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WIRED testet: Die Berlin-App White Rabbit lässt euch bestimmt nicht in Touri-Fallen tappen

von Anja Rützel
Ein SMS-Dienst, der einen so freundlich durch die Berliner Ausgeh-Welt lotst, wie das weiße Kaninchen Alice durchs Wunderland: Das ist White Rabbit. Wir haben den Service extrem-getestet — aber Crack wollten nur andere von den Hasen kaufen.

Die Wirklichkeit, sie ist beschwerlich. Denn sie beinhaltet oft so etwas wie andere Menschen, umständliche Ortswechsel, unkommode Temperaturen und nicht selten stinkt es auch. Die angenehmste Art, den Berliner Ausgehtipp-Dienst White Rabbit zu testen, ist darum: behaglich zuhause in der frisch gemangelten Damastbettwäsche liegen bleiben und überlegen, was man jetzt —natürlich nur theoretisch — gerne machen würde. Dann die Location-Tipps der Rabbit-Ratgeber als hilfreiche Wegweiser und anregende Einwürfe für das Phantasie-Stromern durch das Berlin vorm Balkon verwenden. Ohne natürlich auch nur einen Wadenmuskel zu krümmen.

Die Testreise beginnt am frühen Sonntagabend. White Rabbit funktioniert so: Einfach eine Ausgeh-Restaurant-Herumlungerspot-Frage per SMS an die Nummer +4915780231912 schicken (vorsichtshalber auf Englisch, weil: Berlin), und flugs soll die Antwort zurückgesmst werden. Kostenlos, sehr persönlich, aber ohne direkten Menschenkontakt, wunderbar. Ich beginne mit einer authentischen Wochenend-Endfrage: „Das ganze Wochenende nur drinnen herumgelegen, und nun steht mir doch noch der Sinn nach milden Sozialkontakten, nicht zu aufregend, bitte — wohin soll ich gehen?“

Die Hasenantwort kommt gegen Mitternacht, als ich schon längst über meiner „Krieg und Frieden“-Lektüre weggeschlummert bin: „Sorry, SMS leider verpasst, too much excitemant, eek“, lese ich am nächsten Morgen. Als Empfehlung für künftige Sonntagabende folgt die Bar Nathanja & Heinrich in Neukölln, mit ihrer beruhigend-feinen Schrappigkeit tatsächlich ein guter Ort für diesen Gefühlszustand. Stelle ich mir, natürlich immer noch im Bett liegend, wenigstens so vor.

Den Extra-Tipp, Sonntagabends doch mal zum „Tatort“-Schauen in eine Kneipe zu gehen, ignoniere ich. Über aberwitzige Handlungstwists und Schrottdarsteller echauffiere ich mich am liebsten ganz alleine, aber das können meine neuen Freunde, die Hasen, noch nicht wissen.

White Rabbit ist wie ein Freund, der dich niemals in grauenvolle Touri-Fallen schleppen würde.

Durch ihre verzögerte Antwort habe ich allerdings sofort Vertrauen in ihre Kompetenz gefasst, schließlich sollen sich meine anonymen Ratgeber ja draußen herumtreiben, um neue Tipps für mich aufzutun. Später erfahre ich, dass die beiden White-Rabbit-Gründer Luke Atcheson, ein Ire, und Jan Tewes Thede, geboren in Hamburg, schon seit sieben beziehungesweise zehn Jahren in Berlin leben. Luke arbeitet als Journalist und Redakteur für Berlin-Führer wie Unlike und Time Out, Jan hat Mathematik studiert und dann die Digitalberatungs-Agentur 12k gegründet.

Ihre Idee für White Rabbit ist die eines digitalen Freundes, der einen nicht in grauenvolle Touri-Fallen schleppt, sondern wirklich maßgeschneiderte Tipps eines Ortskundigen bietet. Und dem man auch einfach mal smsen kann, wenn man gerade zu faul zum Googeln ist. „Wo kann man in Friedrichshain gute Bagels kaufen?“, frage ich also am Montagmorgen — irgendwas hatte ich da neulich irgendwo gelesen und sofort wieder vergessen.

Die Antwort kommt dieses Mal prompt und ist tatsächlich genau das, was ich suche: Fine Bagels in der Warschauer Straße. Extra-Empfehlung: Der Bagel mit schwarzem Sesam, Erdnussbutter und Marmelade. Klingt gut. Sollte ich jemals wieder das Haus verlassen, werde ich einen probieren.

Nach einem kleinen Nickerchen fällt mir direkt das nächste Anliegen ein: Ich wollte doch dringend einen Australier kennenlernen, weil ich gehört hatte, dass man sich bei der dann zwangsläufig folgenden Heirat den gemeinsamen Nachnamen frei ausdenken kann. Herrlichste Schrullen-Möglichkeiten! Also zackzack, her mit den mittelalten Aussies! Es gibt da ein paar schäbige Australien-Themenbars, aber da würden sie lieber nicht hingehen, schreiben mir die Hasen hölflich zurück.

Und empfehlen statt dessen die Melbourne Canteen in Neukölln, die von Australiern betrieben werde und darum sicher auch einige Landsleute anziehe, ebenso wie Silo Coffee in Friedrichshain. Und im Belushi’s würden öfter australische Sportevents übertragen. Die SMS schließt mit einem herzlichen „Oi oi oi!“, und allmählich kommt es mir tatsächlich ein wenig so vor, als löchere ich hier ein paar sehr geduldige Bekannte.

Also löchere ich weiter. Und frage in den nächsten Tagen nach einem Restaurant mit glutenfreien Speisen, in das ich auch einen mittelgroßen Hund mitbringen könnte (ich habe keinen, aber ich mag mittelgroße Hunde). Ich frage nach einer Eisdiele, die Eis mit Biergeschmack verkauft (gibt es wahrscheinlich nicht, dafür bekomme ich den Tipp, mal Gin-Zitrone-Rosmarin in der Mos Eisley Gelateria zu probieren). Ich frage nach gediegenden Saufbars und feistem Katerfrühstück, und die Antworten sind fast immer sehr hilfreich.

Am Ende meiner Testreihe will ich mehr wissen über White Rabbit. „Ein paar hundert Benutzer“ hätten den Service bereits ausprobiert, schreibt Luke. Touristen, die sich ein ganzes Wochenende lang durch Berlin lotsen lassen und gerne fragen, wo sie das „coole, underground Berlin“ erleben und „coole, underground Berliner“ treffen könnten. Auch Berliner nutzen ihren Service, schreibt Luke, die hätten dann eher sehr konkrete Fragen: „Wo gibt es Sonntagabends in Friedrichshain Live-Jazz?“ oder „Welches ist das beste Michelin-Sterne-Restaurant für Vegetarier?“

Ein Paar wollte wissen, wo man am besten jemanden für einen Dreier aufreißen könnte. Andere wollten wissen, wo man das beste Crack kaufen kann. 

Luke Atcheson

Bei solch speziellen Fragen lassen sich die Rabbit-Ratgeber von ihrem Netzwerk aus „Berliner Künstlern, Foodies, Ravern und Techies“ assistieren, wie Luke den erweiterten Mitarbeiterstamm beschreibt. Die kniffligsten Anfragen bis jetzt? „Ein Paar wollte wissen, wo man am besten jemanden für einen Dreier aufreißen könnte. Andere wollten wissen, wo man das beste Crack kaufen kann. Solche Sachen.“

Natürlich soll ihr Tippdienst irgendwann Geld einbringen, derzeit arbeiten sie an einer App und einem Service für Messenger-Apps. Über ein Micropayment-System soll dann nach ein paar Gratisfragen ein Kleinstbetrag für jede weitere Frage fällig werden. Schon jetzt bekämen sie manchmal Spenden von besonders begeisterten Benutzern.

Eine ganz persönliche Berlin-Wissenslücke bleibt Luke Atcheson bei allen wohlinformierten Blitzantworten übrigens noch zu schließen: „Ich schaue mir gerne irische Fußballspiele an, aber es gibt ernsthaft keine guten Irish Pubs. Sie sind alle viel zu kitschig — und ich habe alle getestet.“ 

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