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transmediale / „Kein Patriarchat. Keine Hierarchie. Kein Gott.“ — unMonastery ist ein Kloster für Tech-Utopisten

von Beate Scheder
Es ist eine Mischung aus Hackerspace und mittelalterlicher Abtei: Als Reaktion auf die Krise hat eine Gruppe von Künstlern, Hackern und Aktivisten das Projekt unMonastery gegründet, in dem Ideen für eine bessere Welt entwickelt werden sollen.

Den Prototyp ihrer Tech-Utopie riefen sie im Februar 2014 im italienischen Matera ins Leben, wo sie bis zum Herbst mit der Bevölkerung an lokalen, gemeinnützigen Open-Source-Projekten arbeiteten. Zur transmediale haben die Mitglieder ihr Tech-Kloster in eine Wohnung nach Moabit verlegt, dort und auf dem Festival selbst halten sie Workshops und Panels ab. Gleichzeitig veröffentlichen sie gerade das sogenannte Toolkit, ein mehrteiliges Handbuch für das Gründen neuer unMonasterys, und suchen nach einem neuen Standort für ihr Projekt. WIRED Germany haben die Aktivisten erzählt, wie es mit unMonastery weitergehen soll.

WIRED: Wofür steht die Vorsilbe „un“ in unMonastery?
Ben Vickers: Kein Patriarchat, keine Hierarchie, kein Gott. Zumindest ist das unser Anspruch.

WIRED: Wenn es nicht um Gott geht, was ersetzt dann die Religion in Ihrem Kloster?
Jeff Andreoni: Mönchisches Leben ist ja nicht unbedingt von einer Religion abhängig.

Die Idee einer Einteilung des Tages in acht Stunden Arbeit, acht Stunden Ruhe, acht Stunden Freizeit macht keinen Sinn mehr. Wir wollen Arbeit neu denken.

Ben Vickers

WIRED: Was verstehen Sie denn unter mönchischem Leben?
Katalin Hausel: Vor allem die Arbeit an der Idee oder Vision einer besseren Welt.
Kei Kreutler: Was wir aber vom klassischen Kloster übernommen haben, ist eine gewisse Art von Protokoll, ein Regelwerk, das einen Sinn ergibt. Und wenn es irgendetwas gibt, das so etwas wie ein höheres metaphysisches Level zu unserem Projekt darstellt, könnte es die Arbeit sein. Arbeit, die allgegenwärtig ist im gemeinsamen Leben, beim Kochen und wenn wir uns für bestimmte tägliche Rituale versammeln.
Andreoni: Anders als im typischen Kloster beschränkt sich unsere Arbeit aber nicht auf das unMonastery. Es geht immer um einen Dialog mit der Gemeinschaft außerhalb.

WIRED: Auf Ihrer Website nennen Sie sich eine soziale Klinik für die Zukunft. Was wollen Sie denn heilen?
Bembo Davies: Es ist uns wichtig, immer serviceorientiert zu arbeiten. Wir beobachten den Ort, an dem wir uns befinden, und die Gemeinschaft, die uns umgibt, ganz genau und entwickeln dann Hilfestellungen, die zu den strukturellen Veränderungen beitragen können, die wir uns erhoffen.
Vickers: Der größere Kontext dabei ist: Wir wollen Arbeit neu denken. In der heutigen Zeit herrscht besonders in Europa ein Gefühl von Entfremdung vor. Die Idee einer Einteilung des Tages in acht Stunden Arbeit, acht Stunden Ruhe, acht Stunden Freizeit macht keinen Sinn mehr. Die Arbeit greift in die Freizeit ein, man kann die beiden nicht mehr auseinanderhalten. In der Tradition der Klöster gibt es etwas, das dieses Modell anzweifelt und darauf abzielt, Arbeiten und Leben neu zu definieren. Falls wir irgendetwas heilen wollen, dann müssen wir versuchen herauszufinden, wie Arbeit in den nächsten 50.000 Jahren aussehen kann. Die ansteigende Automatisierung, die immer mehr Arbeit überflüssig macht, ist ein sehr komplexes Problem, dem wir uns in Zukunft widmen müssen. Wir behaupten nicht, dass wir die Lösung kennen, aber wir versuchen, mit unserer Arbeit neue Bedeutung zu schaffen.

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WIRED: Sie haben alle einen unterschiedlichen beruflichen Hintergrund. Wie arbeiten Sie zusammen?
Andreoni: Wir arbeiten immer an vielen Projekten gleichzeitig, jeder von uns dort, wo er seine Fähigkeiten am besten einsetzen und andere ergänzen kann. 

WIRED: Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Hausel:Mapping the Commons“, ein größeres Projekt aus Matera, ist ein gutes Beispiel dafür. Die Architektin Lucia Caistor hat Bewohner eingeladen, mit ihr Spaziergänge zu machen und dabei sehr persönliche Tiefeninterviews über die Stadt geführt. Die Dokumentarfilmerin Maria Byck hat 80 einminütige Videoporträts gedreht, in denen Bewohner erzählen, was sie an Matera gut finden und wo sie Probleme sehen. Ich selbst bin bildende Künstlerin und habe alternative Touristenrouten zu vergessenen Orten entwickelt, an die Touristen sonst nie kommen. Kei Kreutler ist Webdesignerin und hat eine Online-Karte entworfen, in die wir dann alle Geschichten, Videos, Personen und Orte eingetragen haben und mit der nun jeder diese Schätze und Ressourcen der Stadt entdecken kann.
Vickers: Alles wird online und offline ausführlich dokumentiert. Wir sorgen für hohe Sichtbarkeit in der Gruppe. Jeder kann sehen, woran die anderen gerade arbeiten. 
Andreoni: So kann man jederzeit dazustoßen.

WIRED: Heißt das, jeder kann ein Teil von unMonastery werden?
Vickers: Theoretisch ja.

WIRED: Wie war die Zusammenarbeit mit den Einwohnern von Matera?Hausel: Wir kamen dort in einer sehr speziellen Situation an. Die Stadt hatte sich als Europäische Kulturhauptstadt 2019 beworben und wir haben unsere Idee von der unMonastery in das Hauptkonzept eingefügt. Das sollte eine gute Beziehung mit der Stadt garantieren. Dann stellte sich heraus, dass es doch nicht so einfach war. Es gab einige Meinungsverschiedenheiten zwischen verschiedenen Gruppierungen über den Wettbewerb und wir gerieten dazwischen. 
Andreoni: Aber die Stadt hat gewonnen und wird 2019 Europäische Kulturhauptstadt sein. 

WIRED: Was kommt nun nach Matera?
Hausel: Eine Gruppe von uns lebt zusammen in Athen, arbeitet dort an verschiedenen Projekten und versucht Beziehungen zur Stadt und ihren Organisationen aufzubauen. Vielleicht können wir in Athen oder der Umgebung ein unMonastery starten. Außerdem gibt es Gespräche über ein mögliches unMonastery in Deutschland in der Nähe von Berlin und über eines in Großbritannien. Das ist alles sehr vielversprechend, aber wir wollen nichts überstürzen. In Vorbereitung der Transmediale haben wir das unMonastery BIOS entwickelt, ein Toolkit, das helfen soll, neue unMonasteries zu starten, und wir haben interessante Gruppen und Organisationen eingeladen, Workshops bei uns zu geben.

Einen genauen Überblick zum mehrteiligen Programm von unMonastery auf der transmediale gibt es hier.

WIRED Germany ist Medienpartner der diesjährigen transmediale mit dem Motto „CAPTURE ALL“ und berichtet direkt vom Festival. Wir stellen die wichtigsten Künstler vor, portraitieren eine von ihnen, die ohne soziale Netzwerke nicht existieren würde, und fragen uns: Wo ist die Technik-Euphorie hin? Außerdem haben wir den NSA-Whistleblower Thomas Drake und die Snowden-Anwältin Jesselyn Radack interviewt. 

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