheit. Die Republik habe sich immer wieder mit Hacker-Attacken konfrontiert gesehen, das „nationale Internet“ sei von außen nicht angreifbar. Darüber hinaus habe die bisherige Kontrolle des Internets durch Filter nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Vorteile für Nutzer soll das gigantische Intranet ebenfalls bringen: Anschlüsse sollen günstiger und die Verbindungsgeschwindigkeiten höher werden. Die Regierung wirbt mit einem Übertragungstempo von 4000 GigaByte pro Sekunde.

Kritiker wie die britische Menschenrechtsorganisation Article 19 hingegen sehen in der Einführung des abgeschotteten Netzes vor allem den Versuch massiver Zensur. Schon seit Monaten warnt die Organisation vor den Konsequenzen des nun eingeleiteten Projekts und fürchtet eine Isolation der iranischen Bevölkerung vom Rest der Welt.

Länder wie China zeigen seit geraumer Zeit, welche Ausmaße ein von der Regierung gesteuertes Informations-Netzwerk annehmen kann. Neben Zensur von unerwünschten Inhalten wird die öffentliche Meinung in dem kommunistischen Land durch manipulierte Artikel, Blogbeiträge und Kommentare gelenkt. Widerstand und freie Meinungsbildung der Bevölkerung werden auf diesem Weg im Keim erstickt. Die türkische Regierung um Präsident Recep Tayyip Erdogan hat in der Vergangenheit ebenfalls immer wieder versucht, unerwünschte Netzinhalte zu zensieren.

Ähnliche Praktiken werden seit der Ablösung des alten Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad auch im Iran zunehmend beobachtet. Wie bei der Einführung des neuen Internet-Überwachungsgesetzes in Russland im Jahr 2012 fürchtet Article 19 auch im Iran eine noch stärkere Überwachung der Bevölkerung.

Gegenüber lokalen Medien soll die Regierung zwar beteuert haben, dass die Privatsphäre der Nutzer im „nationalen Internet“ respektiert und gewahrt werde, die Menschenrechtler bleiben aber misstrauisch. Erst im Mai dieses Jahres verhaftete die iranische Polizei mehrere Models, weil diese Fotos von sich ohne Kopftuch auf Instagram veröffentlicht hatten.

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